Kunst, die von Zedern hängt



Beim diesjährigen Akademierundgang an der HfbK war ich möglicherweise noch ein wenig aufnahmeretardiert, Spätfolgen der Samstagnacht, zertanzte Schuhe im Kopf. Vielleicht war es aber auch wirklich eher ein wenig runtergetont, ein wenig unauffällig, ein wenig gefällig, den Atem jedenfalls, den Atem hielt ich nicht an. Bei der Jahresausstellung sind natürlich alle Klassen bunt gemischt, erste Semester und solche Studenten, die kurz vor dem Abschluß stehen. Das sieht man manchmal, nicht immer den Werken an. Jugendzimmerzeichnungen hängen einträchtig neben skurrilen Installationen, manchen sieht man noch diese tradierten Fesseln an, den Kunstlehrer vom Leistungskurs an einem Vorortgymnasium, andere haben sich bereits befreit und testen Grenzen. Nur: wirklich explodiert ist dieses Jahr kaum etwas, auch scheint es keine Saison für Pimmelmaler, Aktionsrandalisten oder exaltiert Aufmerksamkeitshungernde zu sein. Es hat schon Spaß gemacht, aber man wünscht sich diese Jugend wilder.



Sieht man einmal vom Explosionsmotor einer kinetischen Studie ab, vorab hier zu sehen. Der Fahrer, ein todesmutiger Raketenmensch mit weißrotem Helm und Rennmontur lag bäuchlings auf einem Zwiebelsack, steuerte über einen Fahrradlenker, vor sich den großen roten Notaus-Knopf, und sprotzte damit durch die engen Gassen des Hinterhofs. Daneben Gemälde, auf denen Daniel Richter auf Boris Hoppek traf, überformatige Tableaus aus Ministeck, ein bißchen Fluxus aus der Weinflasche und die regelmäßig erscheinenden Sammlungs- und Ordnungsexperimente. Wunderkammern und Reliquienkulte: Engelschamhaar aus Metallfäden, und, sehr, sehr groß, ein Teddybär aus stählerner Putzwolle zum Liebhaben für Rostkinder. Man sage nicht, es ging mir nichts zu Herzen.

Flanieren | 23:40h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
c17h19no3 - Donnerstag, 14. Juli 2011, 01:34
da ich ja direkt umme ecke arbeite, kriege ich hfbk-technisch immer mal wieder was mit. so abgefuckte gestalten mit leinwänden unterm arm und anderes spannendes.
nunja. ersiees hat noch nicht inspirierend auf mich abgefärbt.

und was baumelt jetzt da? dönerfleisch, verkleidet als teebeutel?

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kid37 - Donnerstag, 14. Juli 2011, 12:40
Wahrscheinlich eine Studie über die Aufhebung von Form. Amorphe Gebilde und im Halbdunkel vibrierende Alienkokons. Es gab nicht nichts zu sehen. Gerade in den Details.

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prieditis - Donnerstag, 14. Juli 2011, 17:13
Ui, Ministeck...
Sie sehen, ich bin schwer beeindruckt!

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kid37 - Donnerstag, 14. Juli 2011, 18:54
Und bloß ein Ausschnitt. Das Original ist so 80x80 oder eher 100x100. Das Mosaik des armen Mannes.

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prieditis - Donnerstag, 14. Juli 2011, 19:17
Das schlägt nun den Bogen!
Ministeck war der Wegbereiter des Btx, und damit auch dem späteren Internet des kleinen Mannes: Videotext!
Man stelle sich nur vor, wie sie damals zusammenhockten, die Herren Ingenieure, und wie sie gemeinsam, Kette quarzend, die Schrift- und Bildformatierung mittels Metabo Ministeck ausprobierten berechneten. Eine Szene, wie damals bei M - Eine Stadt sucht einen Mörder, wo die Unterwelt rauchend sich berät...

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kid37 - Freitag, 15. Juli 2011, 00:09
Ah, das unheimliche Erkennungspfeifen des einsamen Wanderers...

Hier einmal der Gesamteindruck:



Schön gesteckt und abgestimmt.

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prieditis - Freitag, 15. Juli 2011, 00:17
allerdings! ich besitze leider nur eine handgestickte vedute vendigs aus den 70er jahren...

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vert - Montag, 18. Juli 2011, 01:46
minnesteck!
eine liebesgabe, wie hübsch. ganz deutlich greift man hier auf symbolik mittelalterlicher teppichknüpfkunst zurück. das efeublatt als vorläufer des "herz"symbols - damals war die liebe noch grün ;-)

bedauerlicherweise bin ich ein mieser biologe und kenne die anderen pflanzen nicht. und von vögeln vogelbestimmung verstehe ich auch nichts.

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prieditis - Mittwoch, 20. Juli 2011, 16:33
minnesteck, das ist fürwahr ein ganz beeindruckendes wort!

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vert - Donnerstag, 21. Juli 2011, 03:39
wohlan,
meine freude ist groß, dass meines wortes wahl euch labsal ist, gevatter prieditis.

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novesia - Freitag, 15. Juli 2011, 13:47
Den Teddy finde ich super (hihi, hatte unerlaubt & ungewollt HTML hier drin - naja, dann ohne Zusatz, vielleicht eh überflüssig. so.)

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kid37 - Samstag, 16. Juli 2011, 13:22
Ja, den finde ich auch sehr faszinierend. Roboterlove.

(einfaches Html ist in Kommentaren erlaubt, Embedding z.B. geht nicht.)

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kreuzbube - Samstag, 16. Juli 2011, 23:31
Ach, die Jugend. Nicht wild genug. Mein letztes Stück Kunst , das ich mir gönnte, war ja auch nicht ansatzweise wild. Rock'n roll ist jedenfalls anders. Nun bin ich ja auch nicht mehr jung, aber selbst damals, als ich es war, gefielen mir solche Langweiler. Allerdings, war das nicht schon wieder wild, so etwas zu mögen, damals?

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kid37 - Donnerstag, 21. Juli 2011, 12:37
Nun, die Fensterbänke mußten jedenfalls nie karg sein. Das Schöne an solchen Stücken ist ja die Dauerhaftgkeit. Wären die Hufe jetzt pink oder trüge es eine Clownsnase - es wäre der Knaller.

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