Nach der Luft greifen



Den kühlen Wind in die Gardinen lassen, breit geöffnete Fenster, den ersten Kaffee ins Licht halten, mit den nackten Füßen einen Sonnenfleck auf dem Fußboden suchen, Agnes Obel singt etwas dazu. Ein Reklamemoment, ein Sonntagmorgen nach einer zu kurz geschraubten Nacht, Zeitumstellung, eine kleines Bier in einer noch kleineren Bar, verstreute Menschen in der U-Bahn, vier Uhr, fünf Uhr oder sechs, man rät und rätselt und malt sich eine eigene Zeit.

Die Energie kommt dieser Tage nicht mehr aus der Steckdose. Auf dem Rad kurbel ich ein paar Kilometer hinunter bis über die Schleuse, am kleinem Landhaus vorbei, gegen das nun doch so vieles spricht. Zu Hause wartet Arbeit, lesen will ich, einen waghalsigen Brief formulieren, umschalten vielleicht, abschalten. Den Kopf zum Träumen unter das Kissen schieben, zum Weinen vielleicht oder Schlafen, das Ticken der zu spät verstellten Uhren dabei wie ein achtlos schlagendes Metronom. Beim Lesen deines Briefes hatte ich gar nicht gemerkt, wie das Papier mir in die Finger schnitt.

Im Mund berge ich etwas Dunkles, die Zähne verfärbt, Staub auf der Zunge, ich lasse den Wind hineinpfeifen, in den knirschenden Ritzen wühlen, Blut hinausspülen, mir Worte hineinlegen, die ich später, zurück am Schreibtisch vergessen haben werde.

>>> Geräusch des Tages: Agnes Obel, Close Watch

Homestory | 12:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
miss daisy - Montag, 28. März 2011, 13:44
Sie schreiben so schön, da trau ich mich kaum.
Danke für Agnes.

 link  
 
kid37 - Dienstag, 29. März 2011, 13:24
Gern. Leider hat die Werbung sie schon gekrallt, aber das Uhren-Lied ist sowieso besser.

 link  
 
nnier - Montag, 28. März 2011, 14:31
Andererseits spricht auch wieder mehr für die kleinen Landhäuser. Ein eigenes Rübenbeet z.B.

 link  
 
kid37 - Dienstag, 29. März 2011, 13:22
Frau Mutter packte mir ein entscheidendes Argument mit in den Schultornister. Ich fürchte, sie hat recht. (Das hatte sie früher nie, da wußte ich alles besser.)

 link  
 
burnster - Montag, 28. März 2011, 18:11
Wenn ich sowas lese, frage ich mich, wo meine Dämmerungspoesie eigentlich hingekommen ist, freue mich aber gleichzeitig, dass sich hier soviel und doch so wenig ändert. In dem Moment wo Sie, Herr Siebenunddreissig, auf der Re:publica einen Vortrag über Herbstbloggen halten, such ich mir ein anderes Café. Aber erst dann. Bis dahin der Hinweis, dass ich im Ernstfall immer ein Meet & Greet mit Frau Obel als Lockruf nach Berlin zur Verfügung stellen könnte. Natürlich nicht, weil ich persönlich sie kenne, aber es gibt da Wege.

 link  
 
kid37 - Dienstag, 29. März 2011, 13:21
Sollten Sie mich hier einmal in Flipflops und mit einem Surfboard in der Hand antreffen - laufen Sie! Drehen Sie sich nicht um, laufen Sie einfach weiter. Erst dann ist was schlimmes passiert. Nach Berlin aber, stimmt, das ist ja eigentlich ein Katzensprung. Irgendwo habe ich da bestimmt noch einen Koffer stehen (bei Strychnin z.B.). Ein Meet & Greet mit Burnster, das wäre was.

 link