
Samstag, 12. April 2025
Das Frühstück "Masuren" im Hermetischen Café
Der erste Kaffee am frühen Morgen. Ich sitze am Fenster und zähle die Enten unten auf dem Kanal, will wissen, ob sich der Fuchs wieder eine geschnappt hat. Abends kann man ihn manchmal sehen, wie er das Wasser quert. Es gibt auch ein Nutria, also sicher eine kleine Gruppe, denn was macht ein Nutria allein, es kann ja nicht wie ich fantastische Bilder malen oder Cozy-History-Detektivserien im TV schauen. Solche Gedanken ordnen sich ein wenig bei der ersten Tasse Kaffee also, dem Blick auf Wasser und Vögel, dem Sprachfetzen der polnischen Arbeiter auf dem Gerüst am Nachbarhaus. Urlaub in Masuren! denke ich. Ich war aber noch nie da, wie will ich das beurteilen.
Dann ist es Zeit sich meiner gelehrten Arbeit (bin angestellt an mehreren Instituten) an meinem „Traktat über die Liebe und andere erschauernde Phänomene der niederen Natur, illustrirt vom Author selber“ zu widmen. Darin beschreibe ich beurteilungsfest, wie der Horror aus Filmen und Geschichten und Gegenwart im Grunde romantischer Natur ist. Denn, so lehrt es die Lebenserfahrung aus beiden Polen menschlicher Empfindsamkeit, muss die Enthüllung des Erwarteten gleichermaßen wie die des Befürchteten, um Spannung und Erregung des Gemüths aufzubauen, höchst langsam geschehen. Die Affekte regende Entkleidung des Monsters und seiner Natur gestaltet sich Stück für Stück. Die plumpe Entblößung indes – man kennt es aus jeder Straßenbahn – mündet unweigerlich in Gelächter. (So ziehe ich mich nur noch im Dunkeln aus.)
Da ist der gebannte Blick auf die Hand, die sich Stück für Stück aus einem Ärmel schiebt. Schüchtern oder gleich zärtlich, gierig oder gar bedrohlich, greifend, tastend, anziehend oder abstoßend, blutend oder schwitzend, mit sechs Fingern oder keinem – wir können den Blick nicht wenden, sind gebannt und voller Erwartung, wie lang der Arm noch werden wird. Nur das Verborgene sei erotisch, heißt es. Dies gilt gleichermaßen für den Horror, das lernen wir im Märchen. Denn wer den Namen des Rumpelstilzchens kennt, muss es nicht fürchten, wer den Anblick des bösen Biests erträgt, lockt den verwunschenen Prinzen daraus hervor. Der Horror ist erblickt, seine Macht verschwindet.
Wenn man das Licht einschaltet, verliert der Horror seinen Schrecken
So fülle ich fleißig mein Buch über die Sichtbaren Dinge und unerklärlichen wahrhaftigen Phänomene der Welt, das sich dereinst im Nachlass finden wird. Himmelsstürze, saure Milch, vom Grüßen und Begrüßtwerden, wie man den Garten vor Nacktschnecken schützt und sich selber gleich mit, das Unliebsame, Nachtgesänge, Rumoren im Bauch und andere Befindlichkeiten, das Phänomen zweier betrunken kommunizierender Röhren, die Handkurbel als zweitwichtigste Erfindung nach dem Rad, der Gang der Sterne als Ausdruck von Physik und Mutmaßung, usw. usf. – all das findet sich in dieser Enzyklopädie des erstaunlichen Wissens.
Am Nachbarhaus röhrt mittlerweile ein Bohrgerät. Die masurischen Satzfetzen werden kürzer und fliegen umher wie Möwen über dem Kanal. Der Kaffee ist getrunken, Gedanken sind gedacht, der Tag klopft an, noch unenthüllt. Verzückung oder Horror. Im Dunkeln kannst du alles sein.

Montag, 7. April 2025
Wer was erlebt, der hat was zu erzählen. Markus „Mequito“ Pfeifer hat das jetzt endlich nicht nur in seinem Blog aufgeschrieben. Seine Novelle Springweg brennt über wilde Jahre und wilde Herzen nimmt jeden mit und lässt keinen zurück und ist in der Edition Schelf erschienen. Kann man zum Beispiel zu Ostern verschenken.
Wer selbst nichts erlebt, mag vielleicht anderen Leuten zuhören. Die Webseite After the Tone sammelt Material von Anrufbeantwortern und ihren kleinen Kassetten, die man auf Flohmärkten oder in Trödelläden finden kann, gleich den Alben voller anonymer Fotos von Familien, die man nicht kennt. Nach dem Ton folgt ein lustiges, herzzerreissendes, langweiliges oder auch verstörendes Allerlei aus Mitteilungen, ein Sammelsurium menschlicher Gründe und Abgründe, akustischer Poesie oder kommunikativer Unbeholfenheit. Drohungen, Liebeserklärungen, Tagesreports oder einfach Nachfragen nach vergessenen Schlüsseln, Zetteln, Lieben. Läuft einfach als Dauergequatsche so durch, so lange, wie man halt Nerven hat für die Banalitäten und Dramen im Leben anderer Leute. Piep.
Hab keine Zeit zum Telefonieren. Ich habe zuletzt meine ausführliche Sammlung ausführlicher Dokumentationen meines ausführlichen Studentenlebens durchforstet und mich dabei hin und wieder selbst überrascht angesichts der Vielfalt und Tiefe und natürlich Exzellenz meiner Mitschriften von Vorlesungen und Seminaren und konnte daher das eigentliche Ziel - die akademische Selbstentleibung durch Zubringung von immer schon obsoletem Universitätsgekritzels zum Altpapierconainer nicht umsetzen. Jetzt, wo Bücher aus Bibliothken verbannt werden sind es vielleicht letzten Zeugnisse menschlichen Denkens und Forschens, und nachher kmmen dan Student:innen aus Marbach und wollen wissenschaftsphilologische... Na ja, der Kram hat jetzt einen Karton für eine jährliche Revision, und vielleicht schmeiße ich ihn eines Tages endlich mal unbesehen in den Müll. Schon aber interessant auch!
Habe mal nachgeschaut. Mittlerweile habe ich vier Titel aus der Edition von Joie Panique, aber leider noch keine 37 aus den nummerierten und jeweils auf 100 Stück limitierten Ausgaben ergattern können. (Die vom US-amerikanischen Pop-Surrealisten Ryan Heshka habe ich ärgerlicherweise verpasst.) Jetzt heißt es dranbleiben wie ein Spieler, der nicht aufhören kann. Eines Tages kommt die Lucky Number. Nebenbei bildet sich auf diese Weise eine Art Sammelalbum wie bei einer Fußballweltmeisterschaft, das natürlich auch Platz braucht und vielleicht einen eigenen Karton. Vielleicht gibt es auch eine Tauschbörse für andere Menschen mit bevorzugten Nummern im Zahlrenraum von 1 bis 100.
Hab mich die Tage mit einer deutlich jüngeren Frau unterhalten und berichtete ihr dabei von meiner trashigen, aber charmanten Lieblings-Sitcom, entschuldigte mich aber bald, ihr völlig banale Dinge über eine banale Serie erzählt zu haben, worauf sie mich rigoros unterbrach und sagte, ich solle sofort aufhören, so zu reden, die Sache brächte mir offenbar viel Freude und damit sei die nicht "banal", und jetzt gebe ich euch den sehr dringlichen Rat: Heiratet diese Frau.

Dienstag, 25. März 2025
Wo wir gerade über Outsider-Art sprechen. Wer wie ich seit ein paar Jahren Sarah Lee folgt, einer Krankenschwester aus Irland, die seit langem aber in London lebt, sich als Malerin mittlerweile einen Namen gemacht und nichts mit der gleichnamigen Künstlerin in New York zu tun hat, hat es sicher mitbekommen: Es gibt nun ein kleines Buch mit einer Auswahl ihrer Werke, auf 100 Exemlare limitiert und nur noch in geringer Stückzahl erhältlich.
Sarah Lee, der ein Kunstlehrer einst attestierte, nicht genug Talent für Kunst zu haben, startete während der Pandemie mit ihrem Instagram-Account und fand rasch eine interessierte und entzückte Gefolgschaft für ihre skurrilen, von B-Filmen und Pop-Kultur beeinflussten, krude gemalten Folk-Art-Bilder. Mythen, Märchen und Legenden vom unbefangenen Rotkäppchen bis zum weiblichen Blaubart speisen ihre Welt, dazwischen gesellen sich abgehalfterte Rockstars in billigen Hotelzimmern und kleine Alltagsdramen um Familie und andere Mitgefangene da draußen.
Ich finde Stil und Inhalte sehr ansprechend, es könnten vermutlich Erzählungen aus meinem eigenen Leben nach 22:00 Uhr sein. Noch mehr begeistert mich aber die Beharrlichkeit und die mittlerweile erlangte Souveränität, mit der hier eine Nische bespielt wird - subversiv, zitatenreich, melancholisch und augenzwinkernd zugleich. Ich hoffe, der erwähnte Kunstlehrer erinnert sich und schämt sich für seine enge Sicht und mangelnde Ermunterung. Man soll Menschen und ihre Kreativität nicht klein halten. Das Buch ist bei Joie Panique in Paris erschienen, in einer kleinen Reihe, in der auch Anke Feuchtenberger, Ryan Heshka oder Julia Soboleva veröffentlicht wurden.
Sarah Lee. Simulacre. Paris: Joie Panique, 2025.
>>> Interview mit Sarah Lee

Mittwoch, 19. März 2025
Norddeutsche Landschaft mit lieblichem Windrad
(Kohle, Aquarell auf Papier, 2025. 1000,- Mark)
Derzeit läuft die Bewerbungsfrist für die Gruppenausstellung "Lausig gemalte Bilder", bei der man bis zu drei Bilder beliebiger Genres einreichen kann. Ich bin ja viel draußen bei der Feldarbeit, sozusagen, und konzentriere mich dabei neben vieler anderer Dinge unter anderem auf Landschaftsmalerei. (Manchmal bin ich auch in der Fußgängerzone und versuche mich an lausig gemalten Porträts, aber dazu braucht es starke Nerven - sowohl für die Porträtierten als auch für den Maler, weil umstehende Menschen oft einfach nicht die Klappe halten können. Ich sag dann immer: "Hier ist doch nicht das Internet!" aber es kommt nicht an. Es kommt einfach nicht an.)
Fühle derzeit den kraftmalerischen Impuls, dem viel gescholtenen Windrad zu neuer Würde zu verhelfen. Gleich den holländischen Meistern der Polderlandschaftsmalerei stehe ich als Windradmaler an der Staffelei, rahme mit dem aus Zeigefingern und Daumen gebildetem Rechteck den bevozugten Ausschnitt, hole ein Käsebrot heraus und überdenke Probleme wie Perspektive und Anschnitt, tauche den Pinsel ins Wasserglas, mische die Farben und rufe der leeren Leinwand den alten Malergruß entgegen: "Toi! Toi! Toi!"
Jetzt bei milderem Wetter ist dies eine ganz wunderbare Sache. Anders als zum Beispiel die Schlittschuhmalerei, die man im Winter übt. Man trifft Menschen, die mit dem Rad vorbeifahren und klingeln, Menschen, die an Stöcken wandern oder Picknick machen und grüßen oder einfach nur ihre Hunde ausführen. Ich winke dann mit meinem Pinsel, schleudere dabei bunte Farben in die Luft und muss mich dann wieder sputen, weil das Windrad sich weitergedreht hat. (Drehen sich die Flügel zu weit, muss ich natürlich von vorne anfangen.)
So wird alles Schatten und Licht, wie das Leben quasi. Es ist ja nicht alles nur Spaß und Zauberei. Zwanzig Jahre habe ich zum Beispiel nur Zigarettenrauch gemalt, als Übung für gleichmäßige und elegante Hand- und Pinselbewegungen. Immer und immer wieder, bis mir der Rauch zu den Ohren herauskam. Nervtötende, langweilige Etüden. Und es ging auch auf die Lunge! Aber, wie ich immer sage, der lausige Meister muss locker sein. Sich achtsam einfügen in die Natur und fühlen, was der Wind so macht, diese unsichtbare Hand der Energieerzeugung. Denn wo Rauch ist, ist auch Feuer, und wo Wind ist, dreht ein Rad.

Mittwoch, 12. März 2025
Catching the big books: Wie im Zimmer eines Fans
Mitte der 80er-Jahre (ich musste meinen Schülerausweis fälschen) landete ich mit einer Bekannten im Kino in diesen „merkwürdigen“ Thriller, von dem so viel geredet wurde. Der Film hieß Blue Velvet und war in seiner unerwarteten und scharfkantigen Mischung aus Sex, Gewalt und groteskem Humor tatsächlich deutlich anders als das gewöhnlich präsentierte Kino dieser Zeit, das sich noch stark in „U“ und „E“ teilte, also den Hochglanz-Literaturschnarchern des Programmkinos und dem Kloppergenrekino, das meinen jugendlichen Geist ebenfalls nicht aus dem Sessel riss (ich hätte dafür ja ebenfalls meinen Schülerausweis fälschen müssen).
Mitte der 90er-Jahre (ich hatte bereits mehrfach meinen Studentenausweis verlängert) lockte mich eine anderen Bekannte ins Kino, weil dort David Lynchs Debütfilm Eraserhead laufen sollte, eine seltene Gelegenheit zumal in der eher verschlafenen bis kulturell trostlosen Stadt, in der wir da waren. Ein sicherlich falsch gedruckter Kalender (die Bekannte war sonst sehr gewissenhaft) führte aber dazu, dass Eraserhead gar nicht lief, sondern, das weiß ich noch, Tote schlafen besser mit Robert Mitchum, der zunächst auch nicht gezeigt werden sollte, weil sich nur drei zahlende Personen als Zuschauer eingefunden hatten, dann aber doch lief und auch sehr schön war, weil unter anderem Charlotte Rampling darin mitspielte.
Im Kino des David Lynchs passierte viel Merkwürdiges, insofern war das kleine Nicht-Erlebnis mit Eraserhead nicht verwunderlich, zumal dort Charlotte Rampling nicht mitspielt (und auch sonst in keinem seiner Filme). Zu dieser Zeit begeisterte Schülerausweisfälscher und beharrliche Studenten gleichermaßen sowieso ein anderes Ereignis: das Fernsehen, in diesem Fall das frisch eingeführte private, zeigte Twin Peaks, eine aufsehenerregende Show mit einer beinahe erwarteten scharfkantigen Mischung aus Sex, Gewalt und groteskem Humor, über die viel geredet wurde. Man musste damals noch jedes Mal eine (1) Woche warten, bis die nächste Folge gezeigt wurde – oder jemanden kennen, der Kontakte in die USA (ein großer Staatenbund in Nordamerika) unterhielt und Informationen und Gerüchte kabeln konnte. Andererseits gab es die notwendige Gelegenheit, sich regelmäßig mit anderen Intensivsehern im Büro der studentischen Hilfskräfte auf einen Kirschkuchen zu versammeln und Theorien zu beraten, wer denn nun diese Laura Palmer getötet haben könnte. Dear dead days.
Laura Palmer und habe ich 25 Jahre später wiedergetroffen, genau wie diese Bekannte, die ich zwischendurch aber auch sah, daher zählt das als Vergleich nicht viel. David Lynch hatte sich in dieser Zeit und ohne sein direktes Wissen ohne Zweifel in einen Künstler gewandelt, der mich sicher mehr geprägt hat als irgendjemand sonst. Manches Mal dachte ich, der sitzt wie ein Angler am Fluß meiner Träume und fängt sich da die dicken Fische raus! Er war da längst seine eigene Marke geworden mit unverkennbarer Silhouette, den schwarzen Anzügen, dem aufgetürmten Silberhaar und der Rauchwolke seiner Zigaretten, die immer über ihm hing. Seine Filme bohrten wie dicke Finger durchs Vorortidyll, durch amerikanische Träume und nostalgische Erinnerungen, puhlten das Grauen heraus, das Blut und die Brüche, und legte das Ohr an tiefe schwarze Abgründe, aus denen rückwärts gesprochene Botschaften quollen, geflüsterte Geheimnisse oder eindringliche Warnungen. Und ich bewunderte diesen Luxus, als vielleicht letzter Auteur weitgehend abseits großer Studios Filme produzieren zu können, die erkennbar seine Handschrift trugen und ansonsten auskömmlich und in Ruhe in seinem Haus (eigentlich zwei) am Mulholland Drive in Hollywood zu sitzen, Quinoa zu kochen und in einer strikten Tagesroutine in seinem Atelier zu malen und zu basteln. Living the Art Life, wie eine sehenswerte Dokumentation über ihn titelte. Toll. Es war die Zeit, als er begann, sein Werk zu sortieren. Das bildnerische diesmal, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, die in mehreren Bildbänden veröffentlicht und in einer großen Schau in Paris gezeigt wurden. Musik gab es und kleine Animationsexperimente. Er räumte auf und bestellte den Hof, schrieb seine Memoiren.
Die dritte Staffel von Twin Peaks entpuppte sich als faszinierenden Meisterwerk, das Fernsehgewohnheiten noch einmal komplett auf den Kopf stellte. In einigen Folgen pures, unerklärtes Kunstkino, eher eine Videoinstallation, wie man sie in einer Galerie oder einem Museum erwarten würde, und alles zur Prime-Time, also besten Sendezeit. Ein mysteriöser Thriller, eine Komödie voller groteskem Humor, eine elektrisch summende Seifenoper mit Sex und Gewalt – aber anders fokussiert, als in seinen früheren Werken. Danach begann er wieder mit täglichen Wetterberichten auf seinem Youtube-Kanal. Dort zog er auch die Glücksnummer des Tages aus einem Glasgefäß. Nie war die 7 darunter, und eine 37 gab es nicht. Als er nach einer Pause ein paar Wochen später wieder damit anfing, dachte ich erschrocken, dass er wohl krank müsse, so eingefallen und von Kraft beraubt wirkte er plötzlich. Das war wohl die Zeit seiner Diagnose. Eine Zeit lang machte er noch weiter im täglichen Wetterdienst aus seinem Atelier. Dann pausierte es erneut. Er sei in Gesprächen, hieß es. Ein neuer Film oder eine neue Serie mit dem Arbeitstitel „Wysteria“.
Im Januar aber, kurz vor seinem 79. Geburtstag, hielt das Herz zu schlagen auf. Komplikationen eines Lungenemphysems, offenbar Spätfolgen seines unablässigen Zigarettenkonsums. Die Waldbrände in L.A. Wirkten plötzlich wie ein letztes großes Fire Walk With Me, wie einer seiner vielleicht konsequentesten und verstörendsten Filme heißt. Er sei gestorben, hieß es. Dabei sieht man ihn in den eigenen Träumen doch vor sich: in einem roten Raum in seinem Haus in Hollywood, mit einer Sauerstoffmaske - so wie sein berühmter Bösewicht Frank (Dennis Hopper) in Blue Velvet. So betrachtet, hat er alles schon gewusst, wie wir ja immer alles schon wissen, also ahnen, und manchmal sogar zulassen. Nur die 7, die kommt nicht mehr.

Samstag, 22. Februar 2025
Im Zorn gesagt
Lange noch
Am anderen nagt
(Volksweisheit)
Der Mann als fliegender Hund. Acryl auf Raufaser. 2025. 1000,- Mark.
Das neue Jahr begann hier nicht mit einem guten Rutsch, sondern mit einem bösen Sturz und schleppte sich darauf nur mühsam durch einen blogtrockenen Januar. Einfach mal auf dem Rücken liegen bleiben und Pause machen! Die Rippen geprellt, ein Knirschen und Knarzen beim Heulen und Zähneklappern, lag ich meist mumienruhig auf dem Rücken. Nach zwei, drei Tagen ging es eigentlich mit den Schmerzen, außer beim Husten oder Räuspern, beim Lachen oder beim Atmen. Der Mensch aber ist ein Adaptionswesen und findet sich mit vielen Positionen erstaunlich schnell zurecht. Schongang, Schonhaltung, alles geschont, nicht immer schön.
The trick is to keep breathing, heißt es, wenn auch nicht tief ins Zwerchfell. Hechelatmung, Apnoeübungen, ich habe viel gelernt. Auch wie man mit Hilfe eines bereitgestellten Stuhls bauchmuskelmeidend den welken Körper vorsichtig aus dem Bett schiebt und sich an der Stuhllehne aufrichtet mit Ach! und Ächz! und Eijeijei. Wie ein trunkener Seemann in den Wanten, sich selbst anfeuernd zum Klogang (keine Details!) oder dem trübsinnigen Ausflug in eine leergefegte Kombüse.
Hinterher lachst du drüber! sagt mein Vater immer, und wenn man das tatsächlich wieder kann, hat man das Schlimmste überstanden. Lachen als Lackmustest für wehe Rippen. Oder auch sonst.
Das vergangene Jahr führte Projekte zu Ende, setzte Fahnen für neue, ließ ein paar ernste Themen winken, die 2025 mehr Aufmerksamkeit brauchen, Gesundheit, Familie, es sind so diese Phasen. Bester Satz, beim Blitzbesuch aus New York (das ist eine große Stadt in den USA) in Berlin aufgeschnappt: „You need a guitar!“ Ja! Und ich stellte einmal mehr fest, dass ich mich gerne mit Menschen umgebe, die einen ermuntern, und eher weniger gern mit solchen, die einen, wie heißt es, nicht so sehr ermuntern. Appellation statt einen Regenschirm über dem Kopf zusammenklappen.
Später noch Blitzbesuch in Wuppertal, und das war es doch auch schon mit dem Reisen, ich fang jetzt nicht schon wieder an mit Klage und Selbstbezichtigung. Aber besser werden darf das mit dem Ausflugsverhalten endlich einmal schon. Habe rote Markierungsnadeln großflächig auf eine Weltkarte gepinnt, nach dem Motto Wer weiß, wie lange das noch geht! denn weder ich noch die Welt an sich werden jünger. Alles unter dem trotzig-transzendentalen Motto Self-Reliance! Dann klappt es vielleicht auch mit Seitenstraßen und Obskurantem, eigenem Tempo und Achtsamkeit den Orten gegenüber, von denen ich mich gerne anerkennend, mit Ruhe und Blick in die untergehende Sonne verabschiede, wenn sie mir Freude bereitet haben. Für einen Tag oder länger.
Ein neugieriger Hund soll man sein, durch die Straßen flitzen, überall stehenbleiben, Nase voraus, Witterung aufnehmen, sich die Welt erschnüffeln. Jedes „Aus jetzt!“ kess ignorieren und ruhig auch mal vertraulich auf den Rücken wälzen. Nicht aber bei einem Sturz. Been there, done that, got the T-Shirt.

Dienstag, 24. Dezember 2024
Weihnachtsbaum, Goth-Edition
Heute feiern ja Gans und Franz Weihnachten und dann hat ja - wie jedermann weiß - auch dieses Blog Geburtstag. 21 Jahre sind es nun schon, in denen ich - "bewusst unterkomplex", wie die aktuelle Erfolgsformel für Funk und Fernsehen lautet - an diesem Ort meine Erinnerungen an eine Zeit, die es nie gab, ins Internet schreibe. Danke fürs Mitlesen und Korrigieren und Denkanstoßen!
Im angeblich gut sortierten Bahnhofsgeschäft hingegen bekam ich keine Zeitschrift, weil man dort nur bedient wird, wenn man rausgehörnte Ellenbogen besitzt und mein Indianername Der Mann, der am Imbissstand verhungerte lautet. Brot gab es beim Bäcker auch nur in drei Sorten, ebenso leer war es im Supermarkt, wohl weil halb Hamburg in der Eisenbahn Richtung anderswo saß.
Im erweiterten Bekanntenkreis kommt man in das Alter, wo die erste Scheidung durch ist, man sich nun ebenso halb-leer wie ein vergessener Supermarkt fühlt und experimentelle Beziehungsmodelle probiert. Polydingsda, Multisoundso, FreundschaftPlus oder einfach auch nur die Affäre mit dem Chef, der natürlich noch verheiratet ist, aber "in Trennung" lebt. Weihnachten sitzen sie allein unterm Baum, und ich sag' dann nichts. Meine Empfehlung ist Billy Wilders "Das Apartment", da lernt man alles, was man zu diesem Thema wissen muss. Einer der schönsten Weihnachtsfilme (neben "Der dünne Mann"), der nur nie an Weihnachten läuft.
Krippe mit Fuchs, Stern, dem Engel der Verkündung und Christkid
Ich habe derweil den Baum schön und noch schöner meine Ruhe. Am Heiligabend noch mal ordentlich durchwischen und -feudeln, sogar Fenster habe ich geputzt. Da mag es aber sein, dass es morgen eine schöne Bescherung gibt - wenn Licht durchs Streifenmuster fällt. Aber ist dann eben so. Während meiner von allerlei selbsterfundenen Liedern begleiteten Hausarbeit kam mir nämlich der Gedanke, dass ich mit WDR-Haushaltstippexpertin Yvonne Willicks gerne ein Buch mit dem Titel "Der gute Wille ist erkennbar" schreiben würde. Einen munteren Putzpositionsabgleich, der zu Entspannung und guter Laune führen würde.
"Wieder keine Rickenbacker!" (Assemblage mit Alpakasocken, Filzhausschuhen, Reisetauchsieder, Literatur, Kunstbuch, Grußkarten. Mixed-Media, 2024.)
Auf dem Gabentisch ebenfalls schon gute Laune. Neben Kunst und Buch, Literatur und Grußkarten sorgen die drei hl. Könige Filzhausschuh, Reisetauchsieder und Alpakasocke für festliche Stimmung. So schöne und praktische Geschenke habe ich mir lange schon nicht gemacht.
Ich hoffe, ihr seid auch zufrieden. Feiert heiter und esst ein gutes Bäckerbrot. Frohe Weihnachten!
