Dienstag, 28. November 2023
Prototyp eines Federpropellers für die Werkstatt zur Feinjustierung des Schwingungsverhaltens
Als junger Mann überlegte ich wie viele andere vor mir, Maschinenbau zu studieren. Schließlich hatte ich mal in Physik eine eins auf dem Zeugnis gehabt, ein allgemeines Verständnis dafür, wie Trägheit der Masse auf dem Sofa zu noch mehr Masse führen kann und fürs Fahrrad einen sogenannten "Knochen" in der Werkzeugtasche, mit dem sich überall herumschrauben ließ.
Nun schug ich zunächst einen anderen Weg ein doch ist es bekanntlich nie zu spät für irgendwas. Man kann auch in späteren Jahren - eisernen Willen und erkennbare Begabung vorausgesetzt - alles erreichen. Und daher entwerfe ich seit einigen jahren nicht nur Schreibautomaten und andere nützliche Dinge für den Haushalt, sondern widme mich auch größeren Projekten und Alternativen für alles, die nicht nur theoretisch durchdacht und mathematisch formuliert werden müssen, sondern auch handwerkliches Geschick und eine gewisse Expertise benötigen. Zum Glück besitze ich heimlich von allem etwas.
Inspirieren lasse ich mich meistens von der Natur und ihren Gesetzen. Sicher haben viele schon einmal Vögel beobachtet und verwundert festgestellt, dass diese Tiere fliegen können. Lassen wir mal das Phänomen thermischer Aufwinde beiseite, so sind es Muskelkraft und Federn, die zunächst Schwingen bilden und Schwingen schwingen lassen. Was liegt näher, als sich diese Technik zu nutze zu machen, um alternative Antriebe für eines meiner meistgeliebten Interessensgebiete - den Flugapparat - zu erfinden? "Flugtaxis sind die Zukunft" möchte ich einmal eine ehemalige Bundesministerin zitieren - nicht wörtlich, aber dem Geiste nach.
Für diese revolutionäre Art des innerstädtischen Individualverkehrs habe ich - obigen Gedanken folgend - einen Federpropeller entworfen, der sich ohne weiteren Antriebsmotor den Vögeln gleich durch bloße Muskelkraft per Handkurbel antreiben lässt. Die Kurbel - in der Technikgeschichte noch vor dem Flaschenzug und gleich nach dem Rad zweitbedeutendste Erfindung des Menschen - treibt über festgespannte Seilzüge (für die Serienproduktion wäre eine Kette aus Stahl denkbar) die Welle eines fein abgestimmten Propellers an, der am Ende mit Federn verschiedener Größe (um unerwünschte Eigenschwingungen auszugleichen) versehen ist. Wenn alles klappt und richtig berechnet ist, bringt er einen mit einer Person besetzen geflochtenen Weidekorb nebst kleiner Packtasche und einer Thermoskanne (gefüllt) fürs Büro in die Höhe und lenkt ihn zu einer Arbeitsstelle. Ein Fahrrad für die Luft!
Hat man bis zum Fahrrad gedacht, drängt sich eine weitere Variante auf. Hinten auf dem Gepäckträger eines Fahrrads angebracht, kann der Federpropeller mit der Tretkurbel verbunden werden. Je nach Neigung des Propelleraufsatzes sorgt dieser dann für zusätzlichen Vortrieb (bereits als "künstlicher Rückenwind" zum Patent vorangemeldet) oder aber, und das wird eine wirkliche Wende im Stadtverkehr, für den oben angesprochenen Auftrieb. Man sieht so etwas schon mal in fantastischen Illustrationen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Doch haben diese allesamt das Problem der Seitenstabilisierung nicht gelöst. Ganz trivial ist diese Lösung auf dem relativ schmalen Fahrrad nämlich nicht, dazu muss man nicht einmal Maschinenbau studiert haben, um dies zu verstehen. Man wird also zunächst Erfahrungen mit dem Weidenkorb-Federkopter (Markenname) sammeln müssen.
Die ehemalige Bundesministerin lade ich gern zur Jungfernfahrt ein. Wenn sie ordentlich mitkurbelt, trägt der Federkopter auch zwei.
Sonntag, 26. November 2023
("Fernseher und Leiter". Kreide, Papier, ca. 18x20 cm. 1000,- Mark)
Sitze seit einiger Zeit regelmäßig in angenehmer Resonanz vor The Nightly, einem Internetradio betrieben von dem mir unbekannten, aber charmant benannten Kollektiv "Sad. Old. Radio." Hier laufen alte Soul- und Jazztitel, Ska und finnischer Tango, Fado und französisches Chanson, ein bisschen Weltmusik und Exotika, American Yodeling und Country (& Western), Filmmusik und deutsche Schlager aus den 1920ern. Alles dezent melancholisch abgestimmt zwischen Katzentisch im Ballhaus und Turmzimmer im Leuchtfeuer am Strand von Santa Monica, Porto oder irgendwo. Nie zu düster, eher sanft rückblickend im funzeligem Licht, während drüben im Nachbarhaus ruckelnde Schattenspiele an den erleuchteten Vorhängen das Treiben einer trunkenen Party dokumentieren.
Das ausgesuchte Programm ändert sich im Verlauf des Tages, mitunter schummelt sich eine Strecke mit klassischer Musik hinein, bis dann abends die Lichterketten über der Radio-Terrasse angehen und Cô Kim-Chung Hat knisternd auf Schellack vom Herbstregen in Vietnam singt. Eine Weltreise auf dem Dampfer Moll und wunderbarer Soundtrack für den inneren November. Tune in.
>>> Geräusch des Tages, The Nightly
Sonntag, 19. November 2023
Bislang nur ein Prototyp: Der "Typomat 37" soll einmal die Büroarbeit revolutionieren
"Wir sehen dafür einen Bedarf von vielleicht einer Maschine. Weltweit." So beschied man mir bei der Start-up-Kommission in der Stadt ("Die Höhle der Seehunde"). Das war natürlich unterwältigend, also enttäuschend. Aber ein Erfinder muss nicht nur gut erfinden können, sondern darf auch nicht aufgeben. Mancher wird nun rätseln, was diese Maschine für ein Geheimnis hat. Nun, kurz gesagt, der "Typomat" soll einmal das Schreiben im Heimbüro oder im Kontor vereinfachen (ich bin, soviel sei zugegeben, noch im Entwicklungsstadium, einige technische Aspekte müssen noch gelöst werden, aber: "Mechanisierung first, Bedenken second!" ist das optimistisch unbekümmerte Motto, das auf einem Emailleschild in meiner kleiner Manufaktur hängt).
Mühsames Gekritzel mit Feder und Tinte wird der Vergangenheit angehören, wenn sich meine "Heimdruckmaschine" (zum Patent angemeldet) durchsetzen wird. Sie funktioniert (aus Werkschutzgründen vereinfacht dargestellt) so: Man drückt eine der elegant federnden Tasten und über eine komplizierte mechanische Transmission, für die ich sehr lange und kompliziert nachdenken musste, wird der entsprechende Buchstabe im bereits vorab patentierten "Ritzverfahren" aufs Papier gebracht. "Hallo Welt" war der erste Satz, den ich so verewigte (hier nachgestellt für den internationalen Markt in der englischen Sprache als "Hello World").
Jetzt heißt es, aus verschiedenen Fördertöpfen genügend Finanzmittel zusammenzubekommen, um eine kleine Serienproduktion zu starten. Aus den zu erwartenden Kundenrückmeldungen werde ich dann weitere Verbesserungen vornehmen und kleinere mechanische Unzulänglichkeiten ausbessern. Bereits jetzt aber bin ich überzeugt: Ist das (zugegeben zunächst noch ungewohnte) neuartige Schreibsystem erst einmal begriffen, will niemand mehr zum Füllfederstift oder gar zur einfachen Feder zurück.
Dienstag, 14. November 2023
Eines der schönsten Geburtstagsgeschenke (unter allerdings lauter schönen Geschenken) stammt von meinem Vater, der mir zwei Bakelitschalter ("Scheunenschalter") aus irgendeinem seiner unergründlichen Kartons mit Fundstücken, Elektronikteilen und Plunder Artefakten schickte. Ganz toll. Werde wohl den nichtssagenden Allerweltswippschalter in der Abstellkammer damit ersetzen. Das verhindert auch das unabsichtliche Ein- und Ausschalten im engen Gang mit Rücken oder Ellenbogen, wenn ich in einem meiner dort verwahrten unergründlichen Kartons mit Fundstücken, Elektronikteilen und Plunder Artefakten wühle.
Der Künstler Marcus Merritt hat zwei zauberhafte Serien auf seiner Webseite. Zeichnungen von Stromleitungen und gleich nebenan noch einem mit gezeichneten Gegenständen aus Filmen von Irma Vep bis Twin Peaks.
Mir selbst habe ich auch etwas gegönnt, denn so jung komme ich mit mir nicht mehr so schnell zusammen. Der schön gestaltete Bildband Developer Trays macht am Scheunenbakelitschalter das Licht in den Dunkelkammern dieser Welt (ok, eigentlich zumeist in den USA) an und zerrt die Entwicklerschalen hervor. Zerkratzt, bearbeitet, voller Silber-Patina, sind sie selbst zu Bildspurenträgern fotografischer Arbeit geworden. Eine Art zerfurchter Oberfläche von der dunklen Seite des Mondes, die John Cyr hier fotografiert hat (Webseite). Sehr faszinierend. Unbedingt lesenswert sind auch die Fußnoten: "Barbara Mensch abandoned removing the silver deposits on her tray after she scrubbed the bottom right corner", erfahren wir da und äußern Verständnis. Oder aber auch, dass Andreas Feiningers Entwicklerschale nun im Besitz von Ralph Gibson ist, der sie für seine eigenen Arbeiten nutzt. Wie ein Werkzeug oder Bakelitteil, das Elternteile an ihre Kinder weitergeben.
John Cyr hat übrigens auch Fotos vom berühmten Gowanus-Kanal in New York City (das ist eine große Stadt in den USA) gemacht. Bei meinem kleinen Ausflug dorthin war ich selber mal dort (man geht ungefähr drei Stunden durch sengende Hitze und landet dann in einem Industriegebiet, das dem aus Antonionis Rote Wüste ähnelt, nur halt in grau). Rauchende Schlote, Zementwerke, komplett eingestaubte Schwertransporter, ein Gewirr aus Brücken, Überfliegern und aufgebrochenen Straßen und bis auf durchgedrehte Touristen und Fotografen keine Fußgänger. Der Kanal schimmert wochentagabhängig in allen Ölfarben, dennoch paddeln Enten (so called "ducks", ich kann nämlich Englisch) darin herum, es zischt und stinkt und zeigt eine Seite der Stadt, die, um eine häufig gebrauchte Reisebloggerfloskel zu gebrauchen, "so ganz anders ist als die Madison Avenue".
Übrigens muss man durch sengende Hitze auch wieder drei Stunden zurück.
Montag, 6. November 2023
Derzeit spielen ja viele mit KI herum, bringen diesem Statistik-plapperndem Papageien also bei, wie man Texte schreibt oder Bilder malt. Ich habe mich damit ja auch eine Zeit lang intensiv beschäftigt und einen gewissen Spaß daraus gezogen, aber dann trat eine gesättigte Langeweile ein. Manche Formate, den pseudo-analogen Schmelz von Midjourney etwa, kann ich schlicht nicht mehr sehen. Der wohlige Schauder der ersten Nacht Ergebnisse, als ich dachte, Midjourney sitze in meinem Kopf und bringe meine Träume zu Papier, hat sich ebenfalls gelegt.
Gut hingegen, dass ich so viele Bilder aus dem 19. Jahrhundert von Flohmärkten und Dachklammern gesammelt habe und darüber erzählen kann. Wie dieses Familienbild einer Halloween-Nacht von 1871. Längst nicht so überdekoriert wie heutzutage präsentiert sich die viktorianische Musterfamilie (1 durch seinen Schnurrbart definierter Ehemann, seine ihm liebevoll angetraute Frau, 1 Sohn, 1 Tochter) bereit fürs Samhain oder wie auch immer man diese Spökerei um Allerheiligen bezeichnet. Ein dezenter (dafür wohl echter) Totenschädel (vom Erbonkel erhalten oder durch die damals verbreitete Grabräuberei günstig erstanden) auf dem Nachttisch, ein bisschen Schminke und Schrecken im Gesicht war zu diesen lampenölig beschimmerten Zeiten freudige Ausstattung genug, um kleinen Tricksern und Trötern, die abends zur Haustür schlichen, Schrecken einzujagen. Die Bediensteten verteilten selbstgebackene Kekse, die Familie schaute vom Herrenzimmer aus zu, bedacht, nicht mit dem niederen Gruselmob in Kontakt zu treten.
Obschon ich an Halloween ähnlich andeutungsweise verkleidet und mit der mir eingeschriebenen gewissen Gravitas auf einem Stuhl bei der Eingangstüre warte, das Glas mit meinen Emotional Support Leeches neben mir auf dem Boden, klingeln die kleinen Lauser seit Jahren nicht mehr bei mir. Gut, vierter Stock, das macht man mit dünnen Gespensterbeinen nur einmal. Zumal, wenn man dabei noch abgefragt wird über Sinn und Hintergrund des Festes, der sozial verbindenden Natur von Gebräuchen und Ritualen, den Unterschieden im Grad der Fröhlichkeit zum mexikanischen Totenfest, dem Aufzählen von wenigstens sieben Heiligen oder wahlweise irischen Städten oder europäischen Fledermausarten.
Wie heißt es? Es braucht ein ganzes Dorf von toten Geistern, um junge klappernde Gespenster zu erziehen.
Sonntag, 29. Oktober 2023
Jedes Jahr dasselbe Spiel im Tourneeplan. Ende des manchen goldenen, anderen schon spukigen Oktobers ("Spooktober") heißt es, alle Fäden zusammenhalten, Nerven auch, Mitternachtsklingklong, wer hätte das gedacht und schon wieder eine neue Zahl, die man sich für Nachfragen merken muss ("37plus"). Das Entrée in den neuen Lebensabschnitt war öffentlich-rechtlich angemessen. Gezeigt wurde vom Bayerischen Rundfunk spät in der Nacht der Film "Das Omen" (1976). Darin geht es passenderweise um die Geburt eines Sohnes, dem von den Eltern böse mitgespielt wird (Vater verbietet ihm z.B. einen Hund). Am Ende muss die Polizei eingreifen und - ich spoiler hier mal - der Junge kommt doch noch in gute Hände. Da wird man schon nachdenklich, wie es mir bei Filmen durch Über-Identifikation aber öfter passiert.
Am Tag dann ein Ausflug zu einem von Hamburgs weniger bekannten Museen. Das auch von mir lange und vielleicht etwas hochnäsig umgangene "Medizinhistorische Museum" auf dem Gelände des Universitätsklinikums hat sich über die Zeit zu einem echten Schatz gemausert. Betreut von überaus freundlichen Menschen (vom Fach) beherbergt der hübsche Backsteinbau neben der ständigen Sammlung auch größere thematische Schauen und Wechselausstellungen mit korrespondierender Kunst.
So erfährt man im Prunkstück des Museums, dem liebevoll restaurierten großen Sektionssaal aus den 1920er-Jahren, einiges über die Geschichte der Seuchen bis hin zu Corona. Neben vielen Dokumenten, Schaubildern und -stücken sind auch popkulturelle Augenzwinkereien dabei. So eines der berühmten "#TeamDrosten"-T-Shirts und eine Actionfigur von Dr. Fauci.
Klug und in ihren Untertönen ähnlich unaufdringlich gestaltet sind auch die Räume der Dauerausstellung. Der Raum zur Geschichte des Arztberufs ist ganz selbstverständlich übertitelt mit "Ärztin werden", darin sind für sich sprechende Schautafeln ausgehängt, die das Ungleichgewicht der Geschlechter bei Studium, Promotion und Habilitation zeigen. Eine feine Klinge oder besser Skalpell, das hier geführt wird. Die Sammlung technischer Geräte ist ebenfalls beachtlich: Neben einer fast frivol elegant anmutenden Eisernen Lunge (ein Schwestermodell steht in der Sammlung Virchow in Berlin) gibt es eine Vielzahl von Mikroskopen, Röntgenröhren, Durchleuchtungapparate und Labortechnik zu sehen. Selbst ein berüchtigter Durchleuchter ist zu sehen, wie er früher in manchen Schuhgeschäften stand und mit dem man sich "mal eben" unbefangen die Füße röntgen lassen konnte. Natürlich "bedenkenlos", wie es mit moderner Technik du Jour eben so ist.
Anders als in den medizinischen Sammlungen etwa in Wien oder Berlin sind hier in der ehemaligen Hamburger Pathologie keine Nasspräparate pathologischer Eigentümlichkeiten ausgestellt. Ein Herzstück aber sind die Moulagen, also Nachbildungen aus Wachs, wie sie bis heute in der medizinischen Ausbildung benutzt werden. Wer als Schüler:in noch die Lehrfilme der FWU ("Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht") erinnert, kann hier noch einmal die verschiedenen Stadien der Syphilis ("Kehrt zurück!") studieren und mit den unwillkürlich kribbelnden Flecken auf dem Handrücken vergleichen.
Lobend erwähnt sei auch der Umgang mit den dunklen Seiten von Medizin und Forschung insbesondere während der NS-Zeit. Die Biographien von Psychiatern wie etwa Hans Bürger-Prinz (hier ist auch ein Porträt von Conrad Felixmüller zu sehen, das die Stadt 1967(!) als Ehrung in Auftrag gab), die ungehindert über wertes und unwertes Leben entschieden und nach 1945 am UKE schnell wieder als Koryphäen ihrer Wissenschaft etabliert waren, wird ebenso Raum gegeben wie zu erschütternden Schaustücken gewordenen Karteikästen mit den Patientendaten aus Lagern und Psychiatrien.
Mit Einzelstücken unter anderem angenehm beiläufig in die Sammlung integriert und dazu in zwei weiteren Räumen präsentiert ist derzeit (bis zum 7.11.) die Ausstellung "Venusmaschine" von Kirsten Krüger. Anatomische, surreal verfremdete Objekte und Skulpturen und traumhafte Installationen wie das "Ameisenzimmer" finden hier einen idealen Ort und lohnen alleine schon den Besuch.
Ein schönes Geschenk, bei dem man viel lernt, sich ergreifen und begeistern lasen kann. Und Postkarten kann man vor Ort auch erwerben!
>>> Webseite des Medizinhistorischen Museums, Hamburg
Freitag, 6. Oktober 2023
Um 1882: Eine Birne verspricht glühende Landschaften
Ich muss meine langwierigen Betrachtungen über Brüssel im Zwielicht kurz unterbrechen, um ein Licht auf eine Erfindung des 19. Jahrhunderts zu werfen, die die Welt buchstäblich erhellte: die Glühbirne. Am 1. Oktober wurde weltweit der Change-a-Lightbulb-Tag gefeiert, ein Birnchen-wechsel-dich-Tag, der zum Energiesparen aufrufen soll (Es ist natürlich auch ein Tag für allerlei schmale Witze à la "Wieviele Blogger braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?" usw.).
Werbeprospekt für die elektrische Glühbirne um 1882
Erfunden hat das kleine Zimmerwärmewerk bekanntlich nicht etwa Thomas Alva Edison um 1880, der hat es wie so viele seiner "Erfindungen" nur "vorgefunden" und "verbessert". Oder sagen wir so: Zum Patentamt hatte er kurze Wege. Um 1875 bis 1880 herum kamen jedenfalls mehrere Erfinder (auch in Deutschland) zeitgleich auf die Idee einer Glühlampe mit hochohmigen Glühdraht, was einige technische Vorteile bot. Einige Entwürfe und Prototypen wurden auch auf der Pariser Weltausstellung 1878 vorgestellt - zusammen mit dem Eiffelturm, weshalb dieser auch bis heute elektrisch beleuchtet ist. Seither hieß es - in besser gestellten Häusern zunächst - "Es werde Licht", und es ward Licht.
Arbeiterin in einer Glühbirnen-Reparaturwerkstatt, die im viktorianischen London bald wie Pilze aus dem Boden schossen
Wie immer bei neuen Moden gab es im viktorianischen Zeitalter einen allzu menschlichen Hang zum Exzess. Manche wollten sich nicht länger "gaslichten" lassen und hängten sich nun die Zimmer übertrieben voll mit Glühbirnen, brachten Licht ins Dunkle und Dämmrige, vertrieben erst die Schatten, dann die Triebe, fingen massenhaft an zu lesen und in der Folge an, Ideen zu entwickeln.
Neben der für ihre anzüglichen Posen beliebten "French Card" wurden auch Karten aus dem Genre "das elektrische Schlafzimmer" eifrig gehandelt
Die Glühbirne wurde zum Accessoire de Jour, fand mit ihrem wendelförmigen Gedrahte Einzug in Mode und Schmuckornamentik, (die halbe Welt des späteren Art deco basierte nicht von ungefähr auf dem gezielten Einsatz von Licht) und galt ganz allgemein als Statussymbol. "Darf ich ihnen zu Hause meine Glühbirne zeigen?" lockte so manches unterbelichtete Fräulein und hin und wieder auch den ein oder anderen naiv gedimmten Herren in wenn auch nur schummrig beleuchtete Bedrängnis (anders als heute üblich hatte man natürlich keine 100-W-Strahler als Nachttischlampe). Kurz: die Welt war elektrifiziert und zeigte dies gerne.
1905 kam es zur ersten bekannten Wahl einer "Miss Glühbirne"
Lange vor der Neuen Sachlichkeit fand die Glühbirne bereits als strahlend in Szene gesetztes Objekt der Begierde Einzug in die Welt der Fotografie. Nach dem augenzwinkernden Motto "Mit Magnesiumblitzen auf Glühbirnen!" wurden waren Lichterfluten inszeniert, und in den nur im Halbdunkeln gehandelten freizügigen Pin-up-Katalogen dieser Zeit fanden sich leicht bekleidete Damen in freizügigen Posen im Schein von glimmenden Kohlefaserdrähten.
Um 1900 bereits wurden zur Weihnachtszeit Karten mit festlicher Glühbirnendekoration an die Liebsten verschickt