Samstag, 24. Dezember 2016
Auf diesem Twitter zeigen die Leute schon ihre Weihnachtbäume vor, da stehe ich natürlich nicht zurück. Hier ist alles wie jedes Jahr geschmückt, wobei ich immer ein wenig ein schlechtes Gewissen habe. Ich meine, andere haben so gar nichts, und das ist ja auch nicht schön. Im Frischeparadies auf der Großen Elbstraße war gestern schon großes Vorfahren, und dann wurden ohne Pause Freßpakete und Präsentkörbe mit Hummer, Kobe und Weihnachtschampagner in die Fonds von großen, dunklen Wagen gepackt. Da wollte ich mich nicht so dazwischendrängen und habe ein wenig dekadent so folienverpackten Lachsaufschnitt beim Supermarkt ums Eck gekauft, um ein Zeichen zu setzen in diesen zerbombten und geistig offen verwirrten Zeiten. Also wünsche ich allen, besinnlich und friedlich beisammenzusitzen und aufeinander anstoßen und ihre Kinder oder frischen Gedanken in der Krippe schaukeln. Frohe Weihnachten euch allen oder 12. Nacht oder einfach ein Lichterfest.
>>>Geräusch des Tages: Ein buchstäblich fröhlich versponnenes Weihnachtslied
Donnerstag, 15. Dezember 2016
Langsam kann man zurückschauen, und da stelle ich fest: Dieses merkwürdige und mit vielen Erwartungen gestartete Jahr 2016 hat mich doch ganz schön untergepflügt - privat, beruflich und nicht zuletzt gesundheitlich. Und lasse ich die Dinge sonst gerne auch mal achselzuckend auf mich zukommen, denke ich heuer tatsächlich über so etwas wie "Vorsätze" fürs nächste Jahr nach. Mehr Ellenbogen zeigen vielleicht auf dem Weg zu irgendeiner Strandliege. Mehr "für mich" tun, wie das heißt, den Kopf mal in eine Kiste aus Zirbenholz legen, damit er länger frisch bleibt. Sich Assistenz organisieren und dabei keine Scham zeigen. Nicht so wie der Graf, der bedauert, nur drei Hubschrauber zu besitzen, sein Freund aber 26.
Der schöne Konsul blickt ansonsten gefaßt auf sein Jahr, uns zur Mahnung, wie es auch hätte laufen können. Oder wie es auf dem Lande so schön heißt: Früher aufstehen, dann hast auch du mehr Sonne! In Wien begegnete mir dieses Jahr ein mysteriöses Motto, das ich nicht recht zu deuten weiß. Und leider habe ich die Scheibe nicht gekauft.
"Leuchtet im Osten das Morgenrot, schieß Leopold Bonanza tot!" Vielleicht muß man da seine Habsburger besser kennen, um den sicher charmant gemeinten Schmäh zu verstehen. Vielleicht heißt es einfach auch nur, Morgenstund hat Goldpatronen im Mund. Vielleicht sind auch einfach nur die Eulen nicht das, was sie scheinen. Vielleicht soll man auch einfach immer nur dem gelbgepflasterten Weg zur Ponderosa folgen, den Mann hinter dem Vorhang nicht beachten und wie ein geduldiger Angler auf weitere Erleuchtung warten. Oder einfach mal alle Türen zumachen und schauen, ob wirklich eine aufgeht. Oder einfach mal durch dieses hell erleuchtete Tor schreiten, das man in Hamburg für den Einstieg in die Welt hält.
Sonntag, 11. Dezember 2016
Wenn ich sonntags morgens in mein Wohnzimmer komme, und die Sonne steht schräg, wie sie es im späten Herbst so tut, fällt mir hin und wieder durch eine assoziative Verknüpfung im Gehirn das Wort "Staubtuch" ein. Absurd. "Wohnzimmer" - "Staubtuch", geichwohl diese Wörter unterschiedlichen semantischen Registern zugeordnet sind, scheinen sie eng miteinander verknüpft. Die linguistische Forschung weiß nicht genau warum, und deshalb gehe auch ich dieser Sache nicht weiter nach. Ich lächle ein wenig, denke, "So ein Quatsch!" Und weiter: "Wie der Mensch manchmal denkt!" und stelle dann lieber das Radio an.
Jahrhundertlang, das wiederum ist ganz gut bewiesen, kam der Mensch ja ohne Staubtuch aus. Nicht aber ohne Musik. Ich sitze gerne im Wohnzimmer und höre dann am Röhrenempfangsgerät Doom Jazz. Gruppierungen, wie man beim Jazz sagt und nicht etwa "Bands" und selten nur "Gruppen", wie The Mount Fuji Doomjazz Corporation, die ja, aber da erzähle ich nichts neues, ein Live-Ableger von The Kilimanjaro Dark Jazz Ensemble sind. Gerne auch mal Projekte wie das Kammerflimmer Kollektief und natürlich die Altstars von Bohren & Der Club of Gore.
Oder eben The Dale Cooper Quartet (live dann auch als The Dale Cooper Quartet & The Dictaphones). Letztere machen dem Namen entsprechend so eine Twin Peaks-assoziierte Musik aus sprechenden Holzscheiten, labyrinthischen Saxofonen und an Julee Cruise erinnernde Vokalpassagen. Die kommen aus Brest im landschaftlich schönen Finistère, wo der allgegenwärtige Béton bei Regen schön finster anlaufen kann und aufs Gemüt drückt.
Was gibt es Schöneres an so einem verregten Adventswochenende? Ja, eben. Nix.
>>> Geräusch des Tages: The Dale Cooper Quartet - Quartoze Pièces de Menace
Sonntag, 4. Dezember 2016
© Violetta Says
Rumpelige Zeiten, in denen ich merke, wie Dinge schneller als ein in Deutschland geplanter Repräsentationsbau über meinen Kopf wachsen. Kleinigkeiten bauschen sich auf zu Expeditionen, für die ich einen Sherpa bräuchte. Immer deutlicher spüre ich nämlich, wie bei mir die Energie nachläßt und ich abends nach der Schicht nur noch erschöpft aus dem Blaumann krieche. Zudem geschehen Dinge, die ich nicht genehmigt habe.
Vor drei Wochen fiel mein Küchenregal von der Wand. Ich saß zum Auftakt eines als gemütlich und entspannt geplanten Wochenendes wie unschuldig über einem Honigbrot und hörte ein - ich nenne es mal - Geräusch. Als mißtrauische Spürnase klipste ich sofort meinen FBI-Ausweis, den ich einst frech mit "Fox Mulder" unterschrieben hatte, an das Revers meines Morgenmantels, schnürte wie ein Fuchs durch die Wohnung und landete schließlich in der Küche. Oh, dachte ich wie in einem Loriot-Sketch: "Das Regal hängt schief!" Ich habe dort so ein Metallregal, an dem Töpfe und Deckel und Kram an S-Haken eingehängt sind. Ohne mir Zeit für weiteres Sinnieren zu lassen, kam es in diesem Moment komplett von der Wand, mit - ich nenne es mal - ordentlichem Getöse und ohne weitere Induktion von Freude.
Interessanterweise kam mir, während ich wie in Zeitlupe in die mir entgegenkommende Gegenstandswolke griff, dieser regelmäßig erwähnte Effekt aus Naturdokumentionen über die wundersame Welt unter Wasser in den Sinn. Demnach haben Fische nämlich im Schwarm eine viel größere Überlebenschance gegen Räuber denn als einzeln durchs Wasser schwimmendes Tier. Als Laie denkt man ja, was für ein Quatsch - da schießt man doch als Haifisch einfach mit geöffnetem Maul gleich einem Rasenmäher mit Laubfangsack in so eine Futterwolke. Und ist, wenn man aus dem Schwarm heraussegelt, satt. Aber nein, so wird erklärt. Bei so vielen umherflitzenden Fischen kann sich der Hai gar nicht richtig konzentrieren, weiß nicht, wo er hinschnappen soll, und am Ende sind alle Fische entkommen.
So stand ich also verwirrt wie ein uralter behämmerter Hai in meiner Küche und wußte auch nicht recht, welchen Topf oder welchen Deckel ich zuerst greifen sollte. Es stimmt also, was die Forschung über Fische sagt. Das Regal und der kleine Topf und der mittlere Topf und zwei größere Töpfe und zahlreiche Deckel, kleinere und mittlere und größere, entkamen mir, und ich stand nur mit einer Suppenkelle da.
Die Ursache war immerhin rasch geklärt. Mein jüngeres Ich hat vor acht Jahren gepfuscht, mehr ist dazu nicht zu sagen. Andererseits: dafür, daß damals keine richtigen Dübel zur Hand waren, sind acht Jahre Halt gar nicht schlecht. Jetzt aber war ich guter Dinge, denn ich hatte mittlerweile Hohlraumdübel und sah am Horizont nur lässig eins: ein Projekt! Nun ist das Wesen der Projektarbeit: Sie ufert aus. Um es kurz zu fassen, mußte ich mehrere Untergruppen gründen, von denen eine feststellte, daß es doch nur 6er-Dübel waren (hahaha, 6er-Dübel!), eine weitere dann als Team Action directe zum Baumarkt mußte, 8er-Dübel (Metall!) zu besorgen und eine weitere Kommission dann bereits am nächsten Wochenende feststellte, daß keine Spezial-Hohlraumdübelzange im Haus war. Stück für Stück nur ging es weiter, zwei Dübel bekam ich mit einem Trick, für den ich eine längere Schraube und eine Flügelmutter brauchte, festgezurrt. Die beiden anderen indes leisteten Widerstand. Kurz gesagt, sie drehten durch, und ich dann auch.
Jetzt sind wir in Woche drei, meine Töpfe und Deckel sind immer noch auf der Anrichte verteilt, ich selbst etwas zerknirscht, und aus dem "alles kein Problem" ist eins geworden. Wenn ich also noch mal Zeit habe, die ich eigentlich nicht habe, muß ich also so eine Zange besorgen und dafür fünf Trillionen Taler zahlen, sprich die Summe, die am anderen Ende der Welt ein Fußballstar hinterzogen hat und nun - Geld ist nicht weg, sondern nur woanders, haben wir gelernt - mir an der Kasse vom Baumarkt angezeigt werden wird.
Ach und dieses noch und jenes, zum Ausgleich und aus Trotz habe ich immerhin mal wieder Fenster geputzt, uff. Streifendienst, wie es bei der Polizei heißt. Und dann erfahre ich, nachdem ich dachte, ich tue mir und meinen zahlreichen erschöpfenden Malaisen mal was Gutes, daß ich zu fett bin für eine Hippotherapie! Da ist bei 80 Kilogramm nämlich Schluß, und das ginge nur, schwänge ich mich als Lady Godiva auf den Gaul, und da ist vermutlich unter anderem der Tierschutz vor.
Kurz: Hier geht so einiges schief (und da haben wir noch gar nicht über die munter tanzende Libelle der Wasserwaage geredet, wenn das Regal erst wieder dran ist). Ich bleib jetzt nur noch im Stall.
Donnerstag, 1. Dezember 2016
Dies ist meine zahme Motte. Otto heißt sie, ein guter Freund, der wie ich in einer Glasglocke lebt. Abends stelle ich ihn in seinem Glas ins beleuchtete Fenster. Wir wollen Eulen anlocken oder Fledermäuse. Für ihn ist das ja wie Haitauchen, ein prickelnder Sport mit den Räubern der Natur. Ich finde es fast ein wenig zu aufregend.
Dennoch dauert Ottos Spiel oft bis in die tiefe Nacht hinein. Bis wir beide etwas müde werden. Erschöpft vom Tag und schlechten Gedanken, imaginär geführten Gesprächen mit Menschen, die man lange nicht mehr mag, oder den ebenfalls schwer gedanklich ausgeführten Übungen an irgendeinem sich vorgestellten Sportgerät, löschen wir dann die als Locksignal benutzte Kerze, schließen die Fenster und begeben uns hinter leise wehenden Vorhängen zur Nacht.
Otto sagt, es liegt ein Schlaf in allen Dingen. Nur finden muß man ihn. Ruhe, oft mißtrauisch beäugt durch längst schläfrige Lider, ist ein Zustand dem man sich auch hingeben muß. Ohne Scham. Auch international dem ein oder anderen bekannte Musikerinnen nehmen ganz leger auf dem Boden Platz, wenn sie mal wieder irgendwo gestrandet sind. Müde bin ich, geh zur Ruh'... Otto schwirrt mit seinen Flügeln dazu.
>>> Geräusch des Tages: Cocteau Twins: When Mama Was Moth
Freitag, 25. November 2016
Bei Ebbe tauchen die Wasserwagen auf. Damit man sein Leben wieder geraderücken kann.
Ich sage es bekanntlich immer wieder: Das Leben ist ernst genug. Wie schön also, wenn wenigstens John Parish und PJ Harvey in diesem kurzem Video auch mal Quatsch machen.
Ich habe mich jetzt tatsächlich bei diesem Instagram angemeldet, denn ich habe gehört, das sei modern. PJ Harvey ist auch bereits ein halbes Jahr dabei - und schaut, was aus ihr geworden ist! Vielleicht lade ich nächstes Jahr schon ein Bild hoch.
Wogen wogen. Keiner will verantwortlich sein. Auch DASERSTEZDF nicht. Es ist nun ja so, vor uns stehen traditionsreiche Festtage, die nach strengen Regeln, nach einer festgezurrten Liturgie ablaufen. Die Regeln gehen so: Erst schmort die Gans, dann kommt die Kirche, dann klingelt das Glöcklein, dann ist Bescherung, dann wird gegessen, dann folgt die Ansprache einer führenden Amtsperson, dann kommt Loriot. Dann aber, wenn man wohlig gesättigt und glucose- und alkoholerschöpft zurücksackt, dann kommt Ist das Leben nicht schön? zur sentimentalen Erbauung und Tränkung eines Taschentuchs. Oder zwei. Nun aber stelle ich mit Entsetzen fest, das läuft gar nicht! Irgendwann gegen drei, wenn ich schon längst Kühe und Esel und Schäfchen im Stall durchzähle und sanft dahinentschlummere, die neuen Spielzeuge im Arm.
DASERSTEZDF lassen einen da sehr im Stich. An Silvester auch. Da läuft normalerweise und unverrückbar erst Dinner for One, dann gibt es ein Käsebrot mit Gürkchen und einen Schluck Bowle und um Mitternacht trötet man in so eine aufgerollte Papiertröte, und dann, wenn es richtig spritzig wird, läuft Manche mögen's heiß, zu dem ich etwas keck das Partyhütchen auf dem Kopf verschiebe. Und was ist? Läuft nicht. Läuft an den Weihnachtstagen. Da lacht nicht nur ihr hysterisch! Feiertage im Arsch, wie man außerhalb eurer wattierten Filterblase sagt.
Hab ich mir jetzt selbst gekauft. Ziehe ich von der Haushaltsabgabe ab, DASERSTEZDF. Wißt ihr Bescheid. Seid ihr sehr wohl für verantwortlich.
Sonntag, 20. November 2016
Manchmal, wenn ich unruhig bin, denke ich über Schuhe nach. Schuhe beruhigen mich, deshalb kaufe ich immer wieder welche. Früher hieß es, Verkäufer und schöne Frauen achten bei einem Kunden oder einem Mann (jetzt nicht verwechseln hier) immer zuerst auf die Schuhe. Danach gibt man sich die Hand oder eben auch nicht. Ich weiß nicht, ob das bei Verkäufern noch so ist, viele von denen sind ja auch nur Tagesgäste in dem Beruf oder sitzen ihren Kunden gleich eh nur noch im Internet.
Schuhe sind auch Träger von Erinnerungen. Wo man schon überall mit welchem Paar herumgelaufen ist. Und wie das Wetter war. Wie mal welche unterwegs kaputtgegangen sind. Was zum Nikolaus mal drinnen war. Wie man mal ein Tor mit ihnen geschossen hat. Wie man mal jemanden welche auszog.
Leider sind als vernünftig zu betrachtende Schuhe teuer. Wer also mit dem Kauf von guten Schuhen seine Schmerzen stillen will, stößt sehr bald an eine weitere Schmerzgrenze. Als Palliativtherapie sind Schuhe deshalb nur begrenzt empfehlenswert. Denn wie bei anderen Drogen auch ist mehr bald mehr, ein Paar folgt dem nächsten, so wie sich auch Tättowierungen erst den einen Arm hoch-, dann über den Rücken und den anderen Arm wieder herunterschlängeln. Man kommt ja nie zu einem Ende, und das Ende muß man sich wie immer auch erstmal leisten können.
Da Beschaffungskriminalität als in der Öffentlichkeit stehender Mann für mich keine Option ist, muß ich arbeiten gehen, was mich manchmal traurig macht. Ich liege dann ab und an morgens in meinem zwar schmalen, aber an einigen Stellen höchst gemütlichen Bett (ohne Schuhe) und denke, ach Aufstehen! Herrje. Anziehen! Erst Hose, dann Schuhe, so was hat man schnell gelernt. Aber anstrengend ist das schon. Außer man hat schöne, neue Schuhe. Dann aber flugs aus dem Bett, weil man sich draußen sehen lassen kann! Also trägt man teure Schuhe auf dem Weg zur Arbeit, wo man aber nur hin muß, damit man sich teure Schuhe... also ein Teufelskreis. Ein ganz übler Teufelskreis.
Das denke ich dann so am Sonntag über den Montag in meinem Lehnstuhl in meinem Zimmer. Ihr habt aber sicher auch zu tun.
>>> Geräusch des Tages: Nieve Nielsen & The Deer Children, Room