
Dienstag, 18. August 2009

Liebe Haschrebellen, Gelegenheitszechpreller und auch ihr, die ihr euch von glukosegestrecktem Ice tea Eistee ernährt. Die Wolkennixe im Bikini, die gestern mittag über mir hinwegschwamm, war mir ein deutlich klingelndes aeromantisches Zeichen, ein wetterleuchtendes Signal, Gedanken über einen kleinen Urlaub einzuleiten. Also demnächst, irgendwann. Mal so raus, Wasser, Wolken und Bikinis ein kleiner Stapel Bücher, man muß das alles ja auch mal abarbeiten. Überhaupt: Die Arbeit im Urlaub ist ja von einer ganz besonderen Süße, da kann so ein Eisteegesöff gar nicht gegen ankleben. Aber das nur nebenbei. So wie ich arbeite, möchten manche gerne Urlaub machen, höre ich hin und wieder von Menschen, denen die Belastung durch Lärm, Hitze und Staub der Maschinen, der Brennöfen und hydraulischen Stanzen, unter denen ich sozusagen meinen nach ergonomisch ausgewogenen Gesichtspunkten sandgestrahlten Melkschemel aufgebaut habe, die laktosefreie süße Frucht meiner Ausdenkarbeit zu zapfen, ohne Begriff und Inhalt ist.
Kräftig gebaut wie ich - für blinde Menschen unsichtbar - bin, drängt mich stählerne Muskelmasse zu einem Sturz in wogende Fluten, zum Wälzen in sonnenerhitztem Sand (man muß sich putzige Bilder vergnügt wühlender Warzenschweine vor Augen führen) und abendlichem Abhängen mit einer von Wedekinds dramatisch gezeichneten Figuren (ruhig mit Alkohol!). Danach: Nächtliches Summen bis zur allgemeinen Bewußtseinsumwölkung.
Originell, das räume ich ein, ist das nicht. Aber an so einem Strand sind die fremden Fußstapfen, in denen man latscht, ja jeden Morgen wieder weg. Und alles scheint wie neu.

Montag, 17. August 2009
zu gehen, wo anderen der Zutritt verwehrt blieb.
Mit einem aller Hindernisse spottenden Enthusiasmus
erklommen sie die Anden, zogen durch Wüsten, kämpften sich
durch das Gewirr der Dschungeln. Sie zerstreuten sagenhafte
Vorstellungen und brachten dafür Tatsachen ans Licht.
(Victor W. v. Hagen. Südamerika ruft:
Entdeckungsreisen großer Naturforscher. 1959.)
I never doubted it.
What's for you will not pass you by.
(Moloko, "This Familiar Feeling".)
Langsam schraube ich den Radius etwas größer. Den Arbeitsstaub der Woche gilt es aus den Lungen zu pressen, schnurgerade Linien zwischen spazierenden Hundebesitzern und kurvenden In-Line-Skatern zu ziehen. Aus den enger geschnürten Wochenenden noch etwas Zeit für ein kleines Picknick zu schneiden, erschöpft-hungrige Rast zu machen und die Wespen zu zählen wie Blütenblätter.
Das schmerzhafte Licht der Nacht mit all ihrer Wehmut ablösen durch das schmerzhafte Licht gleißender Sonne und spiegelnder Blitze schnellbewegten Chroms. Ich möchte die Stadt gerade nicht sehen, ich möchte das Surren der Reifen hören, das Zirpen der Heuschrecken an den Wegrändern, wie das Summen von elektrischem Strom, wie das scharfe Sirren im Kopf nach einer durchtanzten Nacht.
Neue Wege entdecken, Entdeckungen machen, nichts Spektakuläres, schmalere Pfade, überraschende Übergänge. Ich schiebe das Rad durch die Brombeerhecke, über Bahngleise, eine Unterführung hindurch und lese neue Ortsschilder. Der Sinn ist, daß nichts passiert. Daß man leer wird, nur Wind spürt und Hunger. Daß man leer wird, und leise, und den Hunger stillt.

Sonntag, 16. August 2009
Getting up didn't cross my mind.
(Bobby Womack, "Across 11oth Street")
Im Grunde weiß kaum jemand besser als ich, wie sich der Wandel der Zeit anfühlt, das Verändern, sich Häuten und Vergessen werden. Meine Güte, wieviele Karrieren habe ich schon gehabt, da zähle ich den Gewinn der C-Jugendstadtmeisterschaft im Fußball gar nicht dazu - schließlich bin zur Hälfte der Saison ausgestiegen, und so gebürt mir nur ein halber Pokal. Das sind Dinge, die sind vergänglich, flüchtiger Glanz äußerer Schönheit, die du so oft besingst. Wer wüßte das besser als Menschen wie Shah Rukh Khan. Oder auch Bob Dylan. So ist das im Alter, da kommen Leute und kennen einen nicht mehr.
Seit ich nicht mehr auf der Straße erkannt werde (anders als zum Beispiel mein alter Kollege Ricky Shane), erlebe ich natürlich auch eine ganz neue Freiheit. Aus dem Vergessen heraus kann ich mir neue Leben erfinden. So kann ich jetzt Musik hören, die mir früher keiner geglaubt hätte. Marvin Gaye stellt die Frage, What's Going on? Vielleicht dringt von gegenüber auch Bobby Womack herüber: I'm not saying what I did was alright. Abendmusik, ein Schuß Schmerz statt einer Droge, Musik für warme Nächte, wenn man sich hinausstehlen kann aus dem affektierten Gekreische der Clubs. Wenn man drei, vier Minuten für sich haben kann. Für sich, die Lichter, die verwehten Klänge, eine letzte verschwitzte Berührung. Für einen Rückblick, wütend oder traurig, mitgenommen oder nüchtern. Und immer wieder berührt. Immer wieder auf Reisen sein, und zurückkehren nur zu denen, auf die man sich verlassen kann. Ich werde die Koffer noch oft packen. Und manches nicht vergessen. Die schönen Momente, und die, als du mich vergessen hast.
>>> Bobby Womack, Across 110th Street

Freitag, 14. August 2009

'eute morgen träumte ich, ich sei mit Carla Bruni verheiratet, tastete sogleich in meinem 90-Zentimeter breiten Bett neben mich, und fand sie aber nicht. Verwirrt, vielleicht auch beruhigt, drehte ich mich um, streckte Carla Bruni, also da, wo sie hätte liegen sollen, meinen Hintern entgegen und schlief noch fünf Minuten weiter. Mit der schönen Carla bin ich gar nicht weiter bekannt, nicht einmal ihr Werk ist mir bis auf zwei, drei Lieder nähergekommen. Von daher ist der Ursprung meines Traums ein wenig mysterieux. Derzeit weilt sie, das verriet mir Jürg Altwegg in der FAZ, mit ihrem Mann Sarkozy im Urlaub in Südfrankreich und posiert dort für die Paparazzi. Die Fotos wiederum sind Anlaß mancher Satire, was wiederum Anlaß für Altweggs Artikel war. So hängt ja alles mit allem zusammen. Der kleine Staatsmann, von dem böse Zungen behaupten, er passe auch quer in mein Bett, könnte - so die satirische Vermutung - im Taucheranzug aus den Fluten steigen, ein Froschmann, der von der holden Bruni zum Prinzen geküßt wird. Was für ein Bild! Die Älteren werden sich an Alfred Tetzlaff erinnern, wie er im Taucheranzug in einer Telefonzelle steckte.
Tatsächlich verhielt es sich wohl so, daß Mme Bruni selbst am felsigen Strand lag, als bronzegebräunte Nixe mit Sonnenhut und Schwimmflossen, während der kleine Nick vor ihr im Wasser wartete - man stellt ihn sich ein wenig aufgeregt dabei vor. Aber zurück zu meinem Traum: Schwimmflossen!
Wie also die aparte Carla (wir sind jetzt per Du) mit den Schwimmflossen an ihren zarten Füßchen durch die Wellen meiner zerknuffelten Bettdecke kraulte und dabei mit glockenklarer Stimme eines ihrer noch zarteren Lieder sang, muß mich nicht nur in Urlaubsstimmung versetzt, sondern geradezu à bout de souffle gebracht haben: atemlos also mußte ich mich erst einmal setzen, mir einen Platz suchen, mich und mein soziales Gefüge, das Oben und das Unten neu vermessen, ehe es, ein wenig schlaftrunken noch, in den letzten Tag der Woche ging.

Mittwoch, 12. August 2009

Auf dem Monitor meiner Werkbank in der Fabrik habe ich einige dunkel gestaltete Bilder als Screensaver laufen, die den sensibleren Gemütern unter den Kollegen ab und an ein wenig befremdlich erscheinen. Daher habe ich neuerdings Fotos von Cate Blanchett oder Gwyneth Paltrow daruntergemischt - ich kann die beiden Schauspielerinnen oft nicht auseinanderhalten, außer wenn sie sich Kate Winslet nennen. Cate Blanchett (oder Gwyneth Paltrow), die in Historienfilmen auch schon mal Tilda Swinton spielt, trat ja auch in dem beeindruckend designten Retro-Sci-Fi-Abenteuerfilm Sky Captain and the World of Tomorrow auf, der quasi ganz auf einem Heimcomputer produziert wurde. Na ja, jedenfalls fast. Ein wenig.
Wer den Film kennt, wird in diesen Fotos so etwas wie Vorläufer sehen. Ein wie surreal inszeniert erscheinendes Kinderspiel, man möchte an ein Theater denken, so grausam und unbedacht, reflektierend - nicht reflektiert - wie solche Spiele eben sind. Der Franzose Leon Gimpel, ein Pionier der Farbfotografie, stieß 1915 in Paris auf eine Gruppe Kinder, die in ihrer Straße den Krieg wie gemalt nachspielten. Ein skurriles Grand Guignol mit Fantasieuniformen, aus allerlei Materialien zusammengebasteltem Kriegsgerät, den "Boches" als klar definierte Feinde - es war die Zeit vor den blutigen Cowboy-und-Indianer-Schlachten, die spätere Kindergenerationen nach dem alltäglichen Schulschluß erbittert beschäftigten. Erst hielt ich es für Szenen aus einem neuen Film von Jean-Pierre Jeunet. Dann fragte ich mich, wo sind diese Spiele eigentlich heute? Werden Pfeil und Bogen noch aus mühsam errungenen Zweigen geschnitzt? Oder wird die Bundesrepublik im Hinterhofhindukusch verteidigt, und wer das kürzere Hölzchen gezogen hat, spielt diesen Nachmittag die Taliban? Sitzen die wirklich alle vor dem Computer oder im Uni-Vorbereitungskurs für hochbegabte Grundschüler? Verdächtig wenig Kreidezeichnungen zieren die Straßen und Bürgersteige in meinem Viertel. Vielleicht sind aber auch die bereits institutionalisiert und in museale Bahnen gelenkt.
Mehr Bilder der "Grenata-Armee" von der Ausstellung im australischen Campbell.
via WurzlTumblr

Dienstag, 11. August 2009
Der Mädchen gelbe Haare wehen
Am Zaun, wo Sonnenblumen stehen.
Durch Wolken fährt ein goldener Karren.
(Georg Trakl, "Im roten Laubwerk...". 1913.)
Die Krise zwingt die heitersten Gemüter tiefer in die Baumwolldaunen - Cocooning am heimischen Herd, statt mobil-urbaner Oberstolz-Eß- und Sozialkultur. Nachdem der Herdtrieb nun dazu geführt hat, daß ich locker drei bis sieben Kinder käsebrotsatt machen könnte, müßte ich diesen doch aber auch Auslauf bieten können. Hinaus also treibt es mich in die streng abgezirkelte Grünparzellierung, erstaunlich viele freie Flächen finden sich dort, wo ich endlose Steckrübenfelder sehe. Ein grünwogendes Meer der Möglichkeiten, dort wo derzeit nur Klapperschlangen Heuschrecken rasseln, ich aber mit einem Luftschiff landen könnte.
Die Gegenden heißen "Morgenpracht" (kein Kommentar), "Frühauf" (nichts für mich), "Fortschritt und Schönheit" (bin ich dabei), "Bienenbusch" (muß man aufpassen) und, Knaller, "Wühlmäuse 2000" (sicher mit Turbo). Natürlich bremst die Angst mich vor deutscher Gründlichkeit, den Abwasserkommitees und Gemeinschaftszwangsstunden, den Parzellenbegehungen und Goldenen Zitronen, die man denen verleiht, die aus der Hecke scheren. Vieles habe sich geändert, heißt es, aber vielleicht bin ich noch nicht so weit, vielleicht sollte ich besser ein größeres Boot kaufen, es gibt Blogger mit Motorbootführerschein, die könnten das fahren.

Und doch gibt es wie verwunschene Orte zu entdecken, aufgelassene Geheimdienstzentralen, auf deren Grundstücke man Dipole und Langdrähte spannen könnte zum Detektorradioempfang. Auf denen lange Tische stehen könnten mit Kuchen und Stachelbeerschüsseln und trunkenen Gästen, denen man auf einem flirrenden Elmo La Strada in die Bäume projiziert. Oder Gobbledigook.

Montag, 10. August 2009

Vor Jahren schon überwies mir meine fürsorgliche Frau Mutter im Vorgriff auf das nichtzuerwartende Erbe eine sogenannte Herdprämie, zweckgebunden zum Erwerb einer neuen Kochstelle gedacht. Jetzt endlich, Zins und Zinseszins deckten nun auch die Transportkosten, konnte ich Wunsch, Wollen und Angebot in Einklang bringen, und Samstagmorgen erschienen denn auch in aller Früh zwei wackere Jungs, die schnaufend und schwitzend den edelstählernen Kochfreund die sieben Etagen hoch in meinen Leuchtturm trugen. Dort hatte sich schon ein umlufterhitztes Temperatürchen aufgestaut, der Sommer kommt ja immer zur rechten Zeit und knallt mir hier aufs Dach.
Die Küche wird vom alten Herd entkernt, dahinterdarunter Schmandspuren einer über Jahre geführten nackten Küchenchefkarriere, gute Gelegenheit, hausmännisch aufgetunkten Fettlösezauber zu sprechen. Wenig zauberhaft gehen die Sägearbeiten weiter. 90 Grad sind 90 Grad, wir reden über Winkel, nicht über Temperaturen, die Herren würgen und ächzen, daß mir Angst und auch ein wenig bange wird, läuft, signalisiert man mir, ich habe die drei Sicherungen rausgedreht, die Kabel wechseln ihren Platz, hochspannend finde ich das, dann wird der Stählerne an seinen neuen Platz geschoben. Paßt, paßt nicht, paßt, paßt nicht, lauteres Ächzen, lauteres Stöhnen, kritischerer Blick. Inzwischen ist das Thermometer weiter nach oben gestiegen. "Ich würde mir ein Klimagerät kaufen", schlägt der eine vor. Ich suche nach der ästhetischen Linie, der Herd steht nicht so, wie ich es mir vorstelle. Die Schrauben werden noch mal rausgedreht, ein Ächzen, ein Kippeln, ein Wackeln. "Steht der etwa auf dem Kabel?" frage ich. Nöneineindaskannnichtsein, prüfend wird gekippt, entschlossen wird geschoben. Alles klar im Hinterdeck. Man drückt, man preßt, man schwitzt, die Jungs tun mir leid. So eine alte Küche wie meine, so teilt man mir selbstverzeihend mit, könne sich schon mal verziehen. Dann sei alles schief, erklären sie mildtätig, es sei mir nur nie aufgefallen. Unverstohlen schauen sie auf die Uhr, ich bin es müde, ein wenig enttäuscht. So hatte ich mir das neue Gewerk nicht vorgestellt. Ich gebe Trinkgeld, die Jungs haben mir Mühen abgenommen, vielleicht gebe ich zu viel, man tut nicht überrascht.
Kaum sind die tapferen Gesellen fort, geht für mich die Arbeit los. Ich stapfe in den Keller, die Stichsäge holen, prüfe meinen Akkuschrauber. Der nutzt mir nichts - die Jungs haben die Schrauben völlig ausgefranst, ich muß neue Schlitze schneiden, vorsichtig drehe ich die ausgelutschten Teile von Hand mit meinem Schraubendreher auf. Glück gehabt, sie lösen sich Drehung um Drehung, endlich habe ich den Herd frei, ziehe ihn heraus, drücke die Kochmulde heraus, bearbeite die Schnittkanten nach, 90 Grad sind wieder 90 Grad. Ich schiebe den Herd zurück, er kippelt, er wackelt, ich bleibe mißtrauisch. Ich schwitze nach oben und nach unten. Es ist noch heißer geworden, dabei ist der Backofen noch nicht einmal an. Ich drücke erneut die Kochmulde heraus, ziehe den Herd nach vorne - sieh an. Er steht natürlich auf dem Kabel, kein Wunder, daß es wackelt, kein Wunder, daß es kippt. Als alles berichtigt ist, schiebt er sich wie von selbst in die Öffnung, steht endlich so, wie er soll, wie ich es mir vorstellte. Ich suche zwei stabilere Schrauben aus meinem Werkzeugkasten, ziehe sie fest. Alles auf Linie, von wegen, Küche schief, was ihr meint, ist der Küchenchief. Ich bin durchgeweicht, mein Rücken wird sich am nächsten Tag melden, niemand gibt mir ein Trinkgeld, ich denke an den Spruch - willst du es richtig haben, mach es selbst - erschöpft, aber friedlich. Jetzt können wir Freunde werden.
Darauf erstmal ein Käsebrot.
