Donnerstag, 7. Dezember 2023


Merz/Bow #74



Wer noch ein Weihnachtsgeschenk für jemanden sucht, der oder die sich auch für exzentrische Moden, Menschen und Gebräuche aus der Zeit des 19. Jahrhundert interessiert, möchte vielleicht hier einmal schauen: Strange Victoriana: Tales of the Curious, the Weird and the Uncanny from our Victorian Ancestors versammelt genau das. Auf mehrere, nicht ganz einsichtig strukturierte Themengebiete verteilt (es gibt Kapitel wie "Animals" aber auch eines namens "Dogs", "Strange Perfromers" und "Strange People") dafür mit einem nützlichen Index versehen, hat Jan Bondeson, ein Rheumatologe am Tag und Experte für viktorianischen Trübsinn und Verbrechen bei Nacht, hier Berichte über wahre Verbrechen, Wolfsmenschen, Geistererscheinungen und todessehnsüchtige Fallschirmspringer versammelt. So erfahren wir, wie sich das berüchtigte "Bear-Baiting" aus elizabethanischen Zeiten ins 19. Jahrhundert geschmuggelt hat. Hier waren es freilich Hunde, die beim abstoßenden "Ratting" gegen Ratten antraten. (Zum Glück gibt es auch einige herzerwärmende Geschichten von Hunden als Lebensrettern.)

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Vielleicht brauche ich auch einen solchen Hund, denn seit das Dach gegen Regeneinfall wieder geflickt ist und die Wespen unterm Vordach einen langen Schlaf angetreten haben, hat sich ein neuer Mitbewohner vom Speicher aus in die Zwischenwand gearbeitet. Nachts kratzt es regelmäßig unweit meines Bettes, unangenehm, sage ich mal. In der Annahme, es sei vielleicht ein Marder, kratze ich nun zurück und imitiere die revierbehauptenden Geräusche eines Alpha-Marders, so gut ich kann. Vielleicht ist es aber auch ein anderes Tier. Ein Fall fürs Fachpersonal, bis dahin schlafe ich mit einer Waffe unters Kopfkissen.

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Als verspätetes Nikolausgeschenk zum nun sterbenden Jahr nahm Arte PJ Harvey ins Programm. Ihr Auftritt [Mediathek] aus dem Pariser Olympia stammt von der Tour mit dem aktuellen Album I Inside the Old Year Dying und ist angenehm reduziert, fast ein Kammermusikabend mit Möbeln und Kleid. Im Vergleich zur Tour zu The Hope Six Demolition Project vor sieben Jahren bin ich noch nicht ganz im Reinen mit dem Band-Outfit (wohl erneut Ann Demeulemeester). Das klassische Schwarz zum Grau aufgenebelt, wohl ein Hinweis auf die gespenstische Gothic-Szenerie der herbstlichen Landschaft von Dorset. Der Pressetext bei Arte ist auch gruselig erfindungsreich, verlegt Washington D.C. nach Detroit - aber egal, irgendeine große Stadt in den USA halt.

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Wer immer noch ein Weihnachtsgeschenk sucht, möchte sich vielleicht einmal dieses wunderbare Werk anschauen. "Warning, this is a 300 pages book that no human can read. Because it’s not written by human. It’s written by bugs", heißt es bei Northing, einer norwegischen Kunstbuchhandlung. Der chinesische Künstler Zhu Yingchun hatte die Idee, Spuren von Käfern und Schnecken in seinem Garten zu sammeln und die eindrucksvollsten Grapheme zu "Wörtern" zusammenzusetzen. Könnte ja sein. Vermutlich wirkt es vor der Folie chniesische Schriftzeichen und ihrer Anordnung auf einer Seite noch eindrucksvoller. Erinnert an die Arbeiten Maximilian Prüfers, die ich hier mal erwähnte.

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Apropos Kunst. Mir bislang unbekannt (Erklärung nicht nachvollziehbar) war der 2019 verstorbene visionäre belgische Künstler Panamarenko. Fast unheimlich, denn wir teilen offenbar einige Interessen. Bekannt wurde er für seine "Luftmaschinen" (aber auch Unterseeboote), reizvolle Konstruktionen zwischen Otto Lilienthals Gleiter, amorphen Blobs aus synthetischen Materilian, Zeppelinen, Federapparaten und glänzenden, spektakulären Metallflüglern. Ich empfehle die ausführliche Webseite von Marcus Ampe für ausführliche Informationen.

MerzBow | von kid37 um 22:22h | 8 mal Zuspruch | Kondolieren | Link