Freitag, 8. Januar 2021
Wenn mir noch einmal jemand naseweis erzählt, man solle Salz erst ins Nudelwasser kippen, wenn es bereits kocht, weil Süßwasser ja schneller heiß werde als Salzwasser UND DAS SEI PHYSIK, kriege ich Aortaklopfen. Denn das ist natürlich erstmal nur brav nachgeplappert (liebevoll gemeint). Natürlich ist das "Physik", so wie unter dem Einfluß der Gravitationskräfte auch Lichtstrahlen verbiegen. Ist auch "Physik". Aber welche Bedeutung hat dies denn für das reale Alltagsleben? Die unterschiedliche Erwärmung von Salzwasser und Süßwasser ist relevant für große Gewässer, bei einem gebräuchlichen Topf mit einem Liter Wasser kann man das vernachlässigen. Der Unterschied, Christian Stöcker hat dies mal in seiner langjährigen Kolumne "Stimmt's?" für Die Zeit im Labor nachmessen lassen, beträgt nicht einmal eine Sekunde. Warum man es trotzdem macht? Weil Salz im kalten Wasser zu Boden sinkt und dort mit dem Metall eine Reaktion eingehen kann. Der berüchtigte Mikrofraß, den niemand in seinen schönen Töpfen haben möchte. Im heißen Wasser hingegen löst sich das Salz sofort auf und wird verdünnt. Gute Chemie halt, so wie sie auch unter Menschen herrschen sollte. (Ich komme ja zum Glück mit allen gut aus.)
Solche Unterschiede zwischen gelahrter Theorie aus dem Lexikon der populären Irrtümer und anderer Party-Pooper und praktischer Alltagsrelevanz lernt man am Besten durch persönliche Nahbetrachtung. Forschungsreisen in die Moselei, Sterngucken durchs selbstgebastelte Teleskop, Käferbetrachtung in schattigen Wäldern, Ausgrabungen in Nachbars Garten... man muß einfach nur raus, und Augen und Ohren offenhalten. Ralph Waldo Emerson hat dazu alles gesagt, der denkende Mensch muss raus in die Natur, der Bücherwurm bleibt daheim.
Aber auch Emerson sah ein, daß es "idle times" gebe, oder wie wir heute sagen: Lockdown, in denen das vorgekaute Wissen aus Büchern doch interessant sein kann. Sofa statt Pendeln und dann in einer Art innerer Forschungsreise gemütlich schauen, welche Expeditionen es früher so gab. Für kleines Geld gibt es dafür den hübschen Bildband Kosmos großer Entdecker: Leben, Skizzen und Notizen, darin kurzgefaßt die Biografien und Reisen bekannter Forscher und Entdecker wie von Humboldt, Linné, Livingstone, Amundsen, Bruce Chatwin, Howard Carter, aber auch einiger Frauen wie Amelia Edwards, Vivian Fuchs, Marianne North, die - im 19. Jahrhundert zumeist - ferne Länder, steile Berge und weite Meere erkundeten, dabei auch mal das ein oder andere fein gesalzene Süppchen am Lagerfeuer oder im Iglu warm machten und mit Glück statt Besserwisserei oft faszinierende Erkenntnisse nach Hause brachten.
Hauptaugenmerk liegt dabei wie im Untertitel vermerkt auf den Skizzen und Notizen. Wir sehen Fotos der originalen, meist im Feldeinsatz und nicht im Caféhaus abgewetzten Journale und Notizbücher, Abbildungen von oft liebevoll kolorierten Skizzen und Karikaturen über aufregende Nilreisen, exotische Tier- und Pflanzenwelten und beeindruckende Landschaften. Manche eher ungelenk (so wie sie bei mir wären), viele aber doch sehr ansehnlich. Tolle Schmökerei für Sofawintertage und Ansporn für die Zeit nach der Pandemie.
(Huw Lewis-Jones, Kari Herbert. Kosmos grosser Entdecker: Leben, Skizzen und Notizen. München: Sieveking Verlag, 2016.)