Donnerstag, 13. September 2018
How could that happen again?
Where the fuck was I looking
When all his horses came in?
(P. J. Harvey, "Kamikaze")
Was man manchmal braucht, wenn man meint, keine zehn Pferde brächten einen irgendwohin? Weil es nicht geht, weil man es nicht sieht, weil man sich nicht so fühlt? Na, jemanden, der mit elf Pferden zieht! Nach zwei Wochen im Strangeland sind meine Backen zwar nicht mehr ganz so aufgeblasen, ich insgesamt aber wieder ausbalanciert. Zeit, zum Abschluß mal unter die Teppichkanten zu schauen und die Wollmäuse der Stadt zu untersuchen.
Manhattan ist so das eine, aber ich nehme wohl mehr aus den anderen Stadtteilen mit. Auf dem Weg nach Dumbo an schmucken Brownstones vorbei kann man durch die Willowstreet, wo Truman Capote sein Frühstück bei Tiffany geschrieben hat. Auch er hat Manhattan von Brooklyn aus betrachtet - und diese Perspektive liegt mir gerade ebenfalls mehr. Der Flohmarkt unter Brooklyn Bridge ist tatsächlich ganz nett, Taliah Lempert bietet hier ihre Bicycle Paintings an. Ein kleiner Vogel, so viel Zutraulichkeit ist dann doch, bietet mir bei Tisch seine Freundschaft an, als ich mittags vor einem Mexikaner beim Bohnengericht sitze.
In einer anderen Ecke wird malocht. Zementfabriken, Schrottplätze, derangierte Hallen. Ein Kanal schillert in den trüben Regenbogenfarben von vielfältigen Industrieabwässern, ein Entenpaar, das sich die Innenstadt nicht leisten konnte, zieht hier seine klebrigen Kreise. Touristen sieht man hier nicht, nur müde Gesichter aus einem anderen Alltag. Kein Schnickschnack, bis dann am Straßenrand wieder die ersten Hipsterkaffeeröster auftauchen.
Irgendwo an einem Zaun hat jemand ein Batsignal rausgehängt. Ich habe mein Cape nicht dabei, bin ja quasi nackt im fremden Land, verstehe nun aber, warum die New Yorker berühmt sind für nie versiegende Hofffnung und ihr Durchhaltevermögen.
Mit der U-Bahn rattere ich weiter nach Williamsburg, was sich sicherlich entwickelt hat, aber so schrecklich durchgentrifiziert nun auch nicht daherkommt. Ein hochgejazztes häßliches Entlein, aber was weiß ich schon. Fahndungsplakate, Angebote für Schlagzeugstunden hängen an Metallpfosten, zerbeulte Autos am Straßenrand, Filmkulissen sind das nicht. Hier gibt es ein öffentliches Klo, das ich nicht empfehlen möchte. Geht einfach nicht rein, bewahrt euch den Glauben, die nie versiegende Hofffnung und euer Durchhaltevermögen.
Sollte die Show irgendwann doch nicht weitergehen, ist auch hier für alles gesorgt. Abends kommt hier sogar Leben in die Bude, ringsherum gehen Lichter an, werden Restaurants und Bars geöffnet und verrauchte Klamotten gelüftet. An einem Abend spielt hier Lee Ranaldo, aber da bin ich müde und vom Tag erschlagen.
Unten am Wasser wartet eine schöne Überraschung auf den Unvorbereiteten. "Brooklyn's sweet ruin" wird sie genannt, die alte Domino Zuckerraffinerie. Entwickler haben schon ihre Glasaufbauträume eingezeichnet, zuvor würde ich dort gerne noch als Kid Murnau einen Film drehen. Von einem Vampir, der mit einem Flugzeug über den Atlantik reist, um in New York eine Freundin zu besuchen, die eine Wohnung voller Musikinstrumente hat. Gibt es bestimmt noch nicht, und die alte heruntergekommene Fabrik wäre ein prima Schauplatz.
Abends, es ist immer noch unglaublich warm, versammeln sich Brautpaare, Touristen, Einheimische entspannt am Wasser, sitzen an den Brücken, warten auf den Sonnenuntergang und schauen hinüber. Auf die Skyline, die gezackte, totfotografierte New-York-Visage, die erst überstrahlt, bald als schwarze, später dann hell illuminierte Silhouette gegenüberliegt. Ich bin erschlagen, erschöpft, aber doch zufrieden und irgendwie stolz. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht?
Todesverachtend, mit sanfter Gewalt gezwungen, acht Meilen hoch über der Erde, dann aber auch Augen auf und viel zu Fuß erlaufen, krachend gegen eine Mauer gelaufen, aber Freunde gewonnen. Ach ja, und Twitter als Reisebegleiter war übrigens super.
>>> Geräusch des Tages: P. J. Harvey, Kamikaze