Sonntag, 29. April 2018


Sich nicht verloren geben



Ich besitze so einen beleuchteten Globus, der bei mir im Studierzimmer steht und den ich abends schon einmal gedankenverloren betrachte und mir denke, wie interessant, wie man so im Halbdunkel sitzt und auf Hamburg starrt, während ich in meinem Zimmer in Hamburg sitze.

Nun lehrt eine höhere Weisheit, daß man die Dinge auch mal von ihrer anderen Seite aus betrachten soll, den ein jedes habe derer zwei, wie Bescheidwisser gerne durch die Gegend trompeten. Oder besser, weil es mir mehr liegt, einfach mal hinter die Dinge schauen, sehen, was dahinter wohl liegt. So drehte ich neulich den Globus einmal herum, und siehe da, Bescheidwisser wußten das wahrscheinlich wieder, tatsächlich ist auf der anderen Seite auch noch was. Ein weiteres Teilstück, noch mehr Informationen und Gewißheiten und Ungewißheiten und Länder und Kulturen, die man betrachten kann, während man aber immer noch in seinem Zimmer in Hamburg sitzt. Wenn diese Erzählung denn stimmt.

A happy love is a single story, a disintegrating one is two or more competing, conflicting versions, and a disintegrated one lies at your feet like a shattered mirror, each shard reflecting a different story... (Rebecca Solnit, A Field Guide To Getting Lost.)

Anfänglich habe ich nur schwer verstanden, worum es in Solnits Buch eigentlich geht, und so wirklich weitergekommen bin ich damit immer noch nicht. Ein wenig verloren bin ich, so scheint mir. Aber es wird mehr und mehr zu einer aufwühlenden Reise, einer interessanten. Durch ineinander verwobene Geschichten hindurch, Erinnerungen an alte Freundschaften und beendete Lieben, einem Haus in der Wüste und das Blau und die Sehnsucht der Ferne. Und wie alte Leben enden und neue beginnen, wie man das eine verliert und sich selbst verliert oder einfach nur für andere verloren ist.

Karten helfen gewöhnlich oder ein Globus, um die Übersicht zu bewahren oder irgendwohin zu finden, wo die Verhältnisse aber keine anderen sind. Sondern gleichsam verloren. Solnit hat einen eigentümlichen Sound, und das ist es, glaube ich, was mir an ihrem Buch gefällt. Man lernt immer was. Von der richtigen Situation oder den wichtigen Menschen, auf die man längs des Weges trifft. Von denen man merkt, sie bringen einem etwas bei, eine Lektion, Wissen über das Überleben in der Wüste, wie man die Angst überwindet oder eine Sprache spricht.