Samstag, 30. August 2014
Wenn ich morgens geweckt werde, finde ich mich ja wie in diesem Video von Ane Brun wie ein verwirrter alter Mann leicht verwirrt in der Welt wieder, kaum den eigenen Augen oder ihrer kleinbuchstabenverpixelten Sehkraft trauend.
Mein Weg heute führte mich daher für die weitere eigene Frank-Walter-Steinmeierisierung endlich zum Optiker meines Vertrauens, denn nach 15 Jahren Kid37-Brille (so stellten wir mit einem Blick auf die wohl letzte handbeschriebene Kundenkarteikarte im Wirtschaftswesen fest) ist es an der Zeit, neue Zeichen ins Gesicht zu setzen. Ich probierte also einige Ausrufezeichen und auch einige Fragezeichen aus, liebäugelte kurz, nur des Experiments halber, sogar mit einem Semikolon; das sieht bei mir merkwürdig aus. Da der Designer meiner alten Brille, ein Franzose mit vielen "i", nach Italien transferiert wurde, griff ich schließlich zum Weltmeistermodell aus hiesiger Produktion (oder jedenfalls Gestaltung) und erwarte, daß sie mich nun bis ins Finale trägt.
Oder ich sie. So rum ist es, glaube ich, richtig. Zurück in die heimischen Stallungen gekehrt, habe ich - nachdem ich das Kobe-Rind massiert und die Champagnerflaschen gedreht hatte - zur Pause ein wenig gedankenverloren auf der Straße an meinem Fahrrad gelehnt (Symbolfoto), als es (das Rad, nicht das Rind) mit metallischem Gelärme zu Boden kippte. Zwei freundliche Passantinnen eilten hinzu, die eine begab sich sogar daran, mein Rad wieder aufzurichten, "das schöne Rad, das schöne Rad!" rufend. So viel Hilfsbereitschaft und ästhetisches Bewußtsein liegt in diesem Viertel! Leider ist nun der Lenker etwas zerschrappt, das Rad folglich nicht mehr ganz so schön, aber dafür - wenn man scharf hinschaut, was ich demnächst wieder tun kann - unterscheidbar geworden. Nichts hält ewiglich, notierte ich gleich in meinen Bauernspruchkalender, der mir dereinst viel Geld und Anerkennung bringen wird, wenn ich beruflich durchgewalkt und ausgewrungen meinen Platz in der Geschichte suchen werde.
Man muß eben zur Einsicht kommen! Genauer hinschauen, die Brille mal besser als mit einem T-Shirt putzen. Denn die Wahrheit ist doch die: So wie haushaltsübliche Zollstöcke und Lineale im Kleinbereich bis ca. 30 Zentimeter grobe Ungenauigkeiten aufweisen und oft zuviel anzeigen, so aufgespreizt ist die Dichotomie zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung, gerade auch im Internet. Nehmen wir zum guten Schluß folgende beispielhafte Beispiele, repräsentativ zusammengetragen:
- wie ich mich sehe: *
- wie ihr mich seht: *
- wie ihr euch seht: *
- wie ich euch sehe: *
Denkt also immer daran, was in meinem Bauernspruchkalender steht: Man sieht nur mit der Brille gut.