Samstag, 23. November 2013
spüre ich das Wetter
(Kreisky, "Halleluja")
Selten, daß es schon zu Augenrollen kommt, noch ehe ich einen Beitrag geschrieben habe, aber tatsächlich ist es so: der Champion, der hot woas gschofft, aber natürlich nicht nur Fans. Austrofred jedenfalls, der in seinem Heimatland als einzig legitimer Nachfolger Freddie Mercurys gilt, hat zwei wegweisende Bücher geschrieben, die jedem aspirierenden (und, um in der Stimmlage zu bleiben, wie es bei uns Künstlern heißt, auch transpirierenden) Blogger mit Unterhaltungs- und Aufstiegsambitionen auf den Nachttisch empfohlen seien.
Vor allem Alpenkönig und Menschenfreund schildert auf großzügige und beinahe übermenschlich philantrophische, gleichzeitig aber bescheidene Art, wie man das eigentlich macht: ganz nach oben kommen, ehrliche Konzerte geben und angemessen mit der Wärme und Aufmerksamkeit der Fans (was dann zwangsläufig kommt) umgehen. Tips also zur Vorbereitung, zum Outfit, zur Show und zur Aftershow, für den steinigen Weg bis zum "Gipfel" - aber auch ganz aufrichtige und selbst im Innern berührende Bekenntnisse wie in dem Kapitel "Ich war als Kind viel traurig..."
Der Champion, wie er zurecht genannt wird, hat sein Publikum gezähmt, ist Profi durch und durch, zugleich aber hochsensibel geblieben: Weu du stoiz bist, wenn du wanst, und di trotzdem zuwelanst, drum wü i di... heißt es in einem seiner Liebeslieder. Da bleibt kein Auge trocken. Ich rechne noch in Schilling sagt es, wie es, äh, ist.
Jetzt aber Schmäh beiseite, was mich wirklich am durchgeschwitzten Hemdkragen gepackt hat, war die Entdeckung der anderen Seite meines verlorenen Zwillings vom Austrofred. Mir hat natürlich wieder keiner was gesagt, dabei gibt es die Band schon seit Jahren. Kreisky nämlich. Und für jemanden, der die diversen, teils sogar in Berlin lebenden Ableger der Hamburger Schule nur noch so lala findet, ist das die große Offenbarung einer angenehm mißmutigen Mission. Alben wie das hier titelgebende Mein Schuld, meine Schuld, meine große Schuld nehmen an der Stelle, an der in den 90ern Bands wie Blumfeld die Abzweigung zur Autobahn Großschlager genommen haben, die rumpelnde Landstraße mit Pathos, Dreck und Wiesenblumen am Straßenrand. Neigungsgruppe Musik mit jeder Menge schlechter Laune. ("Schlechte Laune vom Feinsten", wie man heute wieder öfter liest.) Texte, bei denen jede Zeile ein Zitat ist. Wo man denkt, hallo, wie kann das angehen, daß da jemand meine Band gründet? Nur weil ich jahrelang hier herumgegondelt bin statt auf verschmuddelten Bühnen? Macht aber nichts, denn es gibt diese Gruppierung nun immerhin, und mein Asthma ist jetzt praktisch weg.
"Brüssel" ("Du hast jetzt neue Sichtweisen") könnte man für mich auch durch den Namen anderer Städte ersetzen, Berlin käme da in den Sinn, kommt alles aufs selbe raus. "Reggae-Platten und Zimmerpflanzen/Schade um das Geld" heißt es dort über das desillusionierte Ende übertriebener Romantik. Man muß das eben alles ganz nüchtern sehen. Wir reden hier über Restwürde. Im Januar erscheint das vierte Album Blick auf die Alpen. Hört sich an wie ein Jahresmotto.
Wo wir dabei sind: Franz Adrian Wenzl, um den handelt es sich, hat mit Fotografin Conny Habbl das ganz wunderbare Buch Herzbrech Hotel herausgebracht. Eine fotografisches Roadmovie durch Hotels und Pensionen mit Namen wie "Angst" oder "Zorn" oder "Zweifel". Für die, die noch ein Geschenk suchen. (Ich hab's aber schon.)
>>> Kreisky, Die Menschen sind schlecht (live)