Dienstag, 11. Oktober 2011
spazieren in den Gängen. Eine Zahl
hat jeder Kranke.
(Georg Heym, "Das Fieberspital")
Hier ist wieder der Bordcomputer der Nostromo. Man hat mich vorerst nach Hause entlassen, Rückkehr vom Alienplaneten, Wiedervorstellung zur Kontrolle in sechs Monaten. Ein Ausflug war das nicht. Wo andere ihren wohlverdienten Urlaub machen und hübsch unschuldig in der Sonne liegen, habe ich zuletzt wohl ein Händchen für eine Art defekten Sommer entwickelt. Wenn ich es recht erinnere, war ich in Lissabon zuletzt in einem als solchem gefühlten Urlaub. Aber das ist schon Jahre her und war sowieso ein anderes Leben. Abenteuerlich ist es schließlich genug, wenn man sich nicht nur gelähmt fühlt, sondern so auch eines morgens erwacht. Der erste Arzt ist noch unbeeindruckt, der nächste, weil da irgendwas immer weiter durch den Körper schleicht und Türe um Türe schließt, aber wird hektisch, und plötzlich geht alles ganz schnell.
Wenn man dann so in der Röhre liegt, und ich kann nun verschiedene MRT-Typen und Modellreihen allein am Sound unterscheiden, und den Top-40-Schmusesoulbrei im Kopfhörer für die größte Folter hält, kennt man einfach den Überraschungsmoment nicht, wenn sie statt der Lendenwirbel auf einmal anfangen, den Kopf zu scannen. Man ahnt dann auch ohne weitere medizinische Grundausbildung, sie werden dort keine Bandscheibe finden, die suchen etwas anderes. Es ist diese Szene aus Alien³, als Lt. Ripley in den Untersuchungsscanner steigt, weil sie schon einen Verdacht hat und tatsächlich das Alien in ihrem Körper entdeckt. Man kann dann lange überlegen, wie Steve McQueen in einem solchen Augenblick reagieren würde. Mir jedenfalls wurde es doch recht eng, eingepfercht in diesem Stahlgitter auf Kopf und Brust und einem Konzept namens Scheißangst.
Man spricht dann von einer "Struktur", die man gefunden hat, drückt sich um das T-Wort und das K-Wort, der Überweisungsschein aber verrät deutlich mehr und mir schon zuviel, nur wirklich eilig sei es jetzt nicht, man will am Montag weitersehen. Beherzt humpel ich übers Wochenende an die See, da war ja noch diese Idee von Urlaub und dringend nötiger Erholung, noch einmal bitteschön die Füße ins Wasser tauchen und im Schnelldurchlauf überlegen, wer später mal die E-Gitarre und die Bücher bekommen soll. Ob es noch lohnt, offene Rechnungen zu begleichen, sich irgendwo zu entschuldigen oder einen Streit anzufangen.
In der Klinik dann feste Händedrücke, wieder Bilderschau, wieder wackeln Köpfe über weißen Kitteln. Man redet über Risiken, die Sau sitzt im Rückenmark, ich mache mit den Händen rollende Bewegungen links und rechts vom Stuhl, der eine weiße Kittel nickt, der Neurochirurg indes blickt noch mal schräg auf die Bilder und sagt, so als betrachte er die Schluchten am Hindukusch, also irgendwie glaubt er nicht daran. Aus der anderen Ebene sehe es doch eher aus wie... und so lerne ich auf meiner Reise quer durch den Pschyrembel die nächste Abteilung kennen. Hier hat man auch ein Bett, was nicht selbstverständlich ist im großstädtischen Spitalbetrieb. Zurück ins Lumbale: die Punktion bringt weitere Aufschlüsse, der Schatten ist auf einmal transzendend, da hat sich doch tatsächlich eine andere Sau getarnt. Wie in einer flackernd belichteten Herbstpantomime holen die Ärzte wieder ihr ernstes Gesicht hervor und munkeln die nächste auch nicht wirklich frohe Diagnose. Ich bin Melancholiker, erkläre ich, aber doch nicht krank und versuche eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Ich kann aber mittlerweile den Arm nicht mehr gut bewegen.
Übers durch den Feiertag verlängerte Wochenende wartet man die Laborergebnisse ab. Vorsichtshalber beginnt man mit Infusionen gegen dieses und jenes und alle möglichen bekannten und noch unbekannten Viren, es käme auch einer in Betracht, meint der Arzt, den man sich quasi nur auf Frachtern auf der Linie Java - Sumatra zuziehen könne, aber in einer Hafenstadt wüßte man ja nie. Auf dem Tropf steht "... in Ringel-Lösung", was wahrscheinlich auch Steve McQueen sehr witzig finden würde. Leider heißt es in Wahrheit "Ringer-Lösung", und darum geht es dann wohl: ein Ringen um Antworten, um Bewegungsfähigkeit, um ein Behaupten und das große Überhaupt.
Am Ende bleibt alles vorerst unspezifisch, was nichts daran ändert, daß ich mich derzeit wahlweise fühle als sei ich unter einer Müllauto geraten oder wie das Müllauto selber. Ich bin um viele Dinge froh. Zum Beispiel, daß ich meinen Arm wieder bewegen kann und einige andere Dinge auch. Daß da ein langer Weg liegt, aber immerhin ein Weg. Das Daumendrücken hat offenbar geholfen, dafür noch einmal von Herzen vielen Dank. Ich war in den ersten Tagen wirklich orientierungslos. Schön, daß so viele plötzlich links und rechts standen. Danke.