Freitag, 19. August 2011


Kalter Fisch



Da will man ein Leben, glatt und rund und blau wie die Erde im Planetarium betrachtet, und da kommt einer daher, dem die Welt wie scharfkantige Steine ist, wirft einen aus der Balance und buchstäblich die Brocken vor die Füße. Shion Sono ("Hair Extensions", "Suicide Club") zeigt so einen in Cold Fish, einen Gute-Nacht-Film, den ich grad auf dem 25. Fantasy Filmfest sah.

Eine Art Familie mit umgekehrten Düsenantrieb, ein dysfunktionaler Trostlosigkeitshaufen, gerät in eine Variante von Sexy Beast, in der statt Ben Kingsley der japanische Komiker Denden einen völlig duchgeknallten Zierfischhändler und noch viel duchgeknallteren Serienkiller spielt. Der farblose Fischhändler Shamoto (Mitsuru Fukikoshi) läßt sich vom scheinbar hilfsbereiten Kollegen Murato (Denden) einlullen, ehe er merkt, daß der impulskontrollgestörte Typ ihm erst Tochter, Frau und dann sein Leben klaut. Da ist es natürlich schon zu spät, Duckmäuser Shamoto sagt weiter brav Ja und Ja, hilft, eine Leiche zu entsorgen, die Yakuza zu belügen und Muratos blut-, mord- und sexgeiler Frau Aiko zu widerstehen.

Das verspricht im ersten Drittel ein düsteres, in tristes Graublau getöntes Familien- und Gesellschaftsdrama zu werden, ein Rapport über Ich-Schwäche und Borderline-Furor, über einen Jedermann, dem Stück für Stück die Existenz genommen wird, kippt dann aber in eine schwarzhumorige Killer-Groteske mit kübelweise Blut, Gedärm und Psychopathen, die in albern entgrenzter Louis-de-Funès-Manier Leute töten und in Decken gewickelt von links nach rechts maneuvrieren, um sie dann mit Fleischermessern zu zerlegen und "unsichtbar" zu machen, wie Murato tönt. Das alles basiert - man kennt das ja - auf dem wahren Fall eines japanischen Hundezüchters und seiner Frau, die mindestens vier Menschen grausam umbrachten - der Film macht daraus 58.

Leider hält das Erzähltempo mit dieser irrwitzigen Steigerung nicht ganz mit. Wie bei Sono offenbar typisch ist der Film im Grunde überlang, gemessen jedenfalls an der - für psychologisch geschulte europäische Betrachter - doch eher banalen Geschichte. Immerhin, von etwas schläfrig inszenierten Durchhängern im letzten Drittel abgesehen, ist der Großteil recht kurzweilig inszeniert, turbulentes Bauerntheater manchmal, aber irgendwie auch faszinierend. Der drangsalierte Waschlappen Shamoto verliert irgendwann seine Brille, dann die Geduld und schlägt, obgleich er kaum noch durchblickt, schlechtgelaunt zurück. Im misogyn getränkten Amoklauf eines gekränkten Mannes, der endlich die Schnauze voll hat, ("Falling Down" läßt grüßen, man achte auf das weiße Hemd), weist Shamoto Frau und Tochter brachial an ihren Platz, stellt die daheim gewünschten patriarchalen Verhältnisse wieder her und das hysteriebedröhnte Gangsterpärchen kalt. Obsessiv wie Jan Fabre mit seinen Bic-Stiften, dolcht er mit einem Kuli für sein Recht, dabei Blut statt Tinte spritzend.

Zum Finale Thalia-Theater, Macbeth, die Scherenschnittversion eines Ideendramas: machtgeile Frauen, schwache Männer, am Ende schwimmt alles in Blut. Das ist manchmal schauerlich, oft absurd komisch, immer recht bedrückend und nur ab und an ein wenig wie ein kalter Fisch.

(Cold Fish. (Japan 2010). Regie: Shion Sono)

>>> Trailer

Super 8 | von kid37 um 01:23h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link