Mittwoch, 16. Juni 2010


Um die bunten Häuser




Letzte Woche wurde in Hamburg darüber diskutiert, wie die regelmäßigen und von mir bewunderten Fahrradexkursionen des Herrn Kelly zu beurteilen sind. Mit seiner Gefährtin ist er dann mal eben vier, fünf Stunden unterwegs, besichtigt Gehöfte und Museen, führt Gespräche, liest währenddessen ein, zwei Bücher, macht viele Fotos und hat am Ende 65 km auf dem Tacho und einen ausführlichen Blogbeitrag zusammen. Doch, kann man schaffen, hieß es. Ich wies darauf hin, bislang gerade mal auf 42 Km gekommen und anschließend halb tot die Treppen zu meinem Leuchtturm hinaufgewankt zu sein. Aber gut, mein fliegender Holländer ist aus massivem Eisen und dazu habe ich immer Gegenwind, also ein echtes Radfahrerproblem. Nun gibt es aber nur zwei Dinge, die mir ein begeistertes Flackern in die Augen zaubern können. Über das eine kann ich vor 22.00 Uhr in diesem Internetz nichts schreiben, und das andere sind: Probleme. Man gebe mir etwas Geheimnisvolles, Herausforderndes, ein zickendes Linux-System etwa oder andere Dinge, von denen ich keine Ahnung habe, und sieht mich über Stunden abgetaucht, bis ich am Ende, erschöpft, aber glücklich mit dem Sicherheitscode für die deutschen Goldreserven wieder auftauche. Linux geht dann möglicherweise (aber nicht zwingend!) immer noch nicht, aber ich fühle mich trotzdem wie ein reicher Mann.



Als kleines Trainingslager vor dem Auftaktspiel der deutschen Mannschaft galt es dieser Tage, die magische Grenze zu knacken. Das Ziel war ein mythischer Ort, die Bunthäuser Spitze nämlich, wo sich Norder- und Süderelbe trennen, ein Umstand, der hier in der Gegend leider nur unzulänglich gewürdigt wird. Das Wetter umhüllte den Tag sonnig bis grau, auf den langgezogenen Industriestraßen (dabei immer diesen elenden Kalauer im Ohr, "Heute/fahr'n wir durch die Peute/Ja, wir..." zur Melodie eines bekannten Schlagers von Tony Marshall) natürlich wieder nur Gegenwind, dazu mischten sich Geruchswolken ungeklärter Schadstoffgrenzen, die mich auch gleich so benebelten, daß ich ab und an in die Irre fuhr - Hauptsache aber, der Kilometerzähler addierte fein mit.



Irgendwann fährt man aber gemütlich am Deich lang, dazu der Geruch von frischgemähtem Gras in der Nase, ein Versprechen auf Sommer also, links und rechts ducken sich an kleinen Anliegerwegen hübsche alte Bauernhäuser, kauern dort unter reetgedeckten Dächern, blinzeln mit einzelnen Fenstern zum Deichweg herüber, der weiterführt - an Kaffee und Kuchen vorbei - bis die Spitze erreicht ist. Der Ort selber ist eher unspektakulär: Der Leuchtturm hat die Höhe einer ordentlichen Bibliotheksleiter, von dort aus sieht man das Wasser, wie es linksheröm und rechtsheröm vorbeiströmt. Wo anderswo ein Deutsches Eck gebaut oder sich eine leichtbekleidete Blondine das Haar kämmen würde, um Schiffer und Radler zu verwirren, hält der protestantische Norden nur schlichte Binsen bereit (es mag sich auch um Schilf handeln), dahinter dann Wasser. Mehr aber nicht.



"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten", wispert der Heine in mir, aber weiter geht's, Ausflugsgruppen grüßend Richtung Stillhorn und der A1, die Autobahn, die Wilhelmsburg fast unüberwindbar entzweischneidet. Fast unsicher ob der richtigen Richtung geworden, radelt auf einmal ein Mädchen auf einem schicken Elektra an mir vorbei. Wo so ein Rad hinfährt, kann es falsch gar nicht sein, denke ich mir, und fahre entspannt hinterher (Mit "Im Wagen vor mir" einen weiteren doofen Schlager im Ohr), habe sie aber bald verloren, bloß, weil ich mal kurz auf die Karte gucken wollte. Story of my life. Irgendwo nach Neuland führt der Weg, ein sprechender Name womöglich, entdeckt habe ich dort aber nur Wasserski auf einem Baggersee. Auch so ein Sport.


Im Moment, als die Anzeige umsprang, erschallten Engelstrompeten, die sich, es wird niemanden wundern, als südafrikanische Kulturplastiktröten herausstellten.

Der Rückweg dann mehr ein Kampf gegen die Uhr. Efeuumrankte Backsteinhäuschen, mißtrauische Stiere auf einer Weide, der Singsang der Vögel als letzter Gruß, eine Mehlschwalbe eilt mir voran, wie dem Ancient Mariner ein Albatroß, winkt mich weiter nach Wilhelmsburg über die alte Harburger Elbbrücke, ein erstaunlicherweise erhaltenes, über hundert Jahre altes Bauwerk. Die Luft füllt sich wieder mit den Ausdünstungen von Baustoffen, Gewürzen, Recyclinghöfen, die bemerkenswerte Mischung des Hafengebiets, über die - anders als über die Berliner Luft - noch kein Schlager verfaßt wurde. Die 50 Km nehme ich achselzuckend zur Kenntnis, denn längst tritt es sich wie von selbst. Bei 58 indes hätte ich zu Hause sein können und sehr, sehr gerne auch wollen, aber ein letzter... kleiner... Umweg... mußte noch sein. Die 60 springt um, olé, olé, olé olééé´, ich könnte jetzt locker noch... Aber nach fast fünf Stunden kann man es gut sein lassen. Ich halte fest: Es ist tatsächlich machbar, auch mit dem Holländer, der sich nicht als verflucht erwies - das Kap der 60 ist umrundet. Eine nette Tour, auf der ich mit erstaunlich vielen Menschen sprach, mit welchen, die nach dem Weg fragten, mit anderen, die irgendwo an ihren Booten schmirgelten und zuletzt auf der Elbbrücke mit zwei jungen Damen in schwarzrotgoldener Fanmontur, die vorbeirasende Autofahrer animierten und auf das große Spiel einstimmten. Doch ich muß weiter, ich lege nur alle sieben Jahre an.