Mittwoch, 28. Dezember 2005


Keine Nachtmahr vor Weihnachten



An manchen Tagen setzt auch Herr Kid die rosarote Brille auf (auch wenn ich mit der alten ziemlich gut klar kam). Dann steige ich hinab in den Keller, hole das Lachen ab und die Benachrichtungskarten und fühle mich auf dem Postamt richtig überrascht.

Vielen Dank, ich bin sehr gerührt. Meine erste Neubauten-CD seit Jahren zudem, nein, die erste sogar. Die anderen sind noch aus seligen Vinyl-Zeiten.

"Silvester bin ich wieder in der großen Stadt", meinte ich gestern - und mein Bruder lachte feist und meinte, "Wenn Du bis dahin wieder hier wegkommst." Tatsächlich waren die Wuppertaler Höhen binnen einer halben Stunde bedenklich eingeschneit. Weiße Weihnachten, mitten aus der lameng, wie man dort so sagt. Die dritte CD unterm Baum stammte von den Wupperhofern, "einer der ältesten Männerchöre der Welt", wie das Booklet verrät. Die Jungs von 1812 e.V. sind zwar Solinger, aber da will ich mal nicht so sein. Sie schmettern jedenfalls eine ergreifende Version des Bergischen Heimatliedes. ("Hebt kühn sich zum Streite/die bergische Faust/dem Freunde zum Schutz/dem Feinde zum Schand" und natürlich, unsterblich: "Wo die Mägdlein so wahr/und so treu und so gut/Ihr Auge so sonnig, so feurig ihr Blut/Wo noch Liebe und Treue/die Herzen Verband - da ist meine Heimat, mein Bergisches Land.")

Heimat, Herz und Heizdecke. "Würdest du noch mal hierherziehen?" fragt mein Vater. Ich kann es mir derzeit nicht vorstellen. Wenn ich ab und an zurückkehre, bemerke ich als erstes den Verfall. Den Niedergang der alten Geschäfte, vergessene Leuchtreklamen an den Hauswänden, die zerrissenen "Neueröffnung"-Banderolen, halb überklebt von den "Zu vermieten"-Schildern. "Der Ku'damm", sage ich, "ist kilometerweit mit Lichterketten geschmückt, als gäbe es kein Morgen. Kein Wunder, daß Berlin nicht mehr mitbekommt, wie es um die wirkliche Welt steht."

Erinnerungen, die bleiben. Ein paar schmutzige Fotos, die einst ein glücklicheres Leben versprachen.

Der Bundespräsident benutzt einen Tonfall als spräche er zu Dreijährigen. Jeden Anfang eines neuen Absatzes betont er als wolle er sagen, "Ja, liebe Kinder, gebt fein acht...". Er spricht von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Aber nur ein "bißchen": "Ein bißchen mehr Ehrlichkeit."

Er hat recht. Wir wollen ja nicht gleich übertreiben.