Dienstag, 20. Juli 2004
Vor einigen Jahren erstand ich in einer dieser wunderbaren kleinen französischen Buchhandlungen ein Werk des französischen Comixzeichners Joann Sfar. Hierzulande ist er hauptsächlich durch die "Don Jon"-Serie bekannt, die mir aber nicht so gefällt. Im Grunde ist Sfars Zeichenstil gar nicht der meine. Ich bin ein Freund der ligne claire, Sfar ist mir schon zu krikelig.
Aber der "Petit Vampire" hatte es mir sofort angetan. Die Geschichten um einen kleinen Waisenjungen, der ein Vampirkind kennenlernt und fortan aufregende Abenteuer und tolle Monsterparties erlebt, sind ganz nach meinem Geschmack. Und da ich ja schon ein älteres Kid bin, war ich regelrecht beglückt, als ein Kollege mich auf die Serie "Le Grand Vampire" aufmerksam machte. Der kleine Vampir ist erwachsen geworden und darf jetzt auch mit Gothic-Bräuten flirten, mit ihnen nachts über den Friedhof ziehen, sich über Marilyn Manson und "le gothic punk" unterhalten... Und - ganz wie im richtigen Leben - Sex gibt es natürlich nicht.
Fernand der Vampir hat nämlich Kummer. Seine Freundin, die druidische Baumfrau, hatte ihn schnöde verlassen. Das war ein eher bedrückender Moment im lebenslangen Leben des Vampirs. (Später ist es die Baumfrau, die Fernand eine "zweite Chance" geben will. Vorausgesetzt, er spioniere ihr nicht wieder nach. Als Fernand sich ereifert, er hätte ihr nicht hinterherspioniert, sondern sie bei einem Besuch seines Freundes Michel in dessen Bett vorgefunden, kontert die Baumfrau kühl, mit ihm könne "man ja nicht reden, er sei ja cholerisch". Groß!)
Als später dann die rothaarige Goth-Punkette Aspirine bei ihm einziehen will, die sich sehr rauh und kühl gibt, aber in Wahrheit leicht verletzlich, jähzornig und einsam ist, reagiert der Fernand der Vampir wie es sich für einen Hagestolz gehört: "Tu t'installes pas chez moi. Pas question. Ça fait même pas une nuit que je suis célibataire, alors j'aimerais bien être un peu tranquille." Aspirine ist nämlich eine kleine Drama-Queen. Ihre Freunde, die laut, roh und reichlich stumpf ständig Gothicparties auf Friedhöfen feiern, gehen dem sensiblen Schöngeist Ferdinand rasch gehörig auf den Sender. Ich weiß nicht, woher Sfar mein Leben kannte, aber es ist schön, so etwas schön bebildert zu lesen. Da braucht es kein Tagebuch.
Tranquille. Ruhe. Es gibt nichts schöneres. Gleich mal alle drei Panzerriegel vorlegen, die Zugbrücke zum Kanal hochziehen und - lesen.
Bebändert stürzt ein Mar durch ihre Betten,
der ihre Köpfe schlagend, sie erschreckt.
Wie gelbe Schlangen auf verrufnen Stätten,
So wiegt ihr fahles Haupt, von Nacht bedeckt.
(Georg Heym, "Die Irren". 1912.)
Oha. Und ich dachte, ich wäre durchgeknallt. Aber es geht immer noch doller.
Hingegen düster und schön und bedrohlich.
Vielleicht etwas versöhnlicher, ein Zimer mit Ausblick.
(Von Yoko Ono gab es das mal. Eine Karte mit einem kleinen, kreisrunden Loch in der Mitte. "A hole to see the sky through.")
Doch dann, für den Weg in die dunklere Nacht. Entblätter das Raubtier,
the pussy still fertile, the fangs fixed into the wind.