Samstag, 3. Juli 2004
Nachdem ich all die guten Ratschläge meine schwere Erkrankung betreffend befolgt habe (außer der Sache mit der nassen Wollsocke. Damit konnte ich nicht so recht warmwerden. Ich war allerdings froh, daß mir nicht empfohlen wurde, einen Tee daraus zu kochen), geht es mir heute besser etwas besser. Schnüff.
Zeit also, sich die Hagebuttenteeinfusionsnadel aus dem Unterarm zu ziehen und den Tropfhalter beiseite zu schieben. (Notiz: Unbedingt einen rollbaren Infusionsständer zwecks erhöhter Mobilität irgendwo abgreifen!)
Frische Luft war das Gebot des Tages, und so wagte ich mich zwischen zwei Schauern nach draußen. Angenehm mild war es für Herbst und ich konnte die Lederjacke sogar offen tragen.
Die rote Nase rührte bloß vom Schnupfen her. Mir war nach hautschmeichelnder Luft, gesunder Lebensweise, meinetwegen kitschigem Frieden und ein wenig Versprechen. Und ein bißchen bunter Erlebniswelt, aber nicht von diesen rosabepuschelten Teenagern, die heute wegen "Schlagermove" Asti-Spukante-befeuert die U-Bahn besangen. Also auf zum Flohmarkt. (Neuerdings trifft man dort sogar den ein oder anderen Hamburger Blogger, das ist ja dann auch nett.)
So ein Flohmarkt ist ja im Grunde eine begehbare Assemblage. Alle möglichen Ex-Einrichtungsgegenstände, Bücher, Klamotten, Schrott und Konkursmasse liegen einfach auf dem Boden herum. Das sieht man in dieser chaotischen Anordnungen höchsten noch bei Schwitters und Léger im Museum. Anders als im Guggenheim aber, darf man auf dem Flohmarkt alles anfassen. Hätte ich Kinder, die ich als alter Hagestolz nicht habe (ich zähle jetzt mal die zwei Jahre mit "Beutekind" nicht dazu), die würden von mir Woche für Woche gnadenlos auf den Flohmarkt geschleift.
Neben den haptischen und visuellen Sensationen bekommen sie gleich einen Eindruck vom Prinzip der Vielfalt und der Originalität der Dinge. In den selbstähnelnden Fußgängerzonen der westlichen Welt mit ihrer abgenudelten optischen Melodie von Filialketten und dem identisch geklonten Warenangebot kann man diese Erfahrung nicht mehr sammeln. Auf dem Trödel aber läßt sich alles begrabbeln und betatschen und von mir aus in den Mund nehmen. Die Dinge dort bieten einen Überblick über längst vergessen geglaubte Zeit- und Stilepochen. Fälschlich im Müll entsorgt geglaubter Plunder, Reste von Wohnungsauflösungen - alles wird an das oftmals nicht unbrutale Licht offener Plätze gezerrt. Ähnlich wie eine Galerie wird der Flohmarkt zur Wertanstalt: Der einst massengefertigte Schrott der Billigheimer verliert durch Zahn und Zeit seinen seriellen Charakter und wird zum Unikum, zum Einzelstück mit Patina und Sammlerwert.
Daneben gibt es echte Pretiosen wie dieses Gemälde hier. Offensichtlich von Meisterhand gemalt, ohne piefige Rücksichten auf Perspektive und Anatomie, zeigt sich hier eine Szenerie voll hautschmeichelnder Luft, kitschigem Frieden und gesunder Lebensweise. (Wobei nicht klar ist, ob sie in ihrer rechten Hand, die leider, Schnappschuß eben, nicht mehr aufs Bild paßte, nicht doch eine Zigarette hält. Aber dieses nette Frollein, deren Augenpartie ich wegen der Anonymität im Internet extra ein wenig verdunkelt habe, macht so etwas bestimmt nicht.) Hinter sich die offene See sitzt sie naeckisch in den Dünen, den Blick einladend an den Betrachter gerichtet. Was wird sie wohl sagen wollen? "Schöner Mann, verweile doch", oder "Hilfst Du mir, meine zarten Füßchen zu finden?" (Wär der Maler nur einen Schritt zurückgegangen, sie hätten noch aufs Bild gepaßt.)
Wahrscheinlich aber sagt sie in einem solch romantisch angehauchten Moment nur etwas ganz profanes. Etwa: "So, jetzt kannst du Brötchen holen", oder sie sagt etwas kühles. Nein, mein Mädchen, dich hab' ich durchschaut. Mein Schnupfen und ich, wir gehen ungeküßt nach Hause.