"Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte."
(Franz Kafka. Amerika. "Der Heizer". 1935.)
Heute war ein warmer Tag. Der Mann, weder sechzehn (zum Glück) noch vom Dienstmädchen verführt, sitzt am Kai an der Kehrwiederspitze und schaut nach Amerika. Keine falsche Moral treibt ihn hinaus. Es war ein Tag, wie mit dem Schwert gezeichnet. Früher oder später, sagt man dann für gewöhnlich. Früher oder später wäre dieser Tag so oder so gekommen. Nun war es früher oder später. Das ist keine Frage der Uhrzeit. Man hält es zusammen, so gut wie man kann. Und sieht es zerbrechen. Ein Uhrglas zerspringt.
Nachts ist es immer noch kalt. Stimmen aus einer Ferne. Hundegebell. Auf verrosteten Gleisen steht eine ausgebrannte Lokomotive. Am späteren Horizont eine Kette aus Licht. Das ist die Köhlbrandtbrücke. Man lauscht dem monotonen Gesumm eines öligen Generators. Auf halbem Weg, zwischen niemand und nichts, liegt ein russisches U-Boot vertäut. U-434, ein schwarz-metallener Wal, abweisend und kalt. Ich klopfe an.
Doch der Kapitän hat das Boot verlassen.
"Alle Angst der letzten Stunden verschwand." (Kafka, Fragmente.)
Da an der Kaimauer müßte ich allerdings fürchten, jemand wolle mich bloß runterschubsen.
Eine weitere Leserin wies mich darauf hin, daß der Titel "Kehrwieder" grundfalsch sei. Ich wähle also neu, krame bei New Order und nehme "Shellshocked".
[Edit 13.39 Uhr: Eine dritte Manchmal-Leserin meinte gerade am Telefon, der Alternativtitel wäre ja nun reichlich pathetisch. Also bitte. Sonntags diskutiere ich nicht. Da hab ich frei. Das ist doch hier kein Wunschkonzert. Das bleibt jetzt so.]
Und überhaupt, was heißt denn runterschubsen?! Wenn ich Ihnen jemanden da hin wünsche, dann ja wohl nur jemanden mit in Ihrem Sinne besten Absichten.
Sollten Sie sich allerdings nichts sehnlicher wünschen, als mal von der Kaimauer geschubst zu werden, ginge das natürlich auch in Ordnung.
Noch mehr Pathos? Nein, heute nicht.
Sie haben recht. Womöglich wünsche ich mir nichts sehnlicher. Manchmal ist ctrl+alt+delete nicht genug zur Selbstauslöschung.
Man muß vorsichtig sein mit seinen Wünschen. Sie könnten in Erfüllung gehen. Und sei es nach vier Jahren.
Glücklicherweise ist eine meiner Stammleserinnen eine ausgebildete Rettungsschwimmerin. Vielleicht muß ich die Nähe zur Kaimauer nicht mehr so sehr fürchten.
Der Titel war jedenfalls missverständlich. Jedenfalls war kein Imperativsatz gemeint. So blöd wäre nicht einmal ich.