Gruselfamilienaufstellung



Derzeit spielen ja viele mit KI herum, bringen diesem Statistik-plapperndem Papageien also bei, wie man Texte schreibt oder Bilder malt. Ich habe mich damit ja auch eine Zeit lang intensiv beschäftigt und einen gewissen Spaß daraus gezogen, aber dann trat eine gesättigte Langeweile ein. Manche Formate, den pseudo-analogen Schmelz von Midjourney etwa, kann ich schlicht nicht mehr sehen. Der wohlige Schauder der ersten Nacht Ergebnisse, als ich dachte, Midjourney sitze in meinem Kopf und bringe meine Träume zu Papier, hat sich ebenfalls gelegt.

Gut hingegen, dass ich so viele Bilder aus dem 19. Jahrhundert von Flohmärkten und Dachklammern gesammelt habe und darüber erzählen kann. Wie dieses Familienbild einer Halloween-Nacht von 1871. Längst nicht so überdekoriert wie heutzutage präsentiert sich die viktorianische Musterfamilie (1 durch seinen Schnurrbart definierter Ehemann, seine ihm liebevoll angetraute Frau, 1 Sohn, 1 Tochter) bereit fürs Samhain oder wie auch immer man diese Spökerei um Allerheiligen bezeichnet. Ein dezenter (dafür wohl echter) Totenschädel (vom Erbonkel erhalten oder durch die damals verbreitete Grabräuberei günstig erstanden) auf dem Nachttisch, ein bisschen Schminke und Schrecken im Gesicht war zu diesen lampenölig beschimmerten Zeiten freudige Ausstattung genug, um kleinen Tricksern und Trötern, die abends zur Haustür schlichen, Schrecken einzujagen. Die Bediensteten verteilten selbstgebackene Kekse, die Familie schaute vom Herrenzimmer aus zu, bedacht, nicht mit dem niederen Gruselmob in Kontakt zu treten.

Obschon ich an Halloween ähnlich andeutungsweise verkleidet und mit der mir eingeschriebenen gewissen Gravitas auf einem Stuhl bei der Eingangstüre warte, das Glas mit meinen Emotional Support Leeches neben mir auf dem Boden, klingeln die kleinen Lauser seit Jahren nicht mehr bei mir. Gut, vierter Stock, das macht man mit dünnen Gespensterbeinen nur einmal. Zumal, wenn man dabei noch abgefragt wird über Sinn und Hintergrund des Festes, der sozial verbindenden Natur von Gebräuchen und Ritualen, den Unterschieden im Grad der Fröhlichkeit zum mexikanischen Totenfest, dem Aufzählen von wenigstens sieben Heiligen oder wahlweise irischen Städten oder europäischen Fledermausarten.

Wie heißt es? Es braucht ein ganzes Dorf von toten Geistern, um junge klappernde Gespenster zu erziehen.

Homestory | 13:08h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frau eff - Dienstag, 7. November 2023, 07:16
Ich vermute, diese Familie sitzt in einer Wohnung in Brüssel und leitet damit die Fortsetzung Ihres Reiseberichtes ein.

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kid37 - Mittwoch, 8. November 2023, 10:09
Das wäre eine sehr gute Überleitung. Vorgestern sah ich, ich glaube auf TV5, eine Diskussionsrunde über Brüssel, wie es sich dort so lebt, wie es sich verändert hat und anfühlt. Das war ganz interessant als Spiegel für meine eigenen widersprüchlichen Eindrücke.

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