Jedes Jahr dasselbe Spiel im Tourneeplan. Ende des manchen goldenen, anderen schon spukigen Oktobers ("Spooktober") heißt es, alle Fäden zusammenhalten, Nerven auch, Mitternachtsklingklong, wer hätte das gedacht und schon wieder eine neue Zahl, die man sich für Nachfragen merken muss ("37plus"). Das Entrée in den neuen Lebensabschnitt war öffentlich-rechtlich angemessen. Gezeigt wurde vom Bayerischen Rundfunk spät in der Nacht der Film "Das Omen" (1976). Darin geht es passenderweise um die Geburt eines Sohnes, dem von den Eltern böse mitgespielt wird (Vater verbietet ihm z.B. einen Hund). Am Ende muss die Polizei eingreifen und - ich spoiler hier mal - der Junge kommt doch noch in gute Hände. Da wird man schon nachdenklich, wie es mir bei Filmen durch Über-Identifikation aber öfter passiert.
Am Tag dann ein Ausflug zu einem von Hamburgs weniger bekannten Museen. Das auch von mir lange und vielleicht etwas hochnäsig umgangene "Medizinhistorische Museum" auf dem Gelände des Universitätsklinikums hat sich über die Zeit zu einem echten Schatz gemausert. Betreut von überaus freundlichen Menschen (vom Fach) beherbergt der hübsche Backsteinbau neben der ständigen Sammlung auch größere thematische Schauen und Wechselausstellungen mit korrespondierender Kunst.
So erfährt man im Prunkstück des Museums, dem liebevoll restaurierten großen Sektionssaal aus den 1920er-Jahren, einiges über die Geschichte der Seuchen bis hin zu Corona. Neben vielen Dokumenten, Schaubildern und -stücken sind auch popkulturelle Augenzwinkereien dabei. So eines der berühmten "#TeamDrosten"-T-Shirts und eine Actionfigur von Dr. Fauci.
Klug und in ihren Untertönen ähnlich unaufdringlich gestaltet sind auch die Räume der Dauerausstellung. Der Raum zur Geschichte des Arztberufs ist ganz selbstverständlich übertitelt mit "Ärztin werden", darin sind für sich sprechende Schautafeln ausgehängt, die das Ungleichgewicht der Geschlechter bei Studium, Promotion und Habilitation zeigen. Eine feine Klinge oder besser Skalpell, das hier geführt wird. Die Sammlung technischer Geräte ist ebenfalls beachtlich: Neben einer fast frivol elegant anmutenden Eisernen Lunge (ein Schwestermodell steht in der Sammlung Virchow in Berlin) gibt es eine Vielzahl von Mikroskopen, Röntgenröhren, Durchleuchtungapparate und Labortechnik zu sehen. Selbst ein berüchtigter Durchleuchter ist zu sehen, wie er früher in manchen Schuhgeschäften stand und mit dem man sich "mal eben" unbefangen die Füße röntgen lassen konnte. Natürlich "bedenkenlos", wie es mit moderner Technik du Jour eben so ist.
Anders als in den medizinischen Sammlungen etwa in Wien oder Berlin sind hier in der ehemaligen Hamburger Pathologie keine Nasspräparate pathologischer Eigentümlichkeiten ausgestellt. Ein Herzstück aber sind die Moulagen, also Nachbildungen aus Wachs, wie sie bis heute in der medizinischen Ausbildung benutzt werden. Wer als Schüler:in noch die Lehrfilme der FWU ("Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht") erinnert, kann hier noch einmal die verschiedenen Stadien der Syphilis ("Kehrt zurück!") studieren und mit den unwillkürlich kribbelnden Flecken auf dem Handrücken vergleichen.
Lobend erwähnt sei auch der Umgang mit den dunklen Seiten von Medizin und Forschung insbesondere während der NS-Zeit. Die Biographien von Psychiatern wie etwa Hans Bürger-Prinz (hier ist auch ein Porträt von Conrad Felixmüller zu sehen, das die Stadt 1967(!) als Ehrung in Auftrag gab), die ungehindert über wertes und unwertes Leben entschieden und nach 1945 am UKE schnell wieder als Koryphäen ihrer Wissenschaft etabliert waren, wird ebenso Raum gegeben wie zu erschütternden Schaustücken gewordenen Karteikästen mit den Patientendaten aus Lagern und Psychiatrien.
Mit Einzelstücken unter anderem angenehm beiläufig in die Sammlung integriert und dazu in zwei weiteren Räumen präsentiert ist derzeit (bis zum 7.11.) die Ausstellung "Venusmaschine" von Kirsten Krüger. Anatomische, surreal verfremdete Objekte und Skulpturen und traumhafte Installationen wie das "Ameisenzimmer" finden hier einen idealen Ort und lohnen alleine schon den Besuch.
Ein schönes Geschenk, bei dem man viel lernt, sich ergreifen und begeistern lasen kann. Und Postkarten kann man vor Ort auch erwerben!
>>> Webseite des Medizinhistorischen Museums, Hamburg
Da hätte ich eine aparte Blog-Idee: retrospektives Bloggen.
Also zum Beispiel: "Wie es mir 2000 ging, und was ich aus Diskretionsgründen damals nicht gebloggt hätte, aber heute unverblümt veröffentliche!"
@Gaga: Rings um mich herum kommen jetzt Leute ins Alter für Memoiren. Las gerade den Entwurf einer befreundeten Musikerin. Mein Leben war/ist dafür zu unspektakulär, fürchte ich. Komme ja kaum vor die Tür.
📢Ansonsten will ich noch darauf aufmerksam machen, daß ich heute nicht zu SEE FOR FREE gehe📢
Fürs neue Lebensjahr weiterhin lohnswerte Ziele wünscht Ihnen Frau Eff.