Als ich im *hust* letzten Jahrhundert begann, mich intensiver mit Fotografie zu beschäftigen, war einer meiner großen Vorbilder der US-Amerikaner Ralph Gibson [Webseite]. Seine formal strenge, zugleich poetische, teils surreale Bildsprache, oft in überraschenden Juxtapositionen oder traum-logischen Fragmenten und Ausrissen, erschien mir ein reizvolles Spannungsfeld für eigene Experimente. Außerdem stammte das berühmte Innencover von Joy Divisions Album Unknown Pleasures von ihm.
In den 90er-Jahren ging sein Stern in der öffentlichen Aufmerksamkeit etwas unter, das waren grelle, schrille Zeiten vollgestopft mit cross-geposteter Farbknallfotografie, flashigem Aufhellgeblitze und wilder Partyekstase. Es schließ sich aber alles in Zirkeln, und so ist es schön, dass die Hamburger Deichtorhallen eine mittelgroße Retrospektive wenn auch etwas versteckt im hinteren Bereich der Halle für moderne Kunst zeigen.
Es gibt also einen Querschnitt durch die berühmten Zyklen (bei Gibson als Fotobücher - wir reden über eine Zeit, als das Fotobuch gleich einer größeren musikalischen Komposition, etwa einer Symphonie, mit einer gewissen Gravitas daherkamen. Weil auch: teuer in der Produktion und im Preis). Darunter die berühmte "schwarze" Trilogie The Somnambulist, Déja-vu und Days at Sea, eng beschnittene, zugespitzte, nie zufällige, teils aber konstruierte "Postkarten" unbestimmter Traumreisen und Straßenfunde. Gibson (ein Schüler Dorothea Langes und Robert Franks) ist da heute noch vorbildlich. Wer den bekannten Spruch "Ist das Foto schlecht, warst du nicht nahe genug dran" nicht glaubt, kann in seinem Werk studieren, wie banalste Alltagsgegenstände in hart konstrastierende Licht- und Schattenfelder platziert plötzlich die interessantesten Geschichten erzählen. Das gilt auch für seine Akte, von denen viele zeitlos, einige wenige vielleicht doch ein bisschen geschmäcklerisch sind.
Die Präsentation der Bilder schwankt zwischen erzählerischen Reihungen, "St. Petersburg" hin zu Kachelung. Bei letzterer Anordnung tanzen zwei aus der Reihe. Das ist so gewollt, denn bei allem, was ich oben erzählte, fehlt eins: der Bruch, der Spalt, durch den bekanntlich (Cohen) das Licht fällt. Die Tür, von der man nicht weiß, ob sie sich öffnet oder schließt.
>>> "Ralph Gibson - Secret of Light". Hamburg Deichtorhallen. Noch bis zum 20. August 2023.