Billkraft



Zur Triennale der Photographie in Hamburg ließe sich vieles sagen. Die aufreizend unübersichtlich gestaltete Webseite des Veranstaltungszirkus' ist nur ein Teil davon. Neben flankierenden größeren und länger laufender Ausstellungen in den Hamburger Museen und Kunsthallen, lag der Schwerpunkt zahlreicher kleinerer Auftritte gedrängt in der ersten Woche. Man muß sich halt ranhalten, wenn man im Leben etwas oder irgendwen erreichen will. Ausdauer ist hier wie da gefragt.



Das Kraftwerk Bille war wohl eines der interessantesten Spielstationen. Da gab es aus Bielefeld eine Gruppe junger Fotografen mit "Die Spuren der anderen", Found Photos und Archivmaterial vom Manhattan Project und aus Hiroshima (Max Ernst Stockburger), die überraschend verdichteten Hamburg-Perspektiven von Nicole Keller und Oliver Schumacher, die verschmitzten Blumen- und Insektenbilder von Eva Häberle oder die preisgekrönte Serie über Weltkriegs-Reenactments in Polen von Ostkreuz-Schülerin Natalia Kepesz.



In der alten Kesselhalle gab es Spuren der Vergänglichkeit (Claudius Schulze) mit berührender Taxidermie zu sehen - das Verschwinden der Arten dokumentiert mit gefiederten Aufprallopfern (Bürofenster), nah und tot zugleich.



Der Außenposten der Triennale im ansonsten kulturell weitgehend abgehängten Stadtteil bot auch die Gelegenheit, neben der immer mal wieder für Veranstaltungen geöffneten Kessselhalle einen Teil der an Künstler vermieteten Atelierräume zu besichtigen. Abbruchspuren, schrundige Wände, Investorenträume - die Zukunft des Areals ist noch nicht wirklich unter Dach und Fach und Tüte. Derzeit ist das alte Kraftwerk eines der in Hamburg dringend benötigten Möglichkeitsräume, ein Traumlabor und (meist versperrter) Freiraum, der zeigt, woran es in dieser auf Verwertung angelegten Stadt mangelt: Ungekämmte Kreativhüllen, die sich mit Ernstem und Unsinn, Spielerischem und streng Konzipierten füllen lassen.



Wo man dann sitzt, dort sitzt man dann. Das verwinkelte Gebäude mit seinen zahlreichen Positionen bietet hinter jeder Ecke überraschende Entdeckungen und Begegnungen, Entblößtes, Verhülltes und farbig verklärte Lichter. Treppen, Räume, Träume und Lebenspuren. Man muß sich Zeit nehmen, hier und da vorsichtig auftreten, Wege in den eigenen staubigen Spuren zurücklaufen, alle Türen offen lassen.

Flanieren | 01:55h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fidibus - Freitag, 17. Juni 2022, 03:26
Ist der Rippenheizkörper auf volle Pulle gestellt? Also zwecks Erwärmung des Publikums für die Kunst, oder so?!

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twasbo - Freitag, 17. Juni 2022, 11:38
Wir waren auch im Kraftwerk Bille, und ich kann nur bestätigen, dass dies der bei weitem interessanteste Posten (nicht nur Außenposten) der bisher gesehenen Foto-Triennale war. Hinreißend unfertig, widerspenstig, wild und bisweilen milde wahnsinnig in einem architektonischen Ambiente voller Abbrüche und Kanten. Mein Lieblingsschild an einer Toilette: "Auf keinen Fall benutzen, Rohr endet irgendwo zwischen den Etagen."

Wahnsinnig enttäuschend hingegen, einmal mehr, die Kernausstellung in den frisch geleckten Deichtorhallen samt provisorischem Haus der Fotografie. Schrecklich verkopft und durchideologisiert, überraschungsfrei, nahezu kunstlos. "Archivierungen"? Wenn ich die sehen will, gehe ich ins Archiv. Und für Weltbild-Korrekturen besuche ich lieber einen Parteitag. Allein schon das Motto des ganzen Theaters: "Currencies". Wird schon was heißen. 13 Euro fürs Kombiticket? Computer sagt nein.

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kid37 - Freitag, 17. Juni 2022, 18:16
Ich bin auch nur mäßig angeregt vom Konzept. (Und Farben und Marquee-Formatierungen aus den 90ern auf der Webseite reschen misch uff.) Zuviel Kuratorium und zu wenig Kunst in freier Blüte. Mehr Vorlesung als Schau, und dann alles so zerfahren. Wie unkompliziert doch das Kraftwerk war und sinnlich erfahrbar. (Wobei man auch dort Informationen brauchte. Die Serie mit der geklauten Kamera hätte man ohne den nur versteckt aushängenden Infozettel gar nicht verstanden. Ich lese die oft auch nicht, weil ich die Brille hochschieben muß und auch ein wenig ungeduldig bin. Das sind Aufgaben für Kuratoren!)

@Fidibus: Das Foto ist mein eigener Beitrag zur Triennale zum Thema "Borderline, Heißkalt" (Farbfotografie, Alu-Dibond, 20x30 cm. 1000,- Mark)

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fidibus - Samstag, 18. Juni 2022, 21:31
(Dass Sie dort ausstellen, war zu erwarten. Mich wundert allerdings, dass die Bilddiagonale Ihres Werkes nicht irgendwas mit 37 (Zoll, Meter, Dezimeter, was auch immer) beträgt. Wahrscheinlich ist das so ein Kunsttrick von Ihnen, um meine Erwartung zu unterlaufen. (Vom drüber Nachdenken ist mir jetzt ganz warm. Kunstanschauerin zu sein ist gelegentlich verdammt anstrengend!))

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kid37 - Montag, 20. Juni 2022, 12:47
Immerhin läuft die Kleinserie in einer limitierten Auflage von 35 Expl. (plus 2 Artist Proofs). Hoffe, die noch alle in diesem Jahr zu verkaufen, um den Hunger unterm Dach zu beenden.

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