Manchmal denke ich, mein Bart ist mein einziger Freund. Das ist natürlich Quatsch. Die Kunst ist mein einziger Freund und wurde sträflich vernachlässigt. So habe ich überhaupt noch gar nicht verinnerlicht, daß dieses Jahr wieder eine documenta ist. Die letzte mußte ich ja als einziger hier im Geläuf verpassen, denn da hatte ich ein Theaterengagement als ungnädiger Kranker. Aber nun habe ich mir ein Ziel gesetzt.
Auch im letzten Jahr habe ich einiges an Kunst verpaßt. So ärgere ich mich, daß ich in Wien nicht zu Berlinde de Bruyckere gegangen bin. Da habe ich mich selbst verzaudert. Dabei hat es hier so ein berührendes, sanftes Video dazu gegeben. Ich finde diese Frau jedenfalls sehr beeindruckend, sie hat eine angenehm ruhige Art. Später habe ich in Düsseldorf die sicherlich ebenfalls sehr beeindruckende Jean-Tinguely-Ausstellung mit den großen Maschinen verpaßt. Aber da hatte ich immerhin zum tröstenden Ausgleich und kleine Entschuldigung eine Lebensmittelvergiftung. So einen großen Wurf hat man ja auch nicht jeden Tag. Und im Grunde will so eine peristaltische Entäußerung ja mit einem performativen künstlerischen Akt verglichen sein. Ich denke, Marina Abramović hat bei ihren Aktionen auch nie mehr gelitten.
Versöhnlicher wurde es zum Jahresausklang. Nachdem ich die Eröffnung - um in der quasi erfolgserprobten Serie zu bleiben - ebenfalls verpaßt hatte, habe ich dann immerhin noch die Finissage von der von Herrn Krüger und Heiko Müller wieder ganz wunderbar gestalteten Jahresshow Don't Wake Daddy sehen können. Zwar gab es schon einige Leerstellen an der Wand, bei denen meine überschwengliche Imagination die Lücken füllen mußte. Aber schließlich sollte die Kunst auch hier und da unterm Weihnachtsbaum liegen, da habe ich Verständis. Bei der letztjährigen Ausgabe, der elften bereits, zeigten unter anderem wieder Veteranen wie Ryan Heshka (von dem ich jetzt ein kleines Comic-Abum besitze), Alex Diamond, Femke Hiemstra und Fred Stonehouse, Moki und natürlich Heiko Müller (meist) neue Werke. Ein großer Spaß, und mit großer gesundheitlicher Wirkung: Mir ging es gleich viel besser.
So soll und muß und kann es nicht anders weitergehen dieses Jahr. Ich darf mich nicht selbst beirren. Und schon gar nicht beirren lassen. Es fährt ein Zug zur Wilhelmshöhe.
Don't Wake Daddy XI. Feinkunst Krüger, Hamburg. 6. bis 23.12.2016