Anker werfen



In aller Herrgottsfrühe zog die Karawane, beladen mit Maschinenteilen, Stahlcontainern, chromblitzenden Werkzeugen, Knochensägen und kilometerweise Netzwerkkabeln, durch die Straßen der Stadt, nun ist die neue Fabrikhalle bezogen. Die Fenster unserer Montagehalle zeigen zum Hafen raus, die Kollegen rufen "Ein Schiff! Ein Schiff!". Ich sage, nach feinhistologischer Begutachtung geht das auch präziser und verweise auf den Hafenradar für eindeutigere Diagnosen. Vom Kapitän weitere gute Nachrichten. Der Tarif für Schauerleute, Gehirnchirurgen und Hafenarbeiter wurde erhöht, dieses "Meer" (Haha, Wortspiel!) lohnt allerdings kein Konto in der Schweiz. Es wird also in absehbarer Zeit, sollte mir steuerlich nicht siedendheiß etwas einfallen, keine gemeinnützige Stiftung Hoeneß-Schwarzer-Kid-&-Co. geben, zumal mit mir als moralisch überlegene Belehrungsperson sowieso kein Staat zu machen ist.

Mittags könnte man nun Muscheln, Hummer, Scampi oder Perlhuhn kaufen gehen, in der Umgebung ist aufwendig zum Chefarzttarif gedeckt. Alles Fisch, frisch & fein, nur finde einmal ein gut abgehangenes, solides Käsebrot, bei dem die Rinde vom erschöpften Liegen schon leicht welk und hart geworden ist. Hoffnung bleibt, daß das Hafenklang einen Punker-Mittagstisch (Menü 1: "Astra mit Kartoffel", Menü 2: "2 Astra mit Kartoffel") einrichtet für die Heizer aus dem Maschinenraum und dem anderen niederen, unter mottenlöchrigen Pferdedecken schwitzendem Personal.

Abends allerdings sind steile Treppen zu bewältigen, der Generationenvertrag wirkt leider nicht so weit, daß jüngere Kollegen mich Huckepack nähmen. Ich könnte ansonsten, eine kleine Reitgerte fuchtelnd, Hat-hat! wie Lawrence von Arabien die Hügel stürmen, mich dabei wacker auf den schwankenden Schultern der Nachwuchsriesen haltend. Allein, alles allein muß man machen.

Nachts allerdings bin ich früher zu Hause. Nach langem Dienst unter funzeligen, aber "intelligenten" Leuchten, und damit sind die Tischlampen gemeint. Die schalten ein, wenn man atmet oder mit den Augen blinzelt, so genau wissen wir das noch nicht. Die schalten ab, wenn jemand hustet oder sein Pausenbrot auswickelt. So genau wissen wir das nicht, aber ein Architekt soll den geheimen Plan dazu besitzen. Oder gedacht haben. Nachts also, wenn die Schiffe dann schlafen und mit ihren Lichtern übers Wasser winken, könnte man glatt hierbleiben wollen. Selber Anker werfen. Alles gut nennen. Erstmal.

Homestory | 11:35h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frau eff - Donnerstag, 6. Februar 2014, 16:17
Immerhin hat man den Fluchtweg direkt vor der Tür. Jetzt nur noch ein seetüchtiges Floss gebaut, Matrose! Hörte nicht dereinst Nordsee ist Mordsee so auf? Durch den Hafen bis ans Meer und immer weiter? Ich habe das nicht mehr so gegenwärtig, aber Sie können das ja nachgucken.

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kid37 - Donnerstag, 6. Februar 2014, 21:09
Wir haben sogar eine Sturmflutfluchtbrücke am Haus. Und streng genommen könnte ich nun per Boot zur Arbeit tuckern. Ich überlege die Anschaffung eines Kajütbootes, ein Floß ist auf Dauer doch zu anstrengend. (Leider gibt es natürlich wieder Tiefgaragen für diese sogenannten "Autos", aber keinen Anleger für Boote.)

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novesia - Donnerstag, 6. Februar 2014, 16:29
Für Binnengestrandete wie mich klingt es wundervoll.

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kid37 - Donnerstag, 6. Februar 2014, 21:07
Das wäre nun aber wirklich nicht auszuhalten, läge bei Ihnen obendrein noch ein Meer vor der Türe.

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novesia - Freitag, 7. Februar 2014, 10:20
"Man könnte glatt ein bisschen wehmütig werden, wenn man den Ausdruck 'österreichische Riviera' hört." (Habe jetzt natürlich Triest fest im Visier)

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kid37 - Freitag, 7. Februar 2014, 12:30
Ah! Genau meine Zeit! (Wieso war ich eigentlich so lange nicht mehr in Wien? Habe ich etwa mit windigen Ausreden Zeit vertrödelt? Triest im Winter soll super sein, ein Kollege war mal da.)

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mark793 - Donnerstag, 6. Februar 2014, 16:45
Nanu? Ist Ihre Fabrik nicht gerade erst vor wenigen Jahren hinaus in die Gewerbegebiete gezogen, weil dort angeblich tollere Synergieeffekte lockten?

Die Redaktion, in der ich um die Jahrtausendwende Dienst schob, ist seitdem auch zwei oder drei Mal umgezogen. Nicht immer war mühelos nachvollziehbar, was die ausschlaggebenden Gründe dafür gewesen sein mögen.

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kid37 - Donnerstag, 6. Februar 2014, 21:03
Wie bei einem Wanderzirkus sprach die Klinikleitung Let's shake some dust!, und so brachen wir die Zelte ab. Nun liegt die große weite Welt vor uns. Hinter dem Fenster meines Kollegen liegt praktisch schon New York! (Das ist eine Stadt in den USA.)

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gaga - Donnerstag, 6. Februar 2014, 22:25
Ich würde noch die Wertsteigerung des Eigentums eine Weile aussitzen, bis der Hype zunimmt, und dann nach einer Bleibe mit Paternoster Ausschau halten. Ich habe ja leider nur einen Fahrstuhl, aber möchte ihn auch nicht missen.

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maphisti - Donnerstag, 6. Februar 2014, 23:10
Vielen Dank für den tollen (tollen) Link!

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kid37 - Donnerstag, 6. Februar 2014, 23:30
Der ist zwar nicht wirklich in Echtzeit, wie ich als Schiffspotter nun behaupten darf, aber hinreichend genau.

@Gaga: Entschuldigung, ich war mal wieder etwas ungenau. Es handelt sich um die Treppen zum Elbhang, da wird sich nichts machen lassen. Als täglicher Treppenbewältiger im heimischen Leuchtturm hielt ich mich für austrainiert, aber die schaffen mich ganz schön. Andere Stufenhöhe womöglich. Ich erwäge jetzt, abends von der Arbeit mit dem Fiaker zu fahren.

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gaga - Freitag, 7. Februar 2014, 00:26
Oder subversiv eine Parallelexistenz an der Donau vorbereiten. Sie werden doch überall gebraucht.

(erstaunliches Architekturkonzept: biometrisch gesteuerte Beleuchtung aber kein Lift?)

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kid37 - Freitag, 7. Februar 2014, 20:48
So nobel ist dieser Bezirk dann doch nicht. An der Donau stünde bestimmt eine Sänfte bereit.

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ana - Freitag, 7. Februar 2014, 17:05
So ein Käsebrot kauft man doch auch nicht fertig, das macht man sich zu Hause und nimmt es in Butterbrotpapier eingewickelt - keineswegs in einer Tupperdose verschlossen - auf die Arbeit oder sonstwohin mit.

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kid37 - Freitag, 7. Februar 2014, 20:47
Genau so halte ich es für gewöhnlich auch. Aber für den Fall des Notfalles (Turn- und Brotbeutel vergessen) halte ich gern nach Nachschubdepots Ausschau. Perlhuhnbrot schmeckt aber gewiß auch lecker. Nur nicht alle Tage.

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maphisti - Samstag, 8. Februar 2014, 00:10
Oder ist das Perlhühnchen vielleicht nicht doch eine (alte Schachtel) - eh- junge Wachtel?

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kid37 - Samstag, 8. Februar 2014, 03:47
Aber die würde doch nicht kopfüber in so einem begehbaren Kühlraum hängen... hoffe ich doch.

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