Le Herbst
Bekanntlich ist nicht nur Geschlecht, sondern auch die Vorstellung, im Sommer alberne und vor allem den Körper nur unzureichend bedeckende Kleidung tragen zu müssen, bloß ein soziales Konstrukt. Glücklicherweise aber nähern wir uns den Jahreszeiten, da die Natur auch solches richtet.
Regen und ab und an ein bißchen Regen sind für diese Woche vorhergesagt. Das paßt gut, denn da habe ich Urlaub. Ich besitze ja allerlei meist mittelmäßig ausgeprägte Talente, aber tatsächlich fehlen mir unter anderem ein Händchen fürs Heiraten und eins fürs Verreisen. Heiraten ist nun zum Glück anders als zum Beispiel Geschenke einpacken, eine Wand zu streichen oder einen Wasserhan zu reparieren nichts, was allzu häufig von einem gefordert wird. Aber in hübscher oder in diesem Fall auch nicht so hübscher Regelmäßigkeit muß ich mich mit diesem Konzept namens "Urlaub" beschäftigen. Jedes Jahr aufs Neue, denn beide lernen wir nicht.
Was will man machen? Man kann ihn ja nicht mal verschenken, auch wenn es bei diesen Gelegenheiten, zumeist bei Menschen die soeben aus dem eigenen Urlaub zurückgekehrt sind, sehr häufig heißt: "Hast du es gut. Den hätte ich auch gern." Während ich denke, oje, oje, oje. Als wäre ich nicht schon krank genug! Dieses Jahr stand ich sogar um Fingerbreite davor, fühlte mich auch ausgelaugt und herumgezerrt genug für solcherlei frivole Unternehmungen, hatte sozusagen die Reiselektüre schon herausgelegt. Dann aber gab es Ereignisgeschehen und Ausbrennsymptome und schon versprach die Wettervorhersage, komm, ich mach's dir schön wie es der Herbst nur kann. Mal ehrlich, wer will da noch weg?
So sitze ich nun in meinem Zimmer und lese, denn dazu komme ich ja sonst auch nicht. Ich träume von wilden Abenteuern, so wie "einfach die Bettwäsche nicht mehr wechseln und sich ganz jung und unbekümmert fühlen". Jedermann sein eigenes Dschungelcamp! Oder "einfach alle Kreditangebote, die in mein eMail-Postfach trudeln, annehmen und eine Yacht kaufen!" Oder, ganz verrückt, "auf der Fernbedienung mal ganz bis nach hinten zappen!" Könnte ich alles machen.
Stattdessen komme ich erstmal Stufe für Stufe herunter, schalte nach und nach alles ab, vor allem die summenden Transformatoren in mir, stelle überall in der Wohnung Zettel auf mit "Ruhe!" und "Pst!" und tausche im Bad die Mischbatterie aus. Das hat vierzig Minuten gedauert und war eine große Befriedigung. Alles selbst geschraubt und das in einer Zeit, in der ich die alte nicht so glänzend geschrubbt bekommen hätte. Ich entdecke Talente.
ich finde, das klingt sehr erholsam.
Und dafür ist der Urlaub ja schließlich da: zum Erholen!
Nicht, um sich ohne Not anstrengender Reisetätigkeit zu unterziehen.
Auch ich halte es seit geraumer Zeit so, dass ich die phantastische Gelegenheit nutze, endlich meine perfekt ausgestattete Ferienwohnung in Berlin zu genießen. Wenn ich das auf den Übernachtungspreis pro Nacht umrechne, was ich da bezahle, von dem Komfort gar nicht zu reden (free WLAN, Dusche, Badewanne, HD-Fernseher, Notebook, ruhige Lage, gut ausgestattete Küche, Waschmaschine, Südbalkon, tolle Einkaufsmöglichkeiten, Flair, französisches Bett, ach ich könnte immer weiter aufzählen!), wäre man doch mit dem Klammerbeutel gepudert, eine andere Unterkunft mit anstrengender Anreise und umständlichem Kofferpacken in Betracht zu ziehen. Die anderen haben doch in Wahrheit die schlechteren Karten, stets auf der Flucht nach einem besseren Ort! Aber wir doch nicht.
So isses. Schönen Urlaub. Und schicken Sie bloß keine Vertretung hierhin.
Nein, nein. Ich werde mit einer Angelrute auf dem Steg vor meinem Bloghaus sitzen und dem digitalen Treiben zuschauen.
Frau Gaga, so ist das. Spülmaschine könnte ich noch ergänzen. Und eine kleine Bibliothek, falls die Reiselektüre nicht reicht. Dann habe ich darüber nachgedacht, ob ich nicht für die Zeit meines Urlaubs mein Free-Wlan umorganisiere und - bloß aus Spaß! - alle halbe Stunde fünf Euro in eine Blechdose werfe. Und ab elf kein Frühstück mehr! Für die richtige Urlaubsstimmung. Heute mußte ich leider raus, trotz aller gegenteiliger Vorhersagen schien heute die Sonne.
Klingt ein bißchen anstrengend.
Also das mit der Sonne.
Ahhh, fishing for Zustimmung, Mister. Nicht mit mir. Es geht nicht um Urlaub, sondern um Ferien, und um fremder Länder Bäckereien und Meer und Perspektivwechsel. In nur 13 Stunden und 47 Minuten sind Sie mit dem ÖPNV (über Mannheim, Paris, Tunnel, Ashfort) in Hastings (das ist in England). Nach der Anreise sind Sie so erschöpft, dass Ihre jetzige Erschöpfung Ihnen rückblickend lächerlich vorkommt. Der Blick auf die See erholt Sie dann. Sie werden dort bleiben wollen, wegen des Turner-Lichts.
Perspektivwechsel? Sie spielen darauf an, daß ich mir eventuell eine neue Kamera kaufen möchte? Ich komme ja jetzt in das sogenannte Leica-Alter und könnte anfangen, teure Objektive zu sammeln. Für ganz neue Perspektiven!
Blick auf die See und möglicherweise Strand ängstigen mich. Nachher juxe ich dort wie so ein
Elefant herum.
Auf nach Thailand - was für ein putziges Tier...!
Was halten Sie davon, im Urlaub zu heiraten? Dann hätten Sie es hinter sich.
Two in one! Wash'n'go! Und der nächste Urlaub wäre dann nur halb so schlimm. Vorausgesetzt, die Ehe hält so lange.
Man darf natürlich nichts verwechseln, das muss alles klug eingefädelt werden. Kurz Urlaub, lang Ehe, das geht, andersherum ist nicht so praktisch, obwohl es oft versucht wird.
Two in one: Zwillinge! Klar, Sie denken auch an alles. Man muss die Sachen gleich ordentlich machen.
Ich kann Sie da nur ermuntern. Meinen eher unterentwickelten Skills in Sachen Urlaubsreisen hat die Ehe mit einer Frau, die schon einigermaßen rumgekommen ist in der Welt, einen signifikanten Boost beschert.
Skurrile Hobbys sind natürlich auch eine Alternative, und man muß nicht unbedingt weit weg. Ich interessiere mich derzeit sehr für die neue Trendbastelarbeit
Schildkrötenhäkeln.
Von Hamburg aus kommt man doch sicher gut für einen Tag mit dem Schiff weg, nach Helgoland beispielsweise. Für so einen kleinen Ausflug müssten Sie sich nicht einmal Reiselektüre überlegen. Mir würde es sicher gefallen, dort am Meeresstrand ein bisschen herbstliche Brise zu atmen. Aber in und um Franken sind nur schiffbare Flüsse oder Seen. Ans Meer zu gelangen, wäre für mich ein größeres Vorhaben.
Helgoland wirbt übrigens mit Hölderlin:""Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt,
ich weiß von nichts als meiner seligen Insel". Die Insel kann natürlich auch ein Wohnzimmer sein, obwohl man auch da Schiffbruch erleiden kann.
Gerade im Herbst kommt es häufiger vor, dass man sich während der Fahrt über die Nordsee EINIGES durch den Kopf gehen lassen muss.
...und falls man in Hamburg offensichtlich genug vom Nass von allen Seiten hat, schützt das Blätterdach der Wälder in der Sächsischen Schweiz. Billiger und näher als die Kopie der Eidgenossen und man kann dort Siegfried, Drachen und Eichhörnchen sehen ( wie putzig ... und eins davon stimmt wirklich !!! ) . Falls nicht gut zu Fuss, benutzen sie bitte ihr Fahrrad...ich fahre ein ähnliches Modell und es gibt dort auch im flachen Gelände viele hübsche Ortschaften zu erkunden.
P.S. JA DOCH ! , die Shoppingmeile hat auch wieder geöffnet.
Helgoland? Da heirate ich doch lieber. Kann man machen. Man kann überhaupt so vieles machen. Hamburg hat sogar einen Flughafen, habe ich herausgefunden. Ich muß mir auch mal das durch den Kopf gehen lassen und einfach besser planen! Frauen sind da oft spontaner. Ich habe in meinem Bekanntenkreis welche, die büxen spontan aus, fliegen auf eine Insel im Mittelmeer, und wenn es langweilig wird, finden sie für die Tage dort einen Liebhaber. Geht auch.
In der Sächsischen Schweiz regnet es doch aber bestimmt auch oder? Wobei eine Shopping Meile ihren Reiz hat. Dort gibt es ja alles, Schuhe, Klamotten, Bücher, Handyverträge, Essen und Toiletten. 14 Tage als Mall Rat, das wäre mal eine Urlaubsidee.
Ich finde, England ist ein sehr guter Vorschlag. Sie könnten dort Hunderttausende von Mischbatterien installieren. Seminare abhalten. Vortragsreisen in Sachen Mischbatterie. Und das Wetter liegt Ihnen auch.
Aber es ging ja gar nicht um Vorschläge, oder?
Schönen Resturlaub, das hat ja so alles seine Richtigkeit.
Eben. Wer will, kann auch! gab man mir ja nicht umsonst letztes Jahr mit auf den Weg. (Wäre übrigens auch eine hübsche Idee für eine Vortragsreise: Von Spital zu Spital, Türen zu Krankenzimmern aufreißen, in die Hände klatschen und "Wer will, kann auch" rufen. Tschakka! Blinde können wieder gehen! Sensationell.) Also nicht jammern, auf nach England und eine Kirche der Mischbatterie gründen: Every revolution starts in the bathroom!
"Wer will, kann auch" ist wirklich ein übler Spruch. So was möchte ich mir von einem Arzt nicht sagen lassen wollen. Meiner ist zum Glück alt und wirklich weise. ( Als ehemaliger Leiter des Bezirksklinikums ist er längst in Pension und führt nur noch stundenweise eine kleine Praxis angefüllt mit Kunst und mindestens so vielen philosophischen wie medizinischen Büchern. ) Er mahnt mich stets, die Latte niedrig zu hängen und ich solle nie vergleichen, was früher für mich möglich war beziehungsweise, was andere noch können. Also "Tschakka", zufrieden mit den eigenen Möglichkeiten sein.
Ne. Wer will, kann auch. Nicht.
Selten über was mehr gekotzt.
Ne. Tschuldigung. So doch nich.
Ich kann Ihnen nur wünschen, dass Sie immer das auch können werden, was Sie wollen, aber möglicherweise wird das Leben einmal anders spielen. Früher oder später ist das sogar wahrscheinlich.
Das kann ich schon eine Weile nicht mehr.
Aber mehr als ich mal dachte. Und dafür bin ich jeden einzelnen Tag dankbar.
@Ana: Sie haben da Frau Montez, glaube ich, mißverstanden. Wir sehen das hier alle gleich. Unbedachter Spruch.
Da passt doch dann Kunst von Werner Kuhrmann dazu.
Klick (Jetzt funktioniert der Link hoffentlich.)
Als mein Computer abstürzte, wollte ich noch anfügen:
@Montez: Entschuldigung, das habe ich tatsächlich falsch verstanden. @Kid: Danke für die Zurechtrückung.
Dieses Internet ist eben ein kompliziertes Ding. Jep.
Das Bild von Kuhlmann paßt aber wirklich super zum Thema. Das bewahre ich mir mal für die Hinterhand. Vielleiht kommt die Sache noch mal auf.
Nächste Woche geht es los. Quasi eine
Straight Story.
(Wo gibt es das zu kaufen? Ich brauche das unbedingt!)
Ah, die Briten eben:
Details. Als mobile Hilfe fürs
Queuing, genial. Geht sogar am
Rad.
Alternativ für ältere Kapitäne: das
Caraboat.
"Menschenherz, was ist dein Glück?
Ein rätselhaft geborner und, kaum gegrüßt, verlorner unwiederholter Augenblick." N. Lenau
Das kenne ich. Das ist aus Hotel New Hampshire. Ich laufe radel erst noch 'ne Runde.
Das ist ja super! Wenn es schlimm kommt, rauf aufs Rad und damit den Rhein runter. Bis ans Ende der Welt. Rotterdam oder links ab nach Antwerpen. Was zu lesen noch und ein bisschen Kleingeld. Mehr braucht man ja nicht.
Wird hierzulande wahrscheinlich sofort von der Straße geschossen.
