Mach doch mal was mit ganz kleinen Tieren
Die Erschöpfung wird langsam ein Problem. Manchmal fallen mir schon in der U-Bahn die Augen zu, es wird der Tag kommen, an dem ich plötzlich an der Endstation wachwerde, nichts ahnend, nichts wissend, ohne Schuhe und Portemonnaie. Zur Vorbeugung heute einen freien Tag genossen, ausgeschlafen, in Ruhe ein Frühstück, draußen sogar die Anmutung einer vitaminspendenden Sonne. Gleich mal die mausezarten Zwillinge Lust & Laune in den Reisekoffer der Verdammnis verpackt, aufrecht am Altpapiercontainer vorbeigegockelt und den Radius abgesteckt.
Hinunter zu den Deichtorhallen, im Fotobuchhandlungsgeschäft ein paar Bücher und Zeitschriften gekauft, Selbstbelohnung in konsumunkritischen Zeiten, eine Kamera betrachtet, über deren Erwerb ich mir zwiespältige Gedanken mache, dann aber papierbeladen nach Hause, Beine dann als sei ich 20 Km durch den Schnee gestapft. "Seien Sie geduldig mit sich", meinte Frau Sorge neulich noch beim Gespräch, allein der innere Leistungsgedanke...
Zwischendrin aber die Ausstellung A World Of Wild Doubt im Kunstverein besucht. Eine kleine, aber recht amüsant-bedrückende Schau, mit vergitterten Verliesen und beklemmenden Boxen, foucault'schen Assoziationen zwischen Strafe und Gefängnis und einigen sarkastischen Kunstaperçus über Macht, Geheimnis, Paranoia und Weltpolitik. Lobenswert ein großes illuminatorisches Tarot-Set mit Konzernkonstrukten und Personen von IBM bis Margaret Mead, wie überhaupt das Sammeln und Strukturieren eines der Ordnungs-, Verwirrungs- und Strafeprinzipien der Ausstellung war. Leider vergessen, die Namen der Künstler jeweils richtig zu zuordnen.
Höhepunkt indes ist eine Installation der selten gezeigten, ganz wunderbaren Tessa Farmer. Die Britin bastelt mit kleinen und noch winzigeren Insekten (Heu- und Seepferdchen) völlig entzückende und verstörende Skulpturen, wo Miniaturskelettkrieger auf brummelnden (aber allesamt toten) Hummeln reiten. Bereit zur Welteroberung, wäre da nicht der Atem des staunenden Betrachters, der die am Faden baumelnde buchstäbliche Hängung in Bewegung setzt. Durch eine niedrige Tür, eine tunnelige Kiste führt der Weg zu Farmers Installation, sage man nicht, Kunst hätte nicht auch ergotherapeutischen Nutzen.
>>> Kurze Doku über Tessa Farmer
("A World Of Wild Doubt". Kunstverein, Hamburg. Bis 14. April 2013.)
So einen freischweifenden Tag sollten Sie sich, so es sich ermöglichen lässt, öfter mal gönnen. Und Bücher sind schließlich Kultur- und nicht Konsumgut. Kürzlich übrigens bei Foucault gelesen: Das "Achte auf Dich selbst" war die ursprüngliche Maxime der griechischen Lebenskunst. Ansonsten würde Foucault vermutlich nicht vom inneren, sondern vom verinnerlichten Leistungsgedanken reden. Davon muss man in manchen Situationen ein Stück weit weg kommen.
Ich muß mich tatsächlich ein Stück weit davon emanzipieren. Oder neu bewerten, was (wer) eigentlich im einzelnen gut für mich ist.
Tolle, tolle tote Tiere! Ich bin begeistert und hätte das alles auch gerne gesehen.
"Selbstbelohnung in konsumunkritischen Zeiten"... seufz, das kommt mir doch sehr bekannt vor. Aktuell eine Freundesberatung zum Erwerb einer Lizardskin Gold Camera. *Männer* Der Geier derzeit zu malade zum Shoppen.
Ich hätte wegen des Transportproblems nicht damit gerechnet, so schnell Arbeiten von Farmer sehen zu können. Und der Rest war auch interessant.
Wie wundervoll, die Tessa Farmer. Und sehr schön Ihre Bilder. Man hört die Zwillinge leise kichern.
Ach, ich möchte auch Ausstellungen schauen.
Das scheint sich nach einem guten Tipp für einen Hamburg-Ausflug anzuhören!! Vielleicht läßt sich da auch eine "Krabbeltier-Phobie" beruhigen......
Die Ausstellungen im Kunstverein sind oft überraschend spannend. Die hier hat viele interessante Positionen.
Oh, vielen Dank. Grüßen Sie die Zwillinge. Die Farmersche Mikrokunst ist wunderbar.
Die Zwillinge klingelten an meinem freien Freitag spontan an meiner Tür, da dachte ich, ich gehe mal mit. Muß ja alles weitergehen.
Wie sie diese Insekteninstallationen wohl aufbewahrt und transportiert?
Auch ich bin Ihren artifiziellen Ausführungen gerne und lustvoll gefolgt und kann mich der allgemeinen Begeisterung voll anschließen, weil ich nämlich mit diesen vormals äußerst lebendigen kleinen Bienchen und Hummelchen so rein gar nichts am Hut habe.
Zum Glück gibt es ja immer häufiger und sogar vermehrt das große Bienensterben, so dass für weitere süße Kunstwerke der Nachschub gesichert ist.
Angesichts des tragischen Bienensterbens bin ich froh, dass auf dem Dach des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt von einem Künstlerduo just Bienen gezüchtet werden. Man kann an Führungen zu den Stöcken teilnehmen oder den dort entstandenen Honig kaufen.
Stadthonig ist ja ein großes Thema. Ich habe jetzt welchen aus Berlin geschenkt bekommen ("Bienen lieben Berlin"). ich bin mal gespannt, ob der einen Zug ins Bittere hat.
@Kreuzbube: Das war auch mein Gedanke. Ich sehe dick mit Watte gefüllte stabile Kartons vor mir, aber verantworten möchte ich den Transport nicht.
Hier kann man auch "Fürther Kleeblatthonig" von städtischen Bienen kaufen. Wobei sich das Kleeblatt nicht auf die Nahrung der Bienen, sondern das Wappen der Stadt, das ein grünes Kleeblatt zeigt, bezieht.
Imker, oder wie wir sagen Zeidler, kann übrigens schon jeder Balkonbesitzer werden.
http://www.balkonbienen.de
Der Kleeblatt-Honig wirkt, das hat ein kleiner Hamburger Stadtteilverein im Fußball jüngst erfahren müssen. Ich verfolge ein solches Projekt ja schon seit Jahren, vielleicht kann ich damit später mal die Rente aufbessern. Hier gegenüber machen das welche in ihren Kleingärten.
Gegenüber von mir stellen solche ihre selbstgedrehten Kerzen im Schaukasten, der aus Holz ist, für die Passanten aus. Die sind aus Bienenwachs. Manche sind länger und dicker, manche verjüngen sich nach oben. Ihren Honig nennen sie Blockland-Honig. Ich weiß das, weil ich ein Töpfchen von der Frühtracht von ihnen geschenkt bekommen habe und ich nach einem Selbstversuch davon sehr angetan bin.
Wenn Sie Ihren künftigen Honig tüchtig und teuer vermarkten, könnte Ihnen das tatsächlich was einbringen. Die Pariser verlangen 15.50 Euro für gerade mal 125 Gramm ihres Honigs vom Dach der Oper.
http://www.galerieslafayette.de/le-miel-des-toits-de-paris-fauchon-2/. Vielleicht können Sie ja das Dach der Elbphilharmonie für Ihre Stöcke anmieten und damit werben. Die Fürther sind natürlich richtig billig, die verkaufen ihren Stadthonig für 3 Euro pro 250 Gramm zu weniger als einem Zehntel des Pariser Preises.
Blogland-Honig vom Dach der Elbphilharmonie.Vielen Dank, die Damen! Da habe ich doch schon den halben Businessplan, wenn alles andere koppheistergeht. Imkern war früher übrigens ein Erwerb für Kriegskrüppel (wird nach dem nächsten Krieg sicher anders bezeichnet), weil sich die körperliche Belastung in beherrschbaren Grenzen hielt. Das paßt dann schon. Mit Bienen kann ich ja gut ganz gut.
Jetzt also doch allmählich wieder putzmunter ...? Aber bitte weiter vorsichtig sein : Bienen summen zwar so schön, wollen aber manchmal stechen!
Das stimmt. Das kann schmerzhaft sein. Aber ich kann das auch. Und dann wundern die sich.