The Possibilities are endless

Cos now you've got me crawlin',
Crawlin' on the floor
And I've never met a girl
like you before

(Edwyn Collins, "A Girl Like You".)



Als Ansporn zur Genesung bekam ich diese ganz wunderbare Tasse geschenkt. Auf dem weißen Porzellan sind Eulen zu sehen, und die hat Edwyn Collins gzeichnet. Der Gitarrist ("A Girl Like You") erlitt 2005 einen Schlaganfall durch Blutgerinsel im Hirn. Neben Lähmungen zeigte er auch einen fast vollständigen Sprachverlust. Die einzigen vier Phrasen, die er äußern konnte, waren "Ja", "Nein", der Name seiner Frau und "The possibilities are endless."

Motorisch stark eingeschränkt, konnte er aber Eulen zeichnen, diese sind es, die ihren Weg wiederum auf meine Tasse gefunden haben. Man muß das als eine Art Staffelübergabe verstehen. "Ja" und "Nein" kann ich sagen, die Namen verschiedener Frauen üben, für den Fall der Fälle, wobei sie sich unterschiedlich schwierig aussprechen lassen, ich sage nur dental fricatives. Die eigentliche Losung aber ist natürlich "the possibilities are endless", man muß nur in der Lage sein und willens, sich wie ein Krake in die kleinsten und verschlungensten neuen Gefäße zu schlängeln.

Liebes Krankentagebuch: Die Woche war nicht so besonders, das ging zwischenzeitlich alles schon mal besser. Tagesform, heißt es, ich bin skeptisch und seit heute sogar sehr skeptisch. Immerhin gibt es jetzt eine Nurse, die man auch anrufen kann zu ungewöhlichen Zeiten für Ratschläge und Empfehlungen. "Meist passiert ja was am Wochenende", sagt sie lachend. Wir sprechen über Therapien, das weitere Vorgehen, üben ein bißchen. So ein mütterlicher Typ, denke ich, vielleicht kann die auch Kuchen backen.

Gewiß aber war ich zu vorlaut, als ich sagte, ach, das kann ich, da habe ich Übung drin. In der Praxis sah das aber etwas anders aus. Die Schwester neben mir zog scharf die Luft ein, ich sagte, was machen Sie für Geräusche, sie sagte, nun machen Sie doch schneller, und ich sagte, ich sei doch nicht verrückt, ich lasse mir hübsch Zeit. Nicht aus Genuß, wohlgemerkt, sondern aus Vorsicht. Sie atmete weiter hörbar, mir erschien das einen mißbilligenden Unterton zu haben und mahnte zur Geduld, sah aber zu, zum Ende zu kommen.

Danach mußte ich mich erstmal fünf Minuten langlegen. "Männer eben", meinte ich entschuldigend, und sie lachte, während sie meinen Blutdruck maß. Das würde stimmen, bestätigte sie, die machten häufiger schlapp. Ich erinnerte mich an jemanden, der gleich zu Anfang argwöhnte, ob ich wohl "belastbar genug sei", während ich sprachlos schwieg, im Stillen aber dachte "the possibilities are endless" und "Warten wir doch ab, ob du belastbar genug bist". Am Ende stand es eins zu eins, denke ich; die Schwester hingegen meinte vorschußvertrauensvoll, ich würde das schon hinbekommen, worauf ich fragte, ob sie mich nicht heiraten wolle, was ich super fand.

Ermunterung, Baby. Auch wenn es heute schon wieder so war, daß ich gerade mal einen Gang um den Block wanken konnte, von Einkaufen gar nicht zu reden. Mir fehlt die Geduld für dieses Auf und Ab, stelle ich fest. Père Ibu ("Ibu Roi") sei aufs erste mein Freund heißt es, aber vielleicht rufe ich nachher noch die Nurse an. Oder morgen. Und dann ist schon Montag. Und die possibilities endless.

Homestory | 19:18h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
carodame - Sonntag, 11. März 2012, 13:45
Ja, schier endlos. Zum Glück auch. Der Puls des Wochenendes ist langsamer als in der hektischen Zirkulation der Werktage. Vielleicht gelingt Ihnen ein Gang in die Spätverkaufsstelle.
Die Eulentasse ist wirklich schön.

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kid37 - Sonntag, 11. März 2012, 23:17
Die Tasse hat mich sehr gerührt. Manchmal füllt die sich von selbst, wenn ich zu lange in sie hineinschaue.

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hora sexta - Sonntag, 11. März 2012, 13:57
Mann! Lassen Sie sich bloß nicht antreiben. Ich finde das den Umständen nicht angemessen. Frauen eben. Immer müssen die drängeln, sogar bei Ihnen. Geht gar nicht.

Ich würde Ihnen ja gerne ein paar Rollen unter die Füße backen. So fürs Dahinrollen.

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kid37 - Sonntag, 11. März 2012, 23:18
Kein Rollen, nur Wanken. Morgen in die Praxis. Trifft sich gut, ich habe ja Urlaub.

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hora sexta - Sonntag, 11. März 2012, 23:37
Toll. Urlaub ist gut zum Flirten. Gute Reise.

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mark793 - Sonntag, 11. März 2012, 14:43
Wahrlich,
das wäre eine Tasse so recht auch nach dem Geschmack von meines Vaters Sohn. Sehr schönes Stück!

Und was Päär Ibüü angeht, so liegt der Schmerzensmann derzeit ja voll im Trend, wie ich neulich irgendwo bei einer Pauerfrau gelesen habe. Vielleicht barmt die Schwester jetzt auch irgendwo in einem Frauenforum rum, Menno, warum hat er mir keinen Antrag gemacht mich nicht geküsst?

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kid37 - Sonntag, 11. März 2012, 23:19
Tasse hoch!

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c17h19no3 - Sonntag, 11. März 2012, 14:59
geduld ist ein schweres wort. glauben auch. glauben ist genauso mies wie vertrauen. und möglichkeiten schüren hoffnungen, möglicherweise die falschen. tausend möglichkeiten sind so gut wie gar keine. tausend eulen in athen und die griechen sind pleite.

ich hab keinen alternativen schlauen spruch auf lager. man muss das jetzt zu nehmen, zu feiern wissen. auch wenn viele tage nicht gerade ein fest sind. dinge zelebrieren, die fahne hochhalten. worte sind nur schall und rauch.
am ende aller tage hat ohnehin niemand mehr alle tassen im schrank. (auch wenn die von herrn collins tatsächlich sehr schön ist.)

just my 2 cents.

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Lu - Sonntag, 11. März 2012, 17:45
Du legst Dich ja mächtig ins Zeug, dass ich nächste Woche meinen Kittel mit einpacke, und in diesem dann die Hausbesuche mache. Vielleicht nehme ich Dich dann auf den Arm, Du kommst mir kaum um unsere übliche Tour mein Lieber! (Da ist man ein_mal ein paar Monate nicht da...)

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kid37 - Sonntag, 11. März 2012, 23:21
Geduld ist gerade wirklich nicht so meins.

@Lu: Medzinisch geschultes Personal muß jetzt her, genau. Ich hoffe, ich bin bis dahin nicht mehr so wacklig.

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Lu - Montag, 12. März 2012, 00:13
In welchem Zustand auch immer, Du weißt, ich hab Dich <3.
Ich koch Dir was aus, das stärkt!

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kid37 - Montag, 12. März 2012, 00:32
Ich warne schon mal vor. Nachdem die Schutzschockphase nun nachläßt, droht jetzt die wütende ("Warum ich?") oder selbstmitleidige nachdenkliche Phase ("Warum ich?").

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kreuzbube - Sonntag, 11. März 2012, 19:05
Ich sollte aufhören, schlechte Laune wegen temporärer Wehwechen haben.

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kid37 - Sonntag, 11. März 2012, 23:24
Es ist halt alles immer relativ. Edwyn Collins gibt wieder Konzerte, immerhin.

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carodame - Donnerstag, 15. März 2012, 23:39
Das ist erstaunlich. Wirklich gut. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Glück und wie viel Willen neben medizinischem Wirken bei solcher Rekonvaleszenz dabei ist.

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ulrich s. - Freitag, 16. März 2012, 21:51
Diesen Monster-Hit von Edwyn kennst du sicher, einer seiner besten und sicher ehrlichsten. Respekt, Demut, Tränen.

http://www.youtube.com/watch?v=2x64tqDrHgM

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