Autoluminescent
Heimat ist da, wo der Anker liegt, so geht die Saga von den tosenden Wellen, sogenden Strömen und verwehenden Winden. Ein Hafen, ein Kühlschrank, eine Leiter, die bis zu den oberen Brettern der Bücherregale reicht. Ein Simulacrum von Glück, wären nur die Nachbarn nicht, die Verwalter, die Befindlichkeiten anderer Leute. Eine Woche war das, fremdbetankt mit Selbstherrlichkeit, Süffisanz über kleine Leute, Dosen von "Versteht außer Ihnen allen eigentlich jeder", billige Polemik von sogenannten Erwachsenen und diesem Schuß guter Hamburger Handwerkerempörtheit: "Unterputz? Wenn ich das schon höre, Unterputz!"
Was denn aber sonst, bitteschön. Strippen und Rohre auf die Tapete gekloppt? Ausweinen später beim Vater, der meine Theorie über regionale Unterschiede interessant findet. So wie es hier nur schwer gutes, dunkles Brot zu finden gibt, so schwer finden sich gute Handwerker. Während in der Heimat eben traditionell viele in der Produktion tätig waren, Werkzeuge, Klingen, Metallverarbeitung, Montan- und Stahlbau, sind es hier die Handelsberufe: "Hamburger Kaufleute", nickt der Vater verständnisvoll durchs Telefon. Ich berichte von der in der Hansestadt weithin anzufindenen Altbaumodernisierungslösung, bei der man in einem engen Kabuff über die Kloschüssel steigen muß, um in der Duschtasse zu landen. Wie mich mal ein Norddeutscher fragte, ja, nun, wie soll man das denn anders lösen? Wie mir auf einmal Kulturunterschiede, über die man nur schwer reden kann, bewußt wurden. Indem man es richtig macht? Unterputz, wandverschiebend, von Grund auf?
Ich bin immer wieder verblüfft, leicht entnervt auch, das mag an der Jahreszeit liegen, am fehlenden Urlaub, dem Tribut usw. Diesem Sonne-Regen-Kälte-Wärme-Oszillieren, was einem neuerdings als Sommer verkauft wird auf einem Palettenstapel gleich neben dem Spekulatiusregal. Neuer Entschluß, ich lasse jetzt einfach machen, es verschwendet doch nur Zeit, und was hier manchmal als Brot verkauft wird, ist ja auch ein Fall für sich. Die malzgefärbten Brösel kann man meinetwegen Aufputz auf die Wände kleben.
Über tiefstem Schatten liegt immer auch ein Licht: Autoluminscent, die Doku über Rowland S. Howard, erscheint Ende Oktober, zum schönsten Herbst also. Anker lichten, neue Gefilde, innere Horizonte erweitern, komme ich auch sonst kaum raus. Ein Musikinstrument mal völlig anders spielen. Brot, irgendwer?
>>> Rowland S. Howard, Sleep Alone
Der gute Whorf! Alles nur weitere Mythen des Sprachalltags, haha. Wuppertaler aber können 37 Worte für Regen, da hätte er mal valide Daten sammeln können.
(Allein um die Gültigkeit, das Wort "Eskimo" verwenden zu dürfen, ranken sich offenbar ebensowenig hinterfragte Grabenkämpfe um den richtigen Grad an politischer Korrektheit.)
Ich weiß nicht, ob es in Sachen Handwerk tatsächlich ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Ich könnte hier vom "Schreibtisch des Ruhrgebiets" samt der dazugehörigen Schlafräume im Speckgürtel auch Geschichten erzählen. Nicht, dass ich als Konsequenz zur Inländer-Diskriminierung raten würde, aber an Gas, Wasser, Scheiße die Klempnerei lassen wir einen fähigen Herrn aus Polen (ja, der arbeitet auf Rechnung!), und das Darkmobil vertraue ich nach einigen wtf-Episoden in der Markenwerkstatt seit Jahren lieber freien Schrauberbuden von Italienern und Türken an. Autos bauen ist eins, sie auch ohne Maximalaufwand reparieren können was anderes.
Aufputz. Tss. *kopfschüttel*
Gepfuscht wird überall, und wahrscheinlich steckt meist eh eher Bequemlichkeit als Unfähigkeit dahinter. Ich glaube aber schon, daß regional von einander abgeschaut wird und sich daraus ein "das macht man so" entwickelt, wo es korrekt lauten müßte, "das macht man hier so". Das wäre doch mal ein interessantes Wiki-Projekt: eine Murks-Karte Deutschlands.
"Unterputz, Unterputz, wenn ich das schon immer höre!" Ehrlich, ich war baff.
Baff bin ich eigentlich immer, wenn ich mit Handwerkern zu tun habe. Baff, wie langsam die sind. Baff, wie lange es überhaupt dauert, bis sie mal anfangen. Baff, dass der Meister exakt einmal kommt, nämlich bis der Auftrag erteilt ist. Baff, dass anschließend verschiedene Gesellen antanzen, die jeweils nicht wissen, was der Gesellenkollege ein, zwei Tage zuvor gemacht hat. Baff, dass die unisono den Kopf schütteln ob der Gewerke, die ein Handwerker anderer Fachrichtung als Vorarbeiten geleistet hat.
Was ich aber wirklich überhaupt nicht verstehe ist, dass die auch Samstags, Sonn- und Feiertags morgens ihre Handwerkerhosen anziehen. Einfach so, als wär' andere Kleidung verboten.
Tweed & Unterputz - das wäre mal Handwerk mit Geschmack.
Möchte hiermit rufrettend anstatt in Tweed im gewirkten Blaumann (und nicht etwa in diesen neuartigen Designersatzjackwolfskinarbeitskleidungen mit fünf jeweils modisch abgesetzten Beintaschen!) auf
dieses aufrichtige Statement verweisen! Oder hat man je schon einmal etwas vom - beispielsweise - 'Belgischen Handwerk' gehört?
Das ist ganz wunderbar! Was ist daegen schon diese Blue Man Group? Man möchte direkt eine Ausstellung konzipieren. "Alles unter Putz".
Ich könnte Ihnen Handwerker alten Schlages vermitteln.
Sie wissen schon, wir hatten das ja gerade eben.
Bei Interesse: Schnelle Mail. Sie dürfen sich aber nicht daran stören, dass die alle Rentner sind.
Ich fürchte, der Hausverwalter hat da seine eigene schnelle Truppe. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt und habe mir bis dahin vorgenommen, mich nicht weiter zu echauffieren. Schadet der Gesundheit, bringt aber interessante neue Kontakte. Heute lernte ich einen Prothesenmacher (man sagt heute wohl Orthopädietechniker) kennen - ein Mann wie vom alten Schlag. Ich erkundigte mich eifrig nach Modellen mit Stahlschienen und Schrauben, und er erzählte von den Prothesen seiner Lehrzeit, den handgefertigten Holzkörpern und wie er sie mit Leder überzog und was das doch für tolle Materialien seien und heute ja leider so viel aus Kunststoffen hergestellt würde. Es gibt sie noch, die alte Schule - in den Nischen der Medizinhistorie. Sauerbruch und seine Schüler.
Das wäre doch was: Mit dem Holzbein zum Tweed-Ride. Johoo!
Ich trage einen großen Namen. Kid Ahab! Genau.