Patti Smith, Hamburg, 15. Juli 2004
ER war irgendwie auch präsent.Da kommt dann eine hagere, ältere Dame, Berufsbezeichnung "Hohepriesterin", lässig auf die Bühne, winkt entspannt ins Publikum und genießt mit geradezu kindlicher Freude die Empathiewelle, für die der englische Begriff "warmer Applaus" eine treffende Bezeichnung ist.
Solche Abende erfordern Begriffe wie „Nostalgie“, "Rührung" und "Größe". In „Würde gealtert“ sei sie, was man von etlichen anderen Musikern ihres Alters nicht sagen kann. Keine Pose, kein Entertainment, sie ist, wie sie ist und nicht jedermanns Sache. Gleich einer mongolischen Schamanin, die mit ihrer Trommel die bösen Geister vertreibt, schüttelt sie die Arme, reckt ihre Hände, bis hinauf in den „25th Floor“.
Für mich war Patti Smith das Bindeglied zwischen Velvet Underground und dem frühen Punk und New Wave. Schwarze Jackets, ein Buch mit den Gedichten Verlaines unter dem Arm. His clothes are black because he is a poet. [...] Art is work. Work is conscious act. Art is a conscious act requiring the harnessing of the subconscious, nuclear energy and the discipline of the spirit. To create and to also create distance. Then there is the inventor – the miracle of the telephone wire – the power corridors of Detroit. Where there is electric power there is violence. Electric violence is man at his highest. („Robert Bresson“)
Musik als Gesamtkunstvehikel. Die Fotos von Mapplethorpe, die Beilagen in den LPs. Zeichnungen. Die Bücher bekam man damals nur über "Pociao's Bookshop", wo auch erste Übersetzungen entstanden. "Ha ha, Houdini", "Witt", "Seventh Heaven". "Kodak" gab es nicht mehr, oder ich konnte es mir damals nicht leisten.
rat/art... a word found deep in the heart... the artist is a mutant who will be once again forceably dealt with... this time within the glittering circus of rock'n'roll. rock'n'roll being the highest and most universal form of expression since the lost tongue. ("Radio Ethiopia")
Rimbaud lesen, trunken sein und Schiffen gleich den Fluß hinabtorkeln. Sich als Sklavenhändler im afrikanischen Norden ein Bein amputieren lassen und heilige Frauen am Siechenbett segnen. Oder die Huren von Babylon, das war bei Patti Smith eins wie das andere. Anders als bei manchen Bataille-Zeloten schienen Drogen und Sexualität nie krude, selbstgenügsame Medizin auf dem Weg zum „freieren Menschen“, sondern bereits darüber hinaus: Mittel und Kunst, eine Form der Kommunikation. Etwas zu sagen haben und etwas sagen. Patti Smith strahlt diese Freiheit aus. Alle Kanäle, alle Venen natürlich früher auch, offen für Geben, Nehmen, Austausch. Die Stimmen Babels, alle vereint. „Radiowellen wie Haare im Wind“ („Radio Ethiopia“). Reden, Predigen, Lieben. I seek pleasure. I seek the nerves under your skin. The narrow archway. („Babelogue“)
Das aber war dann. 80er Jahre. High On Rebellion. Heute stehen fünf Leute und zwanzig Gitarren auf der Bühne. Zwanzig Gitarren, das wäre nichts für Miss Monolog. Aber bei so viel Krach und Kunst und Arbeit müssen frisch gestimmte, glänzende, phallische Instrumente auf der Bühne stehen. „Free Money“ - hoch in die Stratosphäre. Träume. Ab und an malt sie noch selbst mit ihrer Stratocaster ein paar Feedbackwellen in die Luft. Die Band, mit Lenny Kaye und Jay Dee Daugherty nur noch ein Rumpf der alten Patti Smith Group, ein beständiges Gerüst, treu und ohne Sattel.
Ihr persönliches "verrücktes Pferd".
"The Patti Smith Group is a handle to be abstracted... like Radio Ethiopia - the group is a field of exploration..." ("Radio Ethiopia")
Mir gefiel der Set an diesem Abend. Ein guter Mix aus neuen und alten Songs aus dreißig Jahren Rock'n'Roll Nigger. Das gab es nicht, aber "Ghandi" und "City of Bagdad" von aktuellen Album sind live echte Kracher. Rührend die Ausflüge an die Anfänge: "Pissing In A River".
What about it, you're gonna leave me,
What about it, you don't need me,
[...]
Should I pursue a path so twisted?
Should I crawl defeated and gifted?
Should I go the length of a river?
Leider auch "Because The Night", aber solche Zugeständnisse an das hitorientierte Publikum müssen wahrscheinlich sein. Jeder hat da so sein "I Can't Get No Satisfaction" oder "My Generation" im Gepäck. Zwischendurch erzählt sie Geschichten, zeigt Fotos ("This is my Mutter!").
Das Hamburger Publikum, sonst als reservierte Norddeutsche zu selten mehr als einem anerkennenden Kopfnicken bereit, genoß den Abend als Erweckungsritual. Arme in der Luft, hüpfende Köpfe in Reihe eins bis fünf, erstaunlich und erstaunlich angenehm.
"Ja, aber die Fans mußte man doch wahrscheinlich mit dem Rollstuhl reinschieben?" wurde ich despektierlich gefragt. Nein, ich war weder der älteste noch der jüngste. Sehr familiär das ganze, sehr unprätentiös dazu. Auch kein Rockstar-Gehampel. Keine nervende Vorgruppe, pünktlicher Beginn, um elf war der Gottesdienst vorüber. Die Frau hat Familie und weiß, auf welche Disziplin es ankommt. "Gloria" - und ab.
Security und Publikum mächtig entspannt, man nahm sich Zeit für einen Plausch, keiner markierte hier den starken Mann. Der Ausschank hingegen war schwer überfordert. Man dachte sich wohl, an einem solchen Abend sei "Meditatives Zapfen" angesagt. Da wurden nicht schnöde schon mal sieben, acht Biere vorgezapft, nein, jede Bestellung war ein Akt großer persönlicher und individueller Aufmerksamkeit. Das neue Docks, heller, freundlicher, ist auf dem Weg zur Edelgastronomie.
hatte sogar fast eben dieses unruhe-gefühl: verdammt, wie lang brauchen die denn noch für's bier ...
Von der Dame besaß ich übrigens, bis vor kurzem Ebay mal wieder Kostnixxeinstelltag hatte, sogar eine CD. Gekauft wegen "people have the power", damals, irgendwann.