Kram & Laden
Lange Nächte, kurze Tage. Man stellt besser um auf Solarbetrieb. Am schönsten sind Flohmärkte, die sich bis in die verwunschenen Durchgänge und Seitengassen erstrecken. Plötzlich steht man mitten in der Nachbarschaft und fast bei fremden Menschen im Schlafzimmer Wohnzimmer. Buchsuchen, Dingestöbern, Wachwerden. Ich hätte gern das Bastelbuch für jeden Tag aus den Fünfzigern gehabt, mit Vorschlägen für eine Kartoffelkanone und weiteren Notwendigkeiten für die kommenden Herbstabende. Aber - der Preis! Oh, du schönes Eppendorf. Du darfst noch träumen.
Zurück in Rentnertown (keinen Neid, bitte) strahlen mich junge Szenemenschen an. Nachher wird hier noch Musik gemacht. Mein Vater ist entzückt, weil man auf Google Maps sehen kann, wie er auf dem Balkon liegt. Ich habe es nachgeprüft, es stimmt. Man sieht nicht, wer es ist, aber man erkennt deutlich eine Person. Bei meinem Haus kann man die Vorhänge vor den Dachfenstern erkennen. Die müßten auch mal wieder gewaschen werden. Nur gut, daß meine Mutter keinen Computer hat.
Hinter den Vorhängen arbeite ich an meinen kleinen Formaten. Sonntagsmurmeln, im Hintergrund klimpert Erik Satie. Ich klebe Erinnerungen ins Sammelalbum und sortiere dabei gleich die doppelten aus. Nr. 417 und 268 fehlen mir, die sollte ich besser nachbestellen. Vielleicht aber gibt es mittlerweile eine Erinnerungstauschbörse im Internet. Ich hätte da ein paar anzubieten, die klingen wie ein verstimmtes Klavier.
Erinnerungstauschen, da mache ich nicht mit, Katze im Sack und so. Nee. Aber, falls Sie sowas mal sichten sollten, beim nächsten Flohmarktbummel: an einem "Schönreden im Feinschliff" hätte ich sehr großes Interesse. Preis ist hier zweirangig, sogar eine Such-und-Finde-Prämie wäre ich bereit zu zahlen.
Es gibt bestimmt interessante aus der Reihe "Erinnerungen an Sachen, die ich nie gemacht habe, aber besser gemacht hätte". Das kingt nach einem Markt (oder einem neuen Fernsehformat). Beim Schönreden, so dachte ich, muß man doch nur so Blümchengirlanden anhängen wie beim Asterix. Ich werde Ausschau halten, es finden sich ja die erstaunlichsten Dinge bei solchen Gelegenheiten.
Und am Ende, wenn die Stände abgeräumt werden, bleiben die Erinnerungen, die keiner haben will, einfach so liegen. "Zum Mitnehmen", wie manchmal auf irgendwelchem Schrott steht, den die Inhaber an die Straße stellen. Und am Ende kommt dann doch nur die Müllabfuhr Dr. Freud & Cie.
Das ist immer wieder eine erschreckende Erkenntnis, die sich in gewissen Abständen wie ein böser Schauer über einen auskippt: Die Erinnerungen, die - ihrer schönen Folie beraubt - im Karton mit der krakeligen Aufschrift Belanglos landen. Und aus dem jamais, aus dem Niemals wird ein trotzig-höhnisches Nevermore!. Alles nicht schön, man wollte ja bewahren. Immer mit der großen Geste.
eppendorf schläft jenseits der realität. es sagt "mama" und "papa". selten so viele menschen gesehen, die immer söhne und töchter bleiben und nie lernen, was verantwortung heißt. nicht mal die mütter mit ihren bäuchen haben je sehnsucht oder hunger verspürt. schöne tiere, allesamt.
Hm, das weiß ich nicht. Vielleicht haben sie sich die Sehnsucht bloß abkaufen lassen. Vielleicht war es auch immer bloß die Sehnsucht nach etwas Oberflächlichem, etwas Prunk, etwas Glitter, etwas Ruhm. Diese Wünsche sind ja so selten nicht, und es gibt dort ja verschiedene Ecken. Die Dichte junger Eltern dort hat mich allerdings auch wieder einmal erstaunt. Der Prenzlauer Berg Hamburgs vielleicht.
Verstimmte Klaviere eignen sich höchstens noch für Blues oder Stummfilmmusik.
Stummfilm? Also wie für mich
gemacht. Außerdem gibt es ja das bislang unerforschte Phänomen der bloß temporär verstimmten Tasteninstrumente. Welt der Wunder.
Das ist ja auch gut so. Stummfilm ist eine feine Sache. Aber immer und ewig verstimmt und verstummt? Nein, dann schmecken ja nicht mal mehr Käse-, Leberwurstbrote oder Muffins.
So eine Tauschbörse käme mir ganz gelegen, denn ich finde es höchst spannend, was bei anderen Leuten so auf dem Speicher rumliegt. Nur hätte ich leider nichts zum Tauschen, weil ich meine Erinnerungen entweder behalten will oder sie sehr schäbig aussehen und so penetrant nach Mottenpulver stinken, dass die wohl niemand mehr haben will - nicht mal ich selbst. Was macht man mit so was? Sperrmüll? Hausmüll? Sondermüll?
Ich packe die in eine dick mit Blei ummantelte Kiste. Wegen der Strahlung. Der gleißende Schein, wir erinnern uns an einen berühmten Archäologen mit Hut und Peitsche.
Packen sie aus. Um Himmels willen!. :-)
Um Himmels Willen, nein! Die ließen alle zu Stein erstarren. Nein, nein, in den Ausstellungsraum kommen nur die schönen Dinge.