Die Wiege der Wespe


Vier mysteriöse Lehmkokons vor dem Modell einer gebrauchsüblichen Hausspinne zum Größenvergleich

Nur mit dir, nur mit dir/
Schmeckt mein warmes Bier

(Mola, „Warmes Bier“)

Aus dem Süden taumelt wie eine betrunkene Wespe endlich wieder ein kleiner Sommerhit heran. Molas Warmes Bier setzte sich via FM4 in meinen Gehörgang, zischte wie eine frisch geöffnete Dose, wird in kleinen Schlucken genossen und ist mir noch nicht schal geworden. Fast wie Urlaub! (Möchte auf das Thema nicht angesprochen werden.)

Reist man nicht weg und ist man da mit offenem Herzen und offenem Fenster, kommt manches auch einfach zu einem. Letztes Jahr hatte ich einen oder auch mehrere nie zuvor gesehen Gäste. Sie reiste aus dem Süden heran wie torkelnde Wespen – und waren es auch. Relativ große Fluginsekten mit stielförmig abgesetztem Hinterteil, geformt wie eine Amphore, brummten laut durchs Zimmer, irgendwie geschäftig, nie bedrohlich und auch nur ein paar Tage. Damals fehlte mir die Zeit und Muße, die Tiere näher zu klassifizieren. Es blieb bei einem „Was es nicht alles gibt“ und damit war es ja erst mal gut.

Nun musste ich eine größere, manche würden sagen mächtige Pflanze umpflanzen und neu sortieren, Ableger entnehmen (immer Backups anlegen!), und es fügte sich eins zum anderen, wenn man denn schon mal die stillen Ecken im Gewächs (so der Titel meines Debütromans) von Staub und herbstlich-toten Blättern befreit. Dabei nämlich fand ich vier bemerkenswerte Gegenstände, tönerne, zwei Zentimeter große Kokons, Amphoren gleich, einige bereits geöffnet. Nun kennen wir ja alle diesen Film, in dem eine Gruppe Weltraumreisender eine dunkle Höhle auf einem fernen Planeten entdeckt und bei der Erkundung auf ein Gelege höchst merkwürdiger Eier stößt. Das ging gar nicht mal so gut aus und deshalb beging ich auch nicht den Fehler, mich mit dem Kopf über einen dieser Kokons zu beugen, damit sich nichts an meinem Gesicht festklammern kann.

Stattdessen bemühte ich wie ein Boomer das Internet und fand bald heraus, dass hier offenbar die Orientalische Mauerwespe (Sceliphron curvatum) ihren Nachwuchs abgelegt hatte. Aus dem Süden, diesmal sogar aus Indien, herangetaumelt wie ein Sommerhit breitet sich die Art in weiten Teilen Europas aus und sucht dabei so wie wir alle menschliche, aber eigentümlicherweise auch arachnide Nähe. Hauptbeschäftigung: Sie töpfert wie in diesem anderen berühmten Film, Nachrichten von Sam, aus Lehm und Spucke ein Gefäß und legt dann wie in einen Maxi Cosi vorsichtig ein Ei hinein. Dazu, damit das Kind auch was zu Essen hat, wenn es schlüpft, eine heimtückisch ins Wachkoma vergiftete Spinne (siehe Bild), die wehrlos, aber weitestgehend lebendig, darauf warten muss, auf die Speisekarte zu gelangen. Auch nicht so schön, denn lieber wäre es mir, die Orientalische Mauerwespe jagte Kleidermotten, die ja nur noch „natürlich“, nicht aber mit hochwirksamen Nervengiften dahin befördert werden dürfen, wo es nur arschdunkle Synthetikfasern zu fressen gibt. Im Höllenkreis der Motten, so auch der Titel eines Bahnhofskino-Slasherfilms, den ich mal in den 70ern sah. (War da noch Kind im Kokon.)

Kuckuckskinder also – zurück zum Thema – die mir da als Puppenstube untergeschoben wurden. Ein bisschen unheimlich wirkt das Ensemble natürlich schon, aber nun hüte ich es liebevoll wie ein alter Großvater, erzähle abends zur Schlafenszeit ein paar Anekdoten aus meiner Jugend oder lese ein Märchen vor und schaue, dass die Musik nie zu laut gedreht wird. Drei dieser Lehmwiegen sind bereits geöffnet, ohne dass ich etwas gemerkt hätte (bin manchmal zum Einkaufen draußen). Aber auf das letzte freue ich mich schon, wenn es schlüpft. Ich werde der Wespe Unsinn beibringen und später auch mal ein paar schmutzige Witze.

Wunderkammer | 12:12h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
herrrau - Montag, 18. August 2025, 13:13
Höchst interessant, das mit der Orientalischen Mauerwespe, ich habe Ihren großzügig hinterlassenen Link benutzt und mich kundig gemacht und dabei viel Wissenswertes und leicht Gruseliges erfahren.

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kid37 - Montag, 18. August 2025, 14:06
Sehr faszinierende Tiere. Sehen sehr schmuck aus, Brummen ein bisschen laut, waren aber tatsächlich nicht aggressiv an mir interessiert. Der Lebenszyklus und die Brutpflege sind natürlich speziell. Das kommt der von Alien schon ein wenig nahe. Oder The Host. Oder...

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kuena - Montag, 18. August 2025, 14:58
Danke für die Links und die spannende story, warte sehnsüchtigst auf das Erscheinen ihres 37sigsten Debütromans.
Die Wespe hab ich im Garten noch nicht gesehen (haben Sie den Fund irgendwo gemeldet?), werde Ausschau halten.
Aber warmes Bier geht gar nicht (also nicht das Lied, sondern in echt) auch nicht mit ihr, die zur Zeit, dem Wetter entsprechend am liebsten eisgekühlten Retzina trinkt.
Und by the way, endlich mal vielen Dank für den Link zum nightlyradio, höre ich immer wieder mal seit Ihrer ersten Empfehlung.

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kid37 - Montag, 18. August 2025, 17:40
Als ich die spärlichen, aber detaillierten Fundorte in der Wikipedia las, dachte ich kurz daran, die zu melden. Andererseits denke ich, dass der Eintrag möglicherweise einfach gar nicht so aktuell ist. Hafenstadt hin oder her, von Süddeutschland haben die sich durch den Klimawandel bestimmt schon länger nach Norden vorgearbeitet. Vielleicht recherchiere ich mal eine geeignete Stelle. (Nachher sagen die aber, nee, Meister! Das ist keine Orientalische Mauerwespe, sondern eine Orientalische Mauerwespe Pseudica. Die imitiert die nur und ist in Wahrheit eine lange bekannte, verbreitete Insektenart aus den Tiefen des Alls.)

Nightly Radio ist immer noch wunderbar, schön, dass es Ihnen gefällt.

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manhartsberg - Montag, 18. August 2025, 19:12
Mit Ihrem Verdacht des bekannten Vordringens Ihrer Hausgenossen in nördlichere Gefilde lagen Sie richtig. Für noch mehr Grusel kommen bei diesem Verwandten auch noch fiese Fliegen ins Spiel. Aus Österreich kommt neben Warmen Bierempfehlungen auch folgende ein Jahrhundert vor der Wespe in Wien erschienene Vertonung.

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nnier - Montag, 18. August 2025, 20:49
Scheint deutlich aufwendiger, so ein tönernes Gefäß, aber auch stabiler als ein papiernes, von Hornissen gebautes. Ich bin ja immer versehentlich mit dem Spatenstiel dagegengestoßen, wenn im Geräteschuppen so eine Lampionkugel entstehen wollte, und erzählte dies auch meiner Nachfolgerin, als sie per Messenger frug, ob ich wohl so etwa schon einmal gesehen hätte ... aber zu spät, sie hatte einer zuständigen Stelle den Hinweis gegeben und bekam dadurch 1) die Ankündigung einer Gebühr von 150.- EUR fürs demnächst anstehende Umsetzen sowie 2) einen Tag im Krankenhaus nach unvermuteter Attacke durch eine ganze Armada, die solche Fürsorge kein bisschen zu schätzen wusste. Statt mal in Ruhe die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen zu lesen.

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