Heute hat Stephen Morris Geburtstag, Schlagzeuger bei Joy Division und New Order, von dem ein Bandmitglied einst sagte, er sei "daft as a broomstick", was in Manchester so viel bedeutet wie "eigentlich ein dufter Typ". So meine Gedankengänge unter anderem, während ich auf meiner Chaiselongue liege, die Regentropfen auf der Fensterscheibe zähle und ein bisschen unschuldiges Indiegeschrammel höre, als sei ich ein junger Mensch, der besser einen Besenstil greifen sollte und die Stube kehren.
Nun kann man aber auch mit und auf der Chaiselongue Karriere machen, wie die britsche Band Wet Leg belegt. Eigentlich ein Duo aus zwei Freundinnen mit Gitarren, die sich zur weiteren Rhythmusverstärkung ein paar Jungs als Backingband geholt haben, zeigen ihre kleinen Miniaturen, wie es Großbritannien seit Jahrzehnten immer wieder auf verblüffende Weise schafft, Welle um Welle an kleinen Indiebewegungen hervorzubringen, wie die letzten Jahre um frauendominierte Bands wie Dry Cleaning, King Hannah und eben Wet Leg beweisen.
Deren Geschichte geht ungefähr so: Besagte zwei Freundinnen machen eher für sich selbst und ihre Freunde in der Provinz der Isle of Wight Singer-Songwritermusik mit unbekümmert frivolen Texten und unschuldig-rotzigen Witzen ("Is your muffin buttered?"), poofen gegenseitig auf ihren Sofas, trinken Bier und essen Kekse, gehen ihren unaufregenden Alltagsjobs nach - und zack, ich weiß nicht genau, wieso (ich glaube, ein Song wurde bei Futurama gespielt), finden sie sich im Zirkus der großen britischen Festivals wieder, spielen ihren Hit "Chaise Longue" vor unfassbar 50.000 Leuten in Glastonbury, die alle ihre Texte mitsingen. "Excuse me! - What?" wird da zum Mitmachspiel, alle sind guter Laune, die beiden Inselfrauen haben warmes Bier, einen Degree ("I went to school and got the big D") eine Chaiselongue und die Zeit ihres Lebens, können es wahrscheinlich selber nicht fassen, ändern anderswo Zeilen wie "suck my dick" ins angebrachtere "suck my clit", was die BBC nervös einen Einklinker "Strong language" einblenden lässt, aber nicht die Übertragung [YT] verhindert. Aber gut, wir haben Schlagerfestivals im TV.
Neben der sich munter verströmenden Vitalität der Jugend spielen die zwei aber vor allem in ihren Videos ganz interessant mit der Gothic-Tradition des englischen Hinterlandes. Dazu schaue man sich mal breit, laut und in Farbe (ich meine die Einstellungen des TV-Geräts) den fantastischen Auftritt [YT] bei den Brit Awards 2023 an. Der Tanz heißt wohl "Morris", wie ich erfuhr, und das Ganze ist natürlich pures The Wicker-Man - und zwar die Originalversion von 1973. Erntetanz mit Tiermasken, der ein Opfer fordert, ein unschuldig-gefährlicher Wirbel also, der einem da im fruchtigen Grün der rauen Landschaft unter der Türschwelle durchkriecht.
Solcherart also die Gedanken, während ich gerade noch so eine Kerze ausblase auf meine alten Tage, Sacher-Torte und handgeschöpfte Schokolade betrachte und weiter den Regen, wie er auf der Fensterscheibe herunterläuft.
Herr Rau, das sind die besten Grundlagen für Expertise. Mit ähnlicher Grundlage habe ich heute über Bautechnik referiert - leider war ein Ingenieur an Bord, der ganz andere Zahlen und Daten parat hatte. Aber ich gab mein Bestes!