Das dritte Bein



Wohl jeder hat diesen einen nervigen Onkel oder diese eine nervige Tante in der Familie, die mit qualvoller Regelmäßigkeit verrauchte Geburtstagsfeiern und festliche Tischgesellschaften partout mit "lustigen" Zoten oder endlosen Diaschauen voller sog. "Oh-la-la"-Bildchen unterhalten wollen.

Großtante Eustachia machte sich gerne einen Jux mit ihrem dritten Bein, das sie Jahre zuvor bei einer mexikanischen Lotterie gewonnen hatte. Lässig überschlug sie ihre drei Beine, verzog dabei keine Miene und ergötzte sich an den verblüfften Bemerkungen der Umstehenden. "Auf drei Beinen kannst du geht stehen!" gröhlte dann meist ein angeschwipster Onkel vom anderen Ende des Tisches herüber. "Kann-kann-kannst du auch Can-Can? Und heißt das dann Can-Can-Can?" kicherte die Tante selbstergriffen von ihrem vermeintlich gewitzten Aperçu, der zur Sache aber nichts weiter beitrug und nahm noch schnell einen Schukc vom Pfefferminlikör. Großtante Eulalia schaute gedankenschwer und rauchte ungerührt, also stabil, weiter, blickte dabei melancholisch auf ihre drei Schuhe, die manchmal zusammenpassten, häufig aber auch nicht. Sie war ja gezwungen, immer zwei Paare zu kaufen und nicht immer waren auch identische verfügbar.

Ihr drittes Bein war nicht immer eine Hilfe, oft ein Hingucker, manchmal aber auch eine Last. Menschen starrten ihr auf der Straße nach, Kinder flüchteten erschrocken zu ihren Müttern, Männer hingen Gedanken nach, pöbeliges Pack gröhlte was von "Oh, ein flotter Dreier" und krachten sich die Hände gegenseitig auf den Rücken. Ein dreifacher Spießrutenlauf für die arme Tante! Da es hieß, das dritte Bein sei ein Tombolagewinn aus ihrer Zeit in Lateinamerika, rätselten wir Kinder immer, wie es wohl befestigt sei und warum Tante Eustachia es denn nie abnahm, wenn es doch oft wohl auch hinderlich war. Aber so wie manche mit ihrem Schnurrbart verwachsen waren, den sie als Markenzeichen für sich erachteten, oder einem bestimmten Hemd, das sie so oder ähnlich immer trugen, so war auch Tantes Bein längst ein Teil von ihr geworden. Und warum auch nicht? Wenn sie ihre Beine geschickt im Dreieck aufstellte, blies kein Wind sie um.

Wunderkammer | 16:56h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kuena - Montag, 28. November 2022, 17:42
Mein Vater, der seine Kamera gerne auf einem Dreibein montierte, sagte gerne zu dem oder der zu portretierenden/m, "so, nun stellen Sie sich mal schön im Halbkries auf." Ihre Tante Eustachia oder Eulalia? hätte das wohl locker hinbekommen.

Hans Albers auf der Wappen von Hamburg, auf der Rückfahrt von Helgoland, auf der ein ordentlicher Wind blies, hatte sechs Beine nötig, also noch die von zwei Matrosen, die ihn rechts und links stützten, um nicht umgepustet zu werde, der Stand auch schön im Halbkreis, aber, das ist eine andere Geschichte.

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kid37 - Montag, 28. November 2022, 19:13
Sechs Beine sind besser als drei, schätze ich mal. Auch wenn man hin und wieder umgekippte Insekten beobachten kann. Die Halbkreisfotografie finde ich gut. Mit solchen Anweisungen sind die Leute gut beschäftigt und werden nicht wegen des Fotografiertwerdens nervös.

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kuena - Dienstag, 29. November 2022, 06:32
In letzter Zeit sehe ich am Strand immer wieder einen dreibeinigen Hund, dem fehlt vorne links, das macht ihm aber nix, der rennt als wenn nix wäre, fällt auch nicht um, und wenn es ein Rüde ist, so ist er sicher auch ein Sitzpinkler.

Außer Halbkreis nutzte mein Vater nicht den abgedroschen Spruch: "hier kommt gleich das Vögelchen" zur Auflockerung sondern sagte: "und nun kommt der große Moment, wo der Elefant das Wasser lässt". Sorgte auch immer für lachende Gesichter.

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kid37 - Dienstag, 29. November 2022, 18:42
Es wird ja nicht viel darüber gesprochen, aber Landwirte kennen das natürlich, diese "außerordentlichen" Tiere auf ihren Höfen.



Eine Kuh mit drei (!) Köpfen und sieben (!) Beinen war aber auch früher schon eine Sensation.

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nnier - Mittwoch, 30. November 2022, 03:52
Der Mensch als Zweibeiner wird ja als absonderliche Fehlkonstruktion betrachtet, wenn es um effiziente Fortbewegung geht. Ihre Großtante also immerhin standfest, und beim Laufen vermutlich stets einen Walzer im inneren Ohr!

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kid37 - Mittwoch, 30. November 2022, 13:36
Der Mensch ist eine wacklige Konstruktion, wohl war. Und normiert sich selber immer mehr. Wenn ich mir die insgesamt sehr realistischen alltagsbeobachtenden Zeichungen eines George Grosz anschaue - damals sahen die Menschen noch vielfältiger aus. Heute vergleichsweise synthetisch. (Stable Diffusion V2 geht einen ähnlichen Weg, das ist alles sehr glatt.)

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