Aus dem Familienalbum #5


Luisa-Edeltraut von Brockendorff mit Issus coleoptratus edeltrauta

Da ich bei der KI-Bildmaschine Stable Diffusion noch in den Anfängen, also bei der alten Glasplattenfotografie bin, dachte ich, ich könne da auch gleich noch einmal Seiten aus unserem alten Familienalbum zeigen. Wenige wissen um meine Urgroßtante Luisa-Edeltraut von Brockendorff, die ihr "von" durch eine Heirat mit einem gewissen Hugo von B. erwarb, der aber kurz nach der Hochzeit in einem Krieg blieb, wie es hieß. Als junge Witwe wandte sich Luisa-Edeltraut der Tierkunde zu und erwarb sich durch Eifer und Beharrlichkeit ein beeindruckendes Wissen aus dem Haus der Entomologie. Auch wenn der gut gepflegte Hochmut der akademischen Welt schon damals prägend und behindernd war, insbesondere Frauen oder Unstudierten gegenüber, so wurden im 19. Jahrhundert doch all überall beachtliche Forschungen und Entdeckungen von Amateuren geleistet. Gerade oft belächelte "Volks-Entomologen" mit ihrer eigenen, unbefangen Art der Wissenschaftsbetrachtung, konnten immer wieder beachtliche, wenngleich meist heiß disputierte Erkenntnisse beisteuern.


Luisa-Edeltraut von Brockendorff mit ihrer zahmen Mottus bathynomus giganteus

Luisa-Edeltraut arbeitete im Archiv des naturkundlichen Museums irgendeiner Stadt und wurde in Expertenkreisen bald für ihre ungewöhnlichen Funde von Insekten beachtlicher Größe bekannt. Diese brachte sie von geheimnisvollen Reisen mit, für die ihr eigentlich die Mittel fehlten (Hugo ließ nichts außer seinem Hochzeitsanzug zurück), von denen sie aber mit erstaunlichen Präparaten zurückkehrte, die die ehrenwerte Gesellschaft der Wissenschaft und Künste entzückten. Bald trug sie wohl, wie eine zittrige Bildunterschrift im Fotoalbum verrät, den Beinamen "Insektenfrau". Ein von ihr entdeckter und erstmals beschriebener Riesenkäfer wurde gar nach ihr benannt: Issus coleoptratus edeltrauta.


Luisa-Edeltraut von Brockendorff mit Callitropa mergeoptera (nicht ausgewachsen)

Anerkennung und Nachruhm allerdings blieben ihr versagt. Wie es der akademische Nachwuchs und Mittelbau auch heute noch kennt, wurden zahlreiche ihrer Entdeckungen sog. honorablen Herren zugeschrieben, ihr Beitrag zur zoologischen Wissenschaft durch auf hoher Nase getragenem Pince-nez übersehen. Sie mied wohl die Menschen und suchte die Nähe ihrer taxidermischen Präparate, verzeichnete akribisch Käferflügel und Fliegenbeine in staubigen Verzeichnissen und Journalen und starb am Ende einsam und verbittert. So jedenfalls geht die Saga, denn von einer neuen Liebe steht im Familienalbum nichts.

Homestory | 20:02h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
manhartsberg - Mittwoch, 23. November 2022, 21:31
Hm, eine dieser geheimnisvollen Reisen Ihrer Urgroßtante führte selbige nicht zufällig ins Lavanttal?

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kid37 - Mittwoch, 23. November 2022, 22:03
Interessant. Ich muss dort mal nachhaken. Vielleicht wollen die eine Vitrine mit den Dokumenten meiner Urgroßtante aufstellen. Wäre schon schön.

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frau eff - Donnerstag, 24. November 2022, 08:38
Wird im Familienalbum etwas zum Zustand der Tante gesagt, als sie fotografiert wurde? Ich habe den Eindruck, als sei die Tante selbst nicht mehr recht lebendig, sondern präpariert, ausgestopft, Sie wissen, was ich meine (das völlig unförmige Gesicht lässt auf einen Laien schließen). Da steckt vielleicht noch eine viel großere Geschichte hinter.

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kid37 - Donnerstag, 24. November 2022, 14:07
Ich glaube, das liegt bei uns in der Familie. Ich selbst sehe ja auch ein wenig... eigentümlich aus. (In der Schule hieß es häufig, man merke, dass das Neandertal nicht weit weg liegen würde.) Dahinter steckt aber ein generelleres Problem: Wir sehen diese Art von "Normalität" nicht mehr, weil die Menschen heutzutage mehr gemacht und verschönt sind. Zahnspangen sind völlig normal, Nasenkorrekturen gibt es schon im Jugendalter, Bodies werden gebuildet und den Rest übernimmt die Kosmetikindustrie. Interessantes Thema auch.

Ich finde, Tantchen fand vielleicht aus Gründen unter Insekten ihr Glück, muss sich aber unter den Mitmenschen des 19. Jahrhunderts auch nicht verstecken. (Leider zeigen die Bilder ihr Gesicht ein wenig unscharf, weil es wohl nur um die Präparate ging.)

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