Mittwoch, 2. Juli 2014


Aktuell

Blogger.de braucht noch Hilfe, wie hier nachzulesen ist. Wer etwas beitragen möchte, kann dies gerne tun, auch ungerade Summen sind willkommen. Geht ganz alte Schule über eine Bankverbindung.

Tentakel | von kid37 um 20:54h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 



Es geht um Alles



Wenn man unvermutet und übersichtslos hineinfällt, fühlt man sich selbst bald wie einem Schützengraben. Labyrinthisch aufgebaute Schauvitrinen, Plakatwände und Leinwände und Monitore zwängen einen in enge, verstellte Wege, während im Kinoraum einen links und rechts Propagandafilme anbellen, Ertüchtigungs- und Durchhalteparolen aufblitzen oder marschierende Truppen auf einen zustapfen. Die Ausstellung "Krieg und Propaganda 14/18" im Hamburger MKG lebt von der Fülle des Materials. Offizielle Plakate, erstaunliche Spielzeuge, aber auch viele Erinnerungstücke aus Privatbesitz versuchen, einen Eindruck von der kriegsbegeisterten Zeit des ersten, modernen Vernichtungskrieges zu vermitteln.



Darunter sind "Scrapbooks", also frühe Tumblr-Blogs, in denen unsere Urgroßeltern Zeitungsauschnitte, Briefe und Fotos klebten. Zeichnungen und Fotos von der Front kamen mit der Feldpost, Soldaten hatten kleine Plattenkameras dabei, entwickelten die Bilder in ihren Unterständen auf vorgedrucktes Postkartenpapier und schickten sie in solchen Mengen nach Hause, daß unmöglich alles durch die Zensur laufen konnte. Schon damals also erstickten staatliche Stellen an der schieren Fülle des Materials.

In Zeiten der Not war "Nachhaltigkeit" ein Gebot avant la lettre, gesammeltes Frauenhaar war kein Fetisch Erinnerungstück, sondern kriegswichtiges Material, Kaninchen noch wirkliche Nutztiere, denen das Fell über die Ohren zu ziehen galt. Ausschnitte aus Kriegstagebüchern beschreiben das Grauen der Gefechte, aber auch die entsetzliche Langeweile in den Gräben oder zeigen in Fotos und Zeichnungen wahlweise idyllische oder zerbombte Landschaften. Bissig dagegen die satirisch-polemischen Propagandablätter, in denen den "Hunnen" von schlangenphallischen Allierten ordentlich in Pulver und Suppe gepißt gespuckt wurde.

("Krieg und Propaganda 14/18". Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Bis 2.11.2014.)

>>> Mehr Infos auch unter Propaganda 1418.


 


Montag, 30. Juni 2014


Merz/Bow, #47



Ich hoffe, ihr habt eure Balkone geschmückt, wenn heute abend der Weihnachtsmann der Herr Löw und seine elf Weisen das Wunder im Fußballmorgenland vollbringen. Dies ist ja die WM der großen Zeitverformungen, ein Beweis für den fatalen wissenschaftlichen Irrtum, dem auch Dana Scully (50) lange unterlag: "Time just can't disappear! It's a universal invariant!" - so eines ihrer überlieferten Zitate. Wer heute aber die Fußballweltmeisterschaft "live" verfolgt, wird feststellen, wie zeitversetzt die als "Live-Übertragungen" ausgewiesenen Sendungen in den Nachbarwohnungen und auf der Straße bestöhnt, beächzt und behupt werden. (Oder wie hier im Viertel: beböllert.)

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Irgendetwas wollte ich sagen. Vergessen.

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In den USA (das ist ein Land in Amerika) hat man seit jeher großes Interesse an Techniken zur Mind Control. William S. Burroughs beispielsweise hat viel darüber geschrieben und wurde als drogensüchtiger Verschwörungsfantiker belächelt, dabei war er nur der drogensüchtige Poeten-Bruder des bekannten Sachbuchautors Philip K. Dick. Die Firma Facebook jedenfalls, die im Internet ein großes Aushorchungsnetzwerk betreibt, hat das alles noch mal ausprobiert und festgestellt: Schöne Nachrichten sind schöner als nicht so schöne Nachrichten.

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Leider, so muß ich als Betreiber einer kleinen diesbezüglichen, seit zehn Jahren bestehenden Blog-Forschungsstelle (und zwar im Internet) berichten, gibt es keine schönen Nachrichten. Die schönen Nachrichten nämlich erreichen uns nicht nur zeitversetzt (s.o.), sie sind auch noch geschönt.

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Nehmen wir zum Beweis diese Bilderstrecke, die uns aus dem schönen Kalifornien (das ist ein Staat in den USA) erreicht. Ich habe recherchiert und erfahren, daß diese Bilder gar nicht "echt" sind. Es handelt sich um eine Gruppe Schauspieler aus einer Vorstadt von Los Angeles, die hier im Auftrag einer Nachrichtenverschönerungsverschwörung so tun als seien sie glücklich. (Bis auf eine, die aus wohlhabender Familie stammt, leben aber alle einschließlich der Kinder vom Existenzminimum in einem Trailerpark in den Bergen Hollywoods, aber das nur nebenbei.)

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Wer aufpaßt, errät es am Skateboardbild. Keine Zehenschutzschuhe! Kein Helm! Kind in kippliger Situation! Wennjetztwaspassiert! Es dürfte jedem klar sein, daß dies keine echte, von Mind-Control-Experimenten unbeeinflußte Lebenssituation darstellt, sondern von professionellen Stuntmen und -kindern im Filmstudio nachgestellt wurde.

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Wie der WM-Sieg einer bestimmten Mannschaft 1974 übrigens.

MerzBow | von kid37 um 17:37h | 7 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 27. Juni 2014


Schwarze Sommer



Es regnet. Wunderbar warm aus graueren Wolken, die am Hafen sich um Schiffsschornsteine und Ladekräne wickeln. Endlich ist der Sommer da. Mit seinen kürzer werdenden Tagen, den ausgelebten Sinnlosigkeiten hinfließender Kleidung, Träumen und Gedanken, den Dressings auf Picknicksalaten. Mir, in schattige Ecken gedroht von heiteren Mienen, müssen Memento-Moris Mahnung sein. Drück die dunklen Freunde enger an dich, Mensch! Es kann nicht jeder Tag ein FlipFlop-Tag sein.

Nie aber ist man zu alt, sich vernünftige Hobbys zu suchen. Wie etwa die achtzigjährige Elinor Wrobel, ehemalige Krankenschwester und ambitionierte Kunstsammlerin. Die hat einst eine umfangreiche, vergessene medizinische Sammlung aus den staubigen Ecken der Pathologie eines Krankenhauses in Sydney gezogen. In tapfer erkämpften Räumen des Krankenhauses kuratiert sie nun ihr eigenes "Morbid Anatomy Museum", angetan von der Schönheit der Exponate und ihrer Mahnung an unsere Vergänglichkeit.

>>> Hier ein kurzer Film.


 


Donnerstag, 19. Juni 2014


Nachrichten aus einem entspannten Leben

Die Tücken des Alltags umschiffen sich elegant gekleidet bekanntlich behaglicher. So sitze ich hier in meinem Cary-Grant-Hausmantel und setze den Datenverlusten sanftmütige Duldsamkeit entgegen. Nicht auszudenken, trüge ich ein angeschwitztes Rock'n'Roll-T-Shirt mit Bsrrrrrkr-Bandlogos bedruckt oder Sprüchen wie "Hate starts with Hello!" Ach, was war ich früher unentspannt! Heute habe ich besseres gelernt und weiß: Wer seinen Körper nicht mit sanften Stoffen umschmeichelt, ist höchstwahrscheinlich auch kein Spitzenverdiener. Oder so wie ich bloß auf der Suche nach raren Stücken, die mir ein entspanntes Leben versprechen. So finde ich zarte Lyrik, den bekleidenden Zauber zu beschreiben:

Bei dem hier angebotenen Luxussakko sind sämtliche Einlagen leicht und beweglich eingenäht. Solche Sakkos sind für Spitzenverdiener gefertigt. Das wunderbare Innenfutter aus hochwertigem Cupro in silbrigem weiß bildet eine fantastische Harmonie zu dem hell elfenbeinfarbenen Oberstoff. Das Material ist absolute Spitzenklasse: 100 % Schurwolle. Das Sakko ist luxuriös elegant und für ein entspanntes Leben bestens geeignet. Es ist sehr weich und anschmiegsam. Er fällt mit einem Gehschlitz besonders elegant. [Q]

Ein Buch müßte man zusammentragen aus den lyrischen Perlen dieser exquisiten Angebotskunst. "Bücher für Spitzenverdiener!", gebunden in silbrig glänzenden, entspannenden Stoffen für den Aufenthalt bei einer "Pferdesportveranstaltung" oder "am Steuer einer Hochseeyacht", wie es in einem anderen Angebot heißt.


 


Samstag, 14. Juni 2014


Freitag, der 13.

Oha. Das war ein fataler Einschlag. Blogger.de war kapott und ist es zum Teil auch noch. Hier sind fast alle Bilder weg, drüben bei Rost sogar das komplette Layout. Hier im Blog sind allein über 2600 Fotos betroffen. Ob, wann und wie ich die manuell wieder nachtrage, mag ich noch nicht sagen.

Ich weiß, jeder steht Blogs ganz unterschiedlich gegenüber. Das reicht vom rotzigen com.egal bis zum tapferen die Welt für mich. Das muß halt jeder selber sehen. Danke an Dirk für die Mühe und den Einsatz, blogger.de wieder zum Laufen zu bringen. Die gute Nachricht ist, daß die Einträge grundsätzlich alle noch da sind.

Weitermachen.


 


Sonntag, 8. Juni 2014


You keep me coming home again



Kaum schaut man kurz nicht hin, man hat seinen Anorak gerade hübsch eingeknuffelt, bricht Sommer aus. Ich sitze dann abends noch lange am Fenster, warte bis die letzten Boote vorbei sind, trunkene junge Menschen meist mit Landjugend-Diskothekenmusik an Bord, und darauf, daß sich die Wohnung ein wenig abkühlt. Vorher ist an Schlaf ja eh nicht zu denken.

Ich selbst höre dann die beste Band der 80er-, 90er- und 2000er-Jahre, warmes Gitarrenperlen und munteres Schringschring zu nonchalanten, aber wichtigen Mitteilungen. "You keep me coming home again" (was im speziellen Fall Sonic Youth mittlerweile einen gewissen bitteren Humor in sich trägt. Aber geht es einen was an? Ich habe eine Meinung, mische mich aber nicht ein.)

Man könnte auch über Land fahren, "Reena" im Ohr. Die Musik verlangt aber ein Auto, einen blubbernden Motor und einen Ellenbogen, der sich in die Sonne bohrt. Sich unterwegs gedankenverloren den Dreck von den Knien rubbeln.

Bis dahin einfach so pfingstbegeistert Lieder nachpfeifen, sich kleine Parolen fürs Leben basteln. Die Brüche nicht zu lange in Gips halten.


 


Mittwoch, 4. Juni 2014


Wien, zu Food




Die schöne Stadt Wien ist unter vielen anderen Dingen berühmt für seine aufwendig gestalteten, prunkvollen Fassaden und exquisites Essen mit vielen Einflüssen der ehemaligen k.-u.-k. ("Küche und Kulinarik") - Länder. Kurz gesagt gilt zum Beispiel das Schnitzl als ein nahrhaftes, gesundes und allgegenwärtiges Schmusi für hart arbeitende Einheimische und hart staunende Touristen gleichermaßen. Für einen Butterbrotmann wie mich indes ist es immer wieder ein Erlebnis, von gutherzigen Menschen aus- und in vernünftige Speiselokale geführt zu werden, uniformierte Kellner, interessante Gäste und umfängliche Konsumationskarten zu bestaunen.



Nun möchte ich ja nicht als unzivilisierter Trampel in die Geschichtsbücher eingehen, sondern einen guten Eindruck schinden und nonchalant ein wenig Weltläufigkeit demonstrieren, beschloß daher folglich, nicht das naheliegendste - also ein gut durches Schnitzl - zu wählen, sondern mit fester Stimme etwas von den in okkulter Küchensprache codierten prunkvoll gestalteten Gerichten zu bestellen. Während ich also in schwitziger Spannung das Abenteuer Speisekartenlotto spielte, wanderte der Blick meiner charmanten und weltläufigen Tischgenossin die Angebote rauf und runter, bloß um mit ebenso fester Stimme "Ach, I nehm a Schnitzl" zu befinden. Und so kam es dann auch, links und rechts den Teller überlappend, während ich - düpiert, mißtrauisch und Hungergefühle dämpfend - eine sehr exquisite, drum aber auch überschaubare Installation von Chi-Chi auf Ur-Chi-Chi an anderem Chi-Chi betrachtete, die wie ein Yenga-Turm in die Mitte eines irgendwie übergroß erscheinenden Tellers platziert war.

So also wird man gefoppt, dachte ich, beschloß, es dem kleinen Aas heimzu entschlossen und mit guter Miene das Gebilde zu zerlegen und möchte abschließend bemerken: sehr lecker war's.

Später dann ein launiger Heimweg, quer durch die ja recht fußläufig bezwingbare Stadt, durch milde Nacht, vorbei an Erinnerungspunkten, Lokalen und nachtglitzernden Cafés. Wie sich überhaupt alles ganz schnell und wie natürlich zu einem schönen Bild zusammenfügte, das ich wiedererkennen konnte.