Mittwoch, 3. September 2025
Rauchzeichen am Horizont
All überall wird derzeit das Ende des Sommer besungen, wohl weil seit einigen Jahren die „meteorologischen“ Jahreszeiten ins Bewusstsein (oder einfach ins Klugscheißertum) geraten sind. Der 1. September gilt seither vielen als Herbstanfang, auch wenn der kalendarisch erst 23 Tage später ist. Drei Wochen Sommer also noch, schöner als zuvor, milder, warm und ohne die aggressive Hitze der Bunsenbrennerstiche vom ultravioletten Licht. Man kann wieder irgendwo sitzen und ein Buch lesen oder eines schreiben, ohne dass einem nur vom Atmen Schweißtropfen auf die Seiten fallen. Ungedrängt von übereilten physikalischen Aggregatwechseln ein Eis essen, überhaupt etwas tun. Zum Beispiel Salz streuen.
Nicht viele kennen nämlich meinen schmalen, gleichwohl sehr erbaulichen Band mit Sommergedichten ("Menschen kühlen sich/Im Sommer/An den Venen/Unter meiner Haut"), denn nur wenige haben ihn gekauft. Ist jetzt auch vergriffen, also muss jetzt keiner Tränen ("bittere Zähren") weinen. Ihr hattet eure Chance. Hin und wieder fallen mir noch ein paar gefällige Zeilen daraus ein, etwa bei der Hausbewirtschaftung ("Morgens gieße ich die Blumen/Mit Bitumen"), die ich als poetischen Akt begreife. Geschirrgeklapper als Reimklang, Bodenfegen im Rhythmus von Alexandrinern, Fensterputzen mit gewundenen Schlieren auf dem Glas, die Girlanden des fleißigen Hausmanns. Ein Leben wie im Bauch eines alten viktorianischen Gewächshauses, Frauen in selbstgenähten Pilzkostümen tanzen einen Reigen, ich liege auf einer Chaiselongue und höre eine knisternde Schellackschallplatte von Wet Leg auf einem Grammophon, zikaden schlüpfen und keisen um meinen Kopf. Man merkt: Auch das Träumen geht im Spätsommer leichter.
Am Himmel über Hamburg derweil schwarzer Rauch. Ein "Lachgas-Inferno" titelt später der Boulevard, so als sei es ein Fahrgeschäftspektakel auf der Kirmes. Ich höre das dumpfe Rumpeln vieler Explosionen, die Hafenversion des Sommergewitters. Ich versuche, Zeichen zu lesen aus den immer wieder aufwallenden Pechwolken. Bleib im Glashaus sitzen, heißt es. Oder such dir einen kleinen Strand. Flieh die Stadt, das Schicksal klopft! Pack ein Boot und lass dich treiben! Der Rauch spricht mehrdeutig. "Des Himmels Brand/Ein schwarzer Ton/Ich packe meine Sachen schon", schrieb der Dichter munter. Drei Wochen Zaudern hab’ ich Zeit.
>>> Geräusch des Tages: Carla Bozulich, Glass House
