Mittwoch, 19. Juli 2023
"Würstelinsel". Installation von Hanna Naske. 2023.
Am Wochenende waren landauf, landab Diplomausstellungen, Akademierundgänge, Graduation Shows und wie sie an den Kunsthochschulen so heißen. Ich packte also meinen Zweig, den ich nun als Erkennungszeichen für musikalische Waldklaubereien immer bei mir trage (manchmal ist ein Zweig wie ein guter Freund, knorrig vielleicht, aber verlässlich) und machte mich auf den kleinen Spaziergang am idyllischen Kuhmühlenteich und der hübschen Backsteinkirche St. Gertrud vorbei zur Hamburger HfbK. Dem erschöpften Wanderer winkte gleich im Foyer der Lohn: ein fast waschechter Würstlstand, installiert von der Wiener Künstlerin Hanna Naske. Na, servus!
Kaffee, Kuchen, Barbetrieb, das diesjährige Ambiente setzte auf vielfältige Kost und natürlich auch Kunst. Ein guter Jahrgang mal wieder, wie ich fand. Viel Doppel- und Mehrdeutiges, Anschauliches, weniger Konzept und Kopf, dafür Traum und Besinnung, Verschlüsseltes und Meditatives. So wie die Rauminstallation von Julia Nordholz, der man sich ein wenig hingeben muss. Ein Weißraum/White Cube gefüllt mit Trockeneisnebel und stetig heller werdendem Licht, dazu unwirkliche Klänge wie mit dem Geophon aus der Tiefsee gefischt. Tatsächlich sind es Field Recordings von Gletschereis, seinen Bewegungen und dem Knirschen und Knarzen der Schichten und Platten, dem Schmelzen und Brechen. Ganz toll, weil man hier seine Sinne konditionslos übergeben und sich im dampfenden Eisnebel orientieren muss (oder: besser nicht).
Eindrucksvoll auch die Arbeiten von Termeh Yaghoubi (Teheran) aus dem Artists-in-Residence-Programm: Folkloristisch versponnene, scheinbar naive Grafiken mit dunklen Untertönen. Und für Mutige bot die Installation von Joana Owona Gelegenheit, sich nicht unbedingt die Decke auf den Kopf fallen zu lassen, aber unter gewichtigen Steinen mit mindestens so gewichtigen, eingemeißelten Begriffen ("Weary", "Clarity") ein paar Schritte zu wagen. (Hielt alles fest.)
Ich werde für so was häufig gescholten: die private Wunderkammer mit soliden Fundstücken von der Straße. Rostige Nägel, obskure Werkzeuge, Skizzen und Papiere - Clara Bolotas Conjuring Shelfdesk schien mir magischer Altar und wissenschaftlicher Labortisch zugleich. (Schöner Account auf Instagram auch.) Interessant auch die Arbeiten von Wilhelm Meister, dessen "Lehr- und Wanderjahre" ihn zu (für mich verschlüsselten) technischen Zeichnungen und Konstruktionen gebracht haben. Ich hielt es zunächst für den Schaltplan von ChatGPT, lauter Nodes und kleine Formeln, wie in "Entwurf einer polarisierten Welt, 18" [Hier]. Ich hab's mir ganz kühn erklären lassen, und dann dem Meister meine Version präsentiert - ich weiß aber nicht mehr, wer am Ende recht hatte.
Blumen &Waschbecken I. 2023
Zur weiteren und heiteren Erbauung natürlich immer die fortlaufende Serie Blumen & Waschbecken. Zeugnisse der "night before" (Beatles), Gruß und Vergänglichkeit, Dekoration und Schaustehlung, oft üppig und barock.
Blumen &Waschbecken II. 2023
Manchmal auch einfach ganz schlicht - als Statementblume und Ligne claire im White-Cube-Ambiente. Ein schönes Treppauf-Treppab war's, gut für Herz, Beine und Kreislauf und langes Leben. Zur Stärkung ein Würstchen (leider habe ich vergessen, die Karte an der Würstelinsel zu dokumentieren. Marmeladinger-Witze über "Eitriges" fallen also (fast) aus).