Mittwoch, 5. Oktober 2022
Supermarktjäger und -sammler haben in den letzten Monaten den ein oder anderen Schrecken verspürt. Meist unten am Regal, wo die ehemals kleinen Preise sind, von denen man aber wie bei länger nicht gesehenen Kindern aus der Verwandtschaft sagen musste, "Mensch, seid ihr groß geworden". Dingdong, die Inflation ist da. Manch einer kauft kein Rindersteak mehr, sondern nur noch Pilze, um den Proteinbedarf zu decken. Die nächsten quetschen ihren Kaffee aus selbstgesammelten Eicheln oder Zichoriegewächsen, nicht umsonst "die gemeine Wegwarte" genannt, ihres sperrigen Geschmacks wegen.
Wohl denen, die ihr eigenes Stück Land bewirtschaften, Tomaten und Zucchini ziehen, Bohnen, Erbsen und Kartoffeln. Selbstversorgung statt Supermarkt und ein bisschen Ruhe obendrein klingen toll, die neue Genügsamkeit statt lang geübter Wohlstandsuhlerei lockt immer mal wieder Menschen ins Abenteuer Überleben. Wie dieses Paar auf Vancouver Island in British Columbia, das "off the grid" und losgelöst in ihrer eigenen Wirtschaftszone lebt. Die Tänzerin Catherine und Wayne, ein Holzschnitzer, haben sich in 27 Jahren eine künstliche Insel geschaffen, ein amöbenartiges, Verzeihung, ausuferndes Gebilde mit zahlreichen "Scheinfüßen" auf schwimmenden ehemaligen Trägern einer Fischfarm. Das Ganze ist stabiler als es scheint, aber immer noch regelmäßiger Leiderfahrung ausgesetzt. Die Winter sind hart und die Stürme zerstörerisch.
"We just consider that storm damage as part of our life-style", ist die über die Jahre gewachsene, sehr sympathische Maxime der beiden. Was will man auch machen? Improvisieren und immer weitermachen. Tanzen auf der kleinen Tanzfläche vielleicht, Holz schnitzen im Atelier oder eben Gemüse züchten in den verteilten Gewächshäusern. Seltsamerweise halten sie keine Bienen, die ihnen wertvollen Algenhonig liefern könnten, aber da warten sie sicher nur auf Menschen aus dem Internet, die ihnen das erklären. Erstmals wurde ich in einer kurzen Doku im deutschen Fernsehen auf die beiden aufmerksam. Der kurze Beitrag stammte wohl aus demselben Drehmaterial, enthielt aber auch launige Bekenntnisse wie "Sometimes I just want to throw him overboard" oder "She's got plants everywhere. She's a dancer, she can move here, but I can hardly put my foot". Sieht bei denen wenigstens manchmal also auch nicht anders aus als bei anderen Paaren. (Ich persönlich kenne so etwas nur vom Hörensagen.)
Da ich von Beruf ja Nachahmer bin, habe ich umstandslos über so ein eigenes Inselprojekt nachgedacht. Auf dem Hudson vielleicht, dann könnte man am Wochenende vielleicht mal nach New York City (das ist eine große Stadt in den USA), um eine Ausstellung zu sehen oder ein Konzert zu besuchen oder irgendwo was essen gehen, denn meine Kochkünste sind nicht so groß. Als Deutscher habe ich allerdings das Prinzip "Sicherheitsbedenken" verinnerlicht, kann also nicht einfach loslegen, sondern muss zunächst über Jahre üben und alles durchdenken. Mein Drei-Schritte-Programm lautet daher: erstmal ein Gewächshaus bauen, dann auf dem Kanal vor dem Haus die Schwimmfähigkeit testen, dann erst Fischfarmen abtelefonieren. Ein Gewächshaus habe ich jetzt, das ist sogar recht charmant und wird mir ganzjährig Rosmarin und vertrocknete Sträucher bieten.
Im nächsten Schritt muss ich den Kanal besiedeln. Hier spielt ein Aspekt in meinen Plan, den auch Wayne aus dem Video angesprochen hat. Gärtner kennen ja den Spruch, die Leute sehen nur das Beet und nie den Spaten. Der verlockende Sparplan "Selbstversorgung" wird nämlich mit reichlich Arbeit gefüttert. Auch wenn man Catherine und Wayne abends auf ihrem kleinen Strand in der Sonne sitzen sieht, der Tag bis dahin, war wohl eine ziemliche Plackerei. Ständig muss etwas getan werden, geht etwas kaputt und muss repariert werden, spielt einem das Wetter einen Streich, geht das Geld zur Neige, während das Bilgenwasser steigt. Wayne zitiert seine Mutter, eine Flak-Schützin im zweiten Weltkrieg (wenn ich es richtig in Erinnerung habe), die ihm verriet: "Sunshine, life is hard. And then... it get's harder."
Lummerland macht Arbeit, könnte man sagen. Weshalb die beiden, Zeit für einen Schmunzler hier zum Schluss, auch keinen Platz für Ponys haben.