Sonntag, 26. Februar 2017
Das Wetter verzaubert. So als würde man sich ausgehungert nackt in eine klamme alte Pferdedecke hüllen und selbst auf dem Friedhof aussetzen. Renitent bleibe ich aber trotz dieser Verlockung daheim und miste Mist aus. Nicht auszudenken, ich wäre Sammler und hätte richtig Zeugs. So habe ich aber genug Zeugs, und da muß man auch mal sagen, Zeugs, war schön, die Zeit, die wir hatten, das ein oder andere Versprechen lag ich in euch, Collagen, Assemblagen, Tischdekoration hättet ihr werden können, siehet, all dies lag in euch. Aber euren größten Feind, den Wandel, den konntet ihr nicht niederzwingen.
Ich höre ein bißchen Besinnliches von Max Richter, während ich ein, zwei, drei Mülltüten mit alten Papieren, für später beiseite gelegte Zeitungsartikel und Altkram fülle. Apropos Altkram: Neulich war ich ein bißchen angezickt, weil ich bei einem Hamburger Secondhand-Händler auf eBay die Jacke eines ganz angesagten Londoner Labels entdeckt habe, die ich selber ein paar Wochen zuvor erst zur Wohlfahrt gebracht hatte. Selbes Modell, und zwingender noch, derselbe lose Knopf unten. Ein sehr hübsches, fast neues Teil, ganz toller Stoff, aber von einem Designer so geschnitten, daß die Knopfleiste wie die Y-Naht eines lustlosen Pathologen nach außen sprang, sobald ein durchtrainierter Mann wie ich die trug. Das geht in meinem Alter leider gar nicht mehr, das fällt auf einen selbst zurück, so als sei ich wahllos oder achtlos oder blind.
Jedenfalls dachte ich noch, schade, schade, aber nutzt ja nichts. Vielleicht kannst du jemandem eine Freude machen, der sich so ein Modeteil nicht leisten kann oder dem einfach kalt ist und der gern mal über den tollen Stoff streichen möchte. Und fast wollte ich noch den losen Knopf festnähen, damit der nächste Besitzer gleich loslegen kann. So mit Freude. Und die Damen von der Wohlfahrtsstelle waren auch spontan entzückt und streichelten den tollen Stoff und murmelten, so eine schöne Jacke... und jetzt könnte ich sie für teures Geld beim eBay-Höker zurückkaufen, vielleicht um endlich diesen Knopf anzunähen. Und wieder zur Wohlfahrt zu bringen. Um es dem Höker heimzuzahlen!
Ehrlich bin ich ein bißchen enttäuscht. Die Idee, wie es oft im Leben so ist, war eine andere. Für Ideen kann sich auch der Chef begeistern. Mehr davon und ruhig ab vom vielbefahrenen Wege. Ich hebe an, von der Sammlung Virchow zu berichten, merke aber an der Höhe der Augenbrauen gegenüber, ganz so war es nun auch nicht gemeint. Wir bewegen uns also im Nebel des Wünschens und Begehrens, dabei finde ich Begehrungslosigkeit auch mal ganz erholsam. Immer dieses Begehren all überall. Hier will einer was, da will eine was. Und man selber mittendrin. Die Wasserwerke wollen den Stand der Wasseruhr, meine Schuhe wollen neue Sohlen, und alle wollen Liebe. Als käme nicht das Unglück in die Welt, wie dieses Zitat von Pascal besagt, daß keiner ruhig im Zimmer zu sitzen vermag. Meinetwegen in eine klamme alte Wolldecke gehüllt.
>>> Geräusch des Tages: Max Richter, From Sleep