Samstag, 29. August 2015


Pendeln



Heute morgen, ich trug Kopfhörer und hörte gerade auf meinem MP3-Player die schönsten Walgesänge der 80er, 90er und die Besten von heute, kam die Durchsage Weichenstörungfeuerwehreinsatz oder auch gar keine, wie das bei der Bahn so ist, mal so, mal so. Jedenfalls fuhr die S-Bahn mal so wieder nicht. Nun sagen mir ja Menschen, die morgens eigentlich gar nicht die öffentlichen Nahverkehrsmittel für den Weg zur Arbeit nutzen, sondern die zehn Minuten mit dem ToGo-Becher unterm Arm lässig zu Fuß gehen, mit der linken Hand den persönlichen Feinkostmann grüßend, mit der rechten frisch gepflückte und von sauber gekämmten, in ökologische Wolle vom korrekten Naturschaf hineingestrickte Kinder gereichte Blümchen sammelnd, ich sollemichmalnichtsohaben, das bißchen quergestellte Nahverkehrerlebnisse immer, schlecht beduftete Menschen, verstockte Züge, exkrementierte Sitzplätze. So schlimm könne das gar nicht sein und mit ein wenig Tole...

Tollerei! Denke ich, aber nur sehr still bei mir. Ich schluckte daher, solcherart ja quasi sanft ermahnt, drei, vier an mich selbst und ein paar imaginierte Zuhörer gerichtete Kommentare herunter, öffnete meinen Strukturnotfallkoffer und zog spontan wie ich bin einen alternativen Reiseplan in Betracht. Wenn in Hamburg, so das S-prichwort, mach es wie die Hamburger. Fahr mit dem Schiff zur Arbeitstelle! Kann man machen, weil ich auch dort nah am Wasser gebaut habe, im Grunde genommen könnte ich sogar gleich von meinem Heim aus in zehn Minuten, ohne daß ich noch einchecken müßte, über ein, zwei Kanäle und zwei, drei Schleusen, also in zehn Minuten quasi, mit dem eigenen Boot - und wäre schon beim Einsteigen irgendwie in London Calling - I live by the River!

So also lautet nämlich das Hafenstadtschicksal, das es matrosenhaft zu ertragen gilt. Mit dem Schiff zur Arbeit fahren! Man trifft auf dem Sonnendeck nun immerhin gut belüftete Menschen, hält ein Schwätzchen, erklärt die Szenerie, wenigstens gut ausgedacht mit ökologisch korrektem, selbstgesponnenem Garn. Manchmal stehe ich sogar vorne am Bug und tanze zur milden Gaudi der Touristen und noch nachsichtigeren Verwunderung der hüfts-teifen Hamburger zur extra laut gedrehten Musik. Warum? Na, weil ich es kann. "What's for you, will not pass you by."

Daher auch entdeckte ich mit gerade einmal nur knapp zehn Jahren Verspätung die fröhlichen Jungs von Working For A Nuclear Free City. Deren Album "Businessmen & Ghosts" läuft nun bei mir auf dem Traumschiff über die Bordanlage, darunter Gute-Morgen-Lieder wie das begnadet betitelte Get A Fucking Haircut oder auch das eher zwiespältig betitelte Eighty Eight. Wer noch Auto fährt, hat da auch gleich prima Untermalung für über die Autobahn bei Nacht, es ist sogar so, daß man, um diese Musik zu hören, tatsächlich extra nachts über die Autobahn fahren möchte, wäre das nicht aus allerlei, auch ökologischen, Gründen quasi von Innen, vom inneren Naturschaf her verboten.

So hatte ich also recht seemännisch der S-Bahn ein Weichenstörungfeuerwehreinsatz-Schnippchen geschlagen. Ich stand an der Reeling, nicht mehr tanzend, dachte an diese Schauspielerin, was ich immer noch tue. Manchmal. Ist aber alles schon lange her.

Radau | von kid37 um 04:37h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link