Donnerstag, 17. Oktober 2013
I have pulled myself clear.
(PJ Harvey,
"Horses In My Dreams")
Wochenende, Sonne im Herbst. Wozu soll das gut sein? Die tiefstehenden Strahlen enthüllen nur eins: Ich habe die Fenster schon lange nicht mehr geputzt. Guter Anlaß also, sich lieber die dreckigen Fenster anderer Häuser anzuschauen. Die sogenannte "Sachsenburg" in der weiteren Nähe ist ja beim Versuch, sie ordentlich abzureißen, etwas unglücklich in der Mitte durchgebrochen. Das sieht nun aus als hätte ein besonders zorniger Gott mit der Faust aufs Haus geschlagen. Oder ein sehr, sehr großgewachsener Dreijähriger. Jetzt steht sie so da als Trümmermahnmal, die Spitze im Nebel, die bessere Hälfte immerhin schon weggeräumt. Das ist wie bei mancher guten Ehe.
Ab und an mal den Hof fegen, dort wo Erniedrigte und Beleidigte Lieder aus Les Misérables singen oder wie die Jungstudentinnen unten im Haus ausnahmsweise nicht auf ihre Smartphones "phubben", sondern ihre in der Hand getragene Tiefkühlware laut kommentieren (in etwa: "Die werde ich gleich essen!" - "Hm ja, ich auch!" - "Oh, ich freu mich schon so.") statt - jetzt nur als Beispiel - einem älteren Herrn aus der Hausgemeinschaft die Tageszeit zu erbieten oder die Türe offen zu halten. Ich sage jetzt auch nicht, um wen es sich dabei handelte.
Ich schüttel da nur den Kopf oder tippe daran und schweige auch (aber nicht hier) über das frisch zugezogene, offenbar sehr religiös angehauchte Pärchen in der Wohnung unter mir. Zu allerlei obskuren Tageszeiten, heute zum Beispiel noch vor dem Frühstück, gerne aber auch mal mitten in der Nacht, wird dort sehr laut gebetet, wobei sich vor allem die junge Frau mit einer gewissen Inbrunst hervortut. Jaja! ruft es da zum Lob eines hoffentlich nicht ganz so zornigen Gottes, manchmal auch in direkter Ansprache "Oh, Gott!", gefolgt meist von weiteren, in einer gewissen Ekstase hervorgejuchzten Ja! Ja! Ja!
Mächtig was los also in letzter Zeit hier in diesem kleinen Leuchtturm, wo ich wie ein weltentrückter, bescheidener Bischof über Dingen schwebe, dabei aber nicht einmal einen Reliquienkeller besitze. Ein weiterer Grund, so mit halb zugekniffenem Auge und folglich unauffällig nach einer neuen Unterkunft zu suchen, ehe mir alles zusammenbricht wie die Sachsenburg. Es gibt da interessante Wohnprojekte, Mehrgenerationenhäuser, Menschen aus unterschiedlichen Richtungen und in unterschiedlichen Verfassungen. Ein federndes Gemeinwesen in nuce. Leider kann ich nicht gut mit Menschen, das könnte ein Problem sein. Ein Haus für mich, ein Axolotl und meinen eingebildeten Hund wäre da mehr nach meinem Geschmack. In Dorset gibt es ganz hübsche, und ich könnte bei PJ Harvey um eine Tasse Milch nachfragen, sollte es mir an solcher mangeln. Zucker hat die wahrscheinlich nicht. Eine Scheibe Brot vielleicht. Nach Kuchen frage ich ja schon gar nicht mehr. Obwohl man sich da nicht täuschen darf: Die schönsten Frauen entpuppen sich mitunter als begnadete Kuchenbäckerinnen!
Dorset ist mir jedenfalls zu weit, ähnlich wie manche vorgelagerte Stadtteile von Hamburg. Vielleicht sollte ich doch erst mal den Rest der Sachsenburg besetzen, äh, spontan ausgedehnt besuchen. Oben, von der Nebel-Etage aus, hat man einen guten Ausblick auf hübschen Wohnraum in der Stadt. Mir gefiele das.