Mittwoch, 19. Mai 2010
Gestern war der 30. Todestag von Ian Curtis, der dieses Jahr 54 geworden wäre, hätte er nicht bekanntlich mit 23 Jahren bereits den schnellen Schuh gemacht. Anlaß genug also für die Vernissage von "In Search of Ian Curtis", einer Fotoreportage von Katja Ruge. Die spürte in Manchester Orten und Menschen nach, die eine Verbindung zu Ian Curtis und Joy Division hatten, sammelte Aussagen, Erinnerungen und Schwarzweißimpressionen.
Interessant natürlich, was Mark E. Smith von The Fall erinnert, interessant vielleicht auch, was Anja Huwe (von Xmal Deutschland), die an dem Abend auch anwesend war, erinnert. Aber die offenbar mit der Holga gemachten Fotos strahlen einen nostalgischen Ton aus, der weniger einer dokumentarischen Bestandsaufnahme oder Neubetrachtung dient, als dem Wunsch, die Uhr um 30 Jahre zurückzudrehen. So scheint es mir.
Das Vernissagenschwarz ist diesmal noch einen Tick schwärzer. Der DJ spielt Joy Division (warum nicht gleich die "Kindertotenlieder"?), ich erblicke erstaunlich viele junge Leute, asymmetrische Haarschnitte, Buttons an Taschen und Jacken und denke an die Zeit, als bei Mädchen ein militärisch ausrasierter Nacken Statement war und keine Mode unter weiteren. Bald komme ich mir irgendwie unbehaglich vor, als stünde ich in meinem eigenen Fotoalbum herum. Wie ein Komparse in einer Teamworx-Produktion.
A bisserl erinnert es mich an diese Mozart-Gedächtnisabende, auf denen nostalgieentrückte Menschen mit Pompadour-Perücken herumlungern und dem Meister huldigen. Ich kann zu den Fotos nichts sagen, schon beim Blättern durch die Buchveröffentlichung vor einiger Zeit beschlich mich das Gefühl, daß hier ein Fan seinem Sehnsuchtsobjekt etwas zu dicht und doch aus zu großer Ferne hinterherspürt. Touching from a Distance. Kitsch & Bitter.
Zur selben Zeit stehen ungefähr 500 Meter Luftlinie entfernt Trauernde auf dem Bahnsteig der U2. Zwei weinende Mädchen zünden Kerzen an, wenn ihr Handy klingelt, ertönt scheppernder Gangsta-Rap. Ein paar Jungs sind empört, wütend, traurig, murmeln etwas von "Peace" und "Bruder", ballen die Fäuste. Die meisten sind betroffen, stumm. Am 14. Mai ist an dieser Stelle ein Jugendlicher tot zusammengebrochen, nachdem er sich vom nahen S-Bahnsteig hierher schleppte, wo ihm kurz zuvor ein anderer ein Messer in die Brust gerammt hatte. Er wurde 19 Jahre alt.
(Katja Ruge: In Search of Ian Curtis. Kulturreich-Galerie, Hamburg. Bis 6. Juni 2010.)
>>> Blog mit weiteren Veranstaltungshinweisen rund um Ian Curtis' 30. Todestag
>>> Geräusch des Tages: Warsaw, Interzone