Montag, 29. Dezember 2008


Festhinher




Wenn man erst an Heiligabend fährt, sind die Züge nicht sehr voll. Man hat Platz, für sich, den Mantel, drei Geschenke oder mehr und Thomas Bernhard. Sobald im hinteren Teil des Wagens der kleine Linus und sein Bruder, der doofe Paul, Sitzplatz-, Besitzstands- und wohl auch Fragen der Erbfolge geklärt haben, finde auch ich Muße für Lektüre, betrachte die Monotonie der norddeutschen Landschaft, die verschiedenen Töne von Grün und Grün und Grau und höre mir an, wie der Zugchef über die Sprechanlage die Menüs verkündet, die "Spitzenkoch Helmut Sowieso" just in der Bordgastronomie in Wagen 35 bereitet hat.

In Dortmund großes Umsteigen. Die Frauen tragen jetzt lustige Hüte, denn eigentlich sind sie hier alle verzauberte Feen, Menschen aus dem Ruhrgebiet wissen das. Weiter Bernhard gelesen. Danach deprimiert. Die Natur bringe unaufhörlich alle möglichen Verbrechen, darunter die Menschenverbrechen, hervor, die Natur sei von Natur aus verbrecherisch. Ein starkes Stück.

Schräg gegenüber schreckt ein schönes junges Mädchen aus dem Schlaf, mit großen Augen starrt sie unter einer verstrubbelten blonden Mähne hervor in die Ferne, noch halb im Traum wohl, hält ihren Mantel wie eine Decke über sich und mümmelt an einer Stulle. Ich versuche, interessant auszusehen. Das Mädchen ignoriert mich. Wenn Bernhard mich nicht schon deprimiert hätte - ich dächte über die Natur des Alterns nach.

Die Landschaft wird hügeliger, abwechslungsreicher, da kommt die Mühle an der Grenze des Sauerlands, Hever oder Hemer oder irgendwo dort muß das sein. Das Tal, das schmutzige, graue, spröde. Eine Stadt, die manchen nicht hip genug ist. So wenig lohnenswert. Sie ist trotzdem und immer noch und immer wieder meine.

(Später dann, zurück im Norden, Grünkohl. Das muß man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn Spitzenköche im hermetischen Café ein Menü daschauherzaubern. Wir bleiben auf dem Teppich. In meiner Jackentasche finde ich ein gekräuseltes Geschenkband. Die Reste vom Fest.)