Samstag, 25. November 2006


Rabenschwarze Fingernägel

Some children died the other day
We fed machines and then we prayed
Puked up and down in morbid faith
You should have seen the ratings that day

(Marilyn Manson, "The Nobodies")

Ich weiß noch genau, wann ich in der Gartenzwergfabrik anfing. Ich hatte meinen Job gekündigt, eine Anstellung übrigens, die einstmals Herwarth Walden ehrenvoll ausgefüllt hatte, ehe er sich - aus ähnlichen Differenzen wie ich - verabschiedete, um etwas zu tun, an dem sein Herz richtig hing.

Ich hatte mein Bewerbungsgespräch bei den Gartenzwergfabrikanten just an dem Tag, an dem ich abends auf ein Konzert von Marilyn Manson wollte. Das wurde in der Fabrik mit einem gewissen ungläubigen Lächeln zur Kenntnis genommen, ahnte man ja noch nicht, daß ein paar Jahre später, greifen wir ein Beispiel heraus, Menschen wie Jutta Ditfurth sich wohlwollend über den amerikanischen Brachial-Chansonier äußern würden.

Warum auch nicht? Ich habe zum Beispiel durch einige Experimentierlust herausgefunden, wie sich durch Zugabe von Vitamin C Absinth in einen gesunden Durstlöscher verwandeln läßt. Da liegt Gold im Dreck! Zudem stellte ich fest, wie sehr selbst Bloggen Spaß macht und den Charakter von - ich könnte das jetzt auch Arbeit nennen - Beschwerlichkeit verliert, wird man nur wie der schwarzbekittelte Meister von einer Gruppe Cheerleader begleitet. (Übrigens: Dieser Link führt Sie auf das Angebot von Youtube.)

Wie kam ich jetzt darauf? Ach so, Herwarth Walden und der Expressionismus. Der war ja mit Else Lasker-Schüler verheiratet, einer nicht völlig unbekannten Wuppertaler Lyrikerin, der - Wuppertal ist von dadaistischem Fluxusfieber durchdrungen - noch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, das glaubt jetzt wieder keiner, ein Steuerbescheid zugestellt wurde. Weil nämlich ein Beamter beim Wuppertaler Finanzamt dachte, Lasker-Schüler, Lasker-Schüler, da lese ich doch ständig was von in der Zeitung, ihre eigene Gesellschaft hat die, es gibt Lesungen - wo bleibt eigentlich ihre Einkommenssteuererklärung? Genau. Kann man ja mal nachfragen. Fand man damals ganz lustig, und ist es ja auch.

Das habe ich aus einer Zeitung herausgerissen und stelle es als historische Quelle hier rein.

Jedenfalls bringt mich das zum Blog von Bazon Brock, auch so ein Mensch mit Wuppertaler Wirkung. In meiner Zeit als Bummelstudent schlich ich mich ab und an in seine Vorlesungen, um also erleuchtet verwirrt meinen Weg zu gehen.

Was nutzt uns der Gedanke, dieselben (die Gedanken nämlich) seien frei, wenn der Madensack (id est der Körper) in Ketten liegt? Nüschte nix, das sind nämlich Nobodies, die versuchen, Somebodies zu sein. Wir aber treten lieber nicht auf die Grünflächen. Es reicht, wenn die Gedanken frei sind. "Der Tod ist das einzige Thema, zu dem die Deutschen wirklich etwas Einmaliges, jenen anderen ganz Unverständliches gesagt haben." (B.B.)

Was hat das denn jetzt mit meiner jetzigen Tätigkeit beim Formen kleiner nichtiger Gartendekorationsartikel zu tun? Ach so, ich komm gleich drauf, einen Schluck noch. Bleiche Haut, krude Gedanken. Die Dekorationskunst ist ja nun eine der eher unnützen Künste, anders als z.b. die Hirnchirurgie. Wenn ich mit Medizinern und insbesondere Medizinerinnen verkehre, was ab und an, schaut nicht so überrascht, vorkommt, sagen die, so ein Gartenzwerg, wie putzig, und davon kann man leben? Während ich die Ästhetik eines in Kongo-Rot-gefärbten Zellabstrichs preise und lobe. So ungerecht geht es zu! Dabei wären viele Menschen abends schon ruhiger, könnten sie nur gedankenverloren mit den Fingern über gut verheilte Narben oder die Naht echter Nylons streichen - anstatt ihre Mitmenschen zu drangsalieren und ihren Frust in schmierigen Toiletten in Berlin-Mitte abzubauen. (Heute habe ich nämlich überhaupt erstmals dieses berüchtigte Klo-Video dieses Gründers von diesem Stalker-Verzeichnis in diesem Internetz angesehen.) Laß mich dich unterhalten, mit nicht-normativer Ästhetik hat das jedenfalls nichts zu tun, du Trottel.

Bei den Gartenzwergverarbeitern auch nicht, denn dort wird zusehends, ich lüpfe jetzt mal das Nähkästchen, alles normierter, daß man auf die Grünflächen treten möchte und rufen: Nevermore! Wo bleiben hier die Visionen? Absinth erzeugt wiederum schöne Visionen, aber - so der Hirnchirurg - das tun Aneurysmen auch. So schließt sich der Kreis, es ist eben das Herzblut, das fehlt. Zombifiziert geht man seiner Beschäftigung nach, unalkoholisiert selbstverständlich, nimmt nur noch zur Kenntnis, sortiert die Paletten nach mechanischem Muster.

Kann es das gewesen sein? fragten die, es bleibt beim Thema, Ärzte. Und natürlich heißt die Antwort Nein. Also raus, sein eigenes Grab wühlen, oder besser noch, mal radikal was anderes machen, ehe man als Jedermann sein eigener Duckmäuser! Anti-Dadaist und unpolitischer Surreal-Sackkratzer endet. Etwas besseres als den Tod kann man schließlich überall finden.

Aber dann, denke ich, räum ich doch wie weiland Hermes Phettberg meine Wohnung zamm, trink mir eine alkoholangereicherte Frucade, jammere in mein Blog und träume von dem Tag, als ich sagte, morgen kann ich aber nicht, heute abend ist ja das Konzert von diesem Marilyn Manson.