Sonntag, 3. März 2024


Maus im Haus


Taxidermisches Präparat einer Maus, um 1900

Es begab sich ja so, dass ich begonnen hatte, gewohnheitsmäßig Erdnüsse in meiner Manteltasche mitzuführen. Ich wollte mir die große Krähenkolonie am alten Schwimmbad zum Freunde machen. Sachte angefüttert würden sie mich als "duften Typen" in Erinnerung behalten, und das ist ja nicht nichts im Leben.

Stand dann aber eines Morgens im Halbdunkel meiner Garderobe (ein weiterer Grund, sich weitgehend uniform anzuziehen) vor einem detektivischen Rätsel. Die Tatortlage zeigte sich zunächst wie folgt: Auf dem Boden merkwürdiges, braun-gelbes "Mehl" unklarer Herkunft. Eine solche Spur führte auch zwischen Mantel A und Mantel B entlang bis zur Seitentasche von Mantel A (Beweisstück anhand). Dortselbst ein kleiner Beutel mit besagten Erdnüssen.


Fotografie einer Krähe, die einem Mann mit Erdnüssen auf der Landstraße folgt, um 1900 [Symbolbild]

Als erfolgreicher Detektiv habe ich natürlich einen einprägsamen Spruch als Erkennungsmerkmal, so wie "Kombiniere!" oder "Elementary!" oder "Is that a mouse in your pocket or are you just happy to see me?" Meiner lautet "Nanu?!" oder so sagte ich "Nanu?!" und begann, die Indizien zusammenzubringen. Zunächst, man soll immer mit dem Wahrscheinlichsten beginnen bei der kriminalistischen Arbeit, schloss ich rasiermesserscharf, dass mich eine Krähe wohl derart als "duften Typ" identifiziert hatte, dass sie mir gefolgt, sich vielleicht in die Manteltasche geschmuggelt und danach im Schutze der Nacht (meine Garderobe ist dann komplett dunkel) den Diebstahl begangen hat.


Fotografie einer Krähe, die Erdnüsse auf einer Anrichte pickt, um 1900 [Symbolbild]

Nun heißt es aber, dass man, ehe man etwas zur Anzeige bringt, die augenscheinlichen Fakten noch einmal ruhig mit dem anderen Auge betrachten soll. ("Wenn du das eine Auge hingehalten hast, so sollst du aber auch das andere hinhalten". Handbuch der Detektive, Bd. II. Um 1900.) So kam ich zu einem anderen Schluss: Eine Maus muss der Täter sein! Es ist ja so, seit die nicht mehr urheberrechtgeschützt ist, findet man sie plötzlich überall. Das Szenario musste sich also folglich, wir beginnen wieder mit dem Wahrscheinlichsten, derart abgespielt haben: Ähnlich wie im berühmten Film Rififi (F 1955. R: Jules Dassin) hat sich eine Maus vom Dachboden aus ein Loch gebohrt und mit einem Regenschirm herabgelassen (fotografische Nachempfindung anbei), die Beute in der Manteltasche verzehrt und "flitzeflink die Biege gemacht", wie man in den 1950ern so sagte.


Fotografie einer Maus, die sich mit einem Regenschirm von der Decke herablässt [nachgestellte Szene]

Eine andere Möglichkeit, denn "I want to believe", wie der Sinnspruch eines anderen berühmten Kriminalermittlers lautete, war natürlich auch folgendes Szenario: Eine extraterrestrische Mausspezies hatte mich mit einem kleinen UFO verfolgt (möglicherweise hatte ich es für eine handelsübliche Spielzeugdrohne gehalten und nicht weiter beachtet) und sich unbemerkt (oder per Teleportation, warum nicht) Einlass in die Wohnung verschafft. Der Rest folgelogisch: Traktorstrahl auf die Erdnüsse, Sofortverzehr, Abflug.


Fotografie einer Maus in einem kleinen UFO, um 1900 [Symbolbild]

Hier aber: Kevin allein mit Maus, Trutzburg Leuchtturm am Rande der Stadt infiltriert, höchster Alarm am Vorratsschrank! Mit Taschenlampe und Vergrößerungsglas begab ich mich auf Inspektion und fand dann auch ein Loch in der Wand unter der Spüle, wo die Abflussrohre in die Abseite führen. Das machte die Theorie mit dem UFO und dem Regenschirm obsolet, übrig blieb die Hypothese vom gewöhnlichen Räuber, der auf vier nackten Pfoten durch die Stube schlich. Statt aber mit Nachtsichtbrille und Schmetterlingsfangnetz auf der Lauer zu liegen (dann auch noch im Dunkeln), entschloss ich mich zur Fallenstellung.


Fotografie einer Maus auf einer selbstkonstruierten Falle mit komplizierter Auslösemechanik, um 1900 [nachgestelle Szene]

Wie ein Inspektor Murdoch aus der nach ihm benannten Serie (ebenfalls berühmter Detektiv) tüftelte ich eine kleine Konstruktion mit Feder und Mechanik aus, bestückte die Köderbox mit Erdnüssen, selbst angerührtem Schokoladenmus, Grana Padano von Feinkost Luigi (Käse wird zu schnell trocken, das lockt nicht) und wartete auf das Klingeln der kleinen Alarmglocke, die ich an die Falle montiert hatte. Allein: kein Erfolg. Nacht um Nacht lauschte ich mit einem Ohr (das andere schlief), nichts. Tagsüber umwehten mich mittlerweile hypersensibilisiert immer mehr Maus-Anspielungen. Im Fernsehen lief Tom & Jerry, in einer Dokumentation sang ein mittlerweile verstorbener berühmter Schlagersänger von "Speedy Gonzalez" ("die schnellste Maus von Mexiko", wie wir wissen), überall nur Maus! Maus! Maus! überall biss die Maus einen Faden ab - nur bei mir nicht. Ich schien dem Wahnsinn nahe, aber das wäre ja nicht... nicht rational, nicht logisch.


Fotografie einer auffällig dunkel gekleideten Maus [Symbolbild]

Gerade als ich dachte, diese "Maus" existiere vielleicht nur in meinem Kopf und es sind doch die Krähen, die mich "gaslighten" wollen, begegnete ich ihr Auge in Auge und unvorbereitet in der Küche. Ich glotzte, sie glotzte, ich war irritiert von ihrem merkwürdig dunklen Mantel (mittlerweile denke ich, es war wohl doch nur eine dunkle Fellzeichnung) und vergaß darüber, zu einer Waffe zu greifen und eine Ingewahrsamnahme einzuleiten, inklusive Rechtsbelehrung und Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht. Schon war der feige Nager flink wie Speedy Gonzalez unter der Spüle verschwunden.

Nun war Schluss mit lustig: Ganz wie in einer Erzählung des Polizeireporters E.A. Poe griff ich entschlossen zur Spachtelmasse, summte ein Lied, in dem es um ein Faß Amontillado geht, und verschloss Schicht für Schicht, gleichwohl mein linkes Auge dabei merkwürdig zuckte, das Loch in der Wand, lachte dabei wohl auch, sprach "Nanu, nanu, nanu" und lobte mich, dass ich den Fall so rational wie sonst kein anderer gelöst hatte.


 


Samstag, 17. Februar 2024


𝖁𝖔𝖓 𝖉𝖊𝖗𝖊𝖓 𝖐𝖞𝖓𝖘𝖙𝖑𝖎𝖈𝖍𝖊𝖓 𝕸𝖊𝖓𝖘𝖈𝖍𝖊𝖓



Manches Mal liege ich vom Tagewerk erschöpft auf dem mir gegenüber sehr nachgiebigen Sofa und versuche, nur mit der Kraft meiner Gedanken, ektoplasmische Materien und Formen aus dem Äther herbeizuondulieren. Wolken, Spiralen dimensionieren sich dann wie aus dem Nichts (so weit bin ich schon), pulsieren, atmen und lösen sich alsbald wieder auf. Es ist ein mühsames Training auf dem Weg, eine künstliche Kreatur zu schöpfen, mit einem beseelten Korpus, aber möglichst ohne eigenen Willen, sonst wird es wieder anstrengend.

Diese "Nebelwerke", so seien sie im Übergange genannt, mögen von geringerer Natur sein, doch befriedigen sie den Wunsch des Menschen, etwas zu erschaffen, sich gottgleich zu erheben, Leben in tote Materie zu hauchen, sich ein Ebenbild zu geben, eine Kreatur zu wecken, die im Haushalt niedere Dienste erledigen und abends als Freund mit am Tarocktische sitzen mögen. Oder schweigend vor dem Fernseher.



In der Werkstatt sitze ich dann bis weit in die Frühstunde an Holzarbeiten, verberge mein Ungeschick durch unbedingten Willen und figurative Freizügigkeit und einem wohlwollendem "das bleibt jetzt so". Bis nach und nach ein Automaton Gestalt annimmt, ein bewegter Holzmensch oder -mannikin. Eine mechanische Alraune, ein Wunderwerk der Technik, der nur ein Funken fehlt, auf dass es lebe.



Durch Ätherkraft beseelt wird mein hölzerner Doppelgänger für mich Einkäufe erledigen können oder Briefe zur Post tragen. Eine Packstation wird ihm zu kompliziert sein, das begreife ich ja selbst nur schwer. Die Spülmaschine ist hingegen sicher schnell erlernt. Ein paar Geselligkeiten abends auch. Ein Spiel mit Karten oder Holzfiguren, ein höfliches Gespräch über gemeinsam geschaute laufende Bilder. Ich werde ihm dazu tausende von Büchern in einen Lochkartenspeicher füttern. Mit der Zeit wird der Holzmensch "wissen", welche Wörter und Sätze aufeinanderfolgen, um wie eine sinnvolle Äußerung zu klingen. Eine Art Grammatik aus Drahtnägeln und passenden Löchern in derart ineinandergreifenden Pappkarten wird die Reihenfolge einzelner Satzglieder bestimmen. Ein großes Projekt, sicher. Und sicher nur für große Geister. Aber am Ende wird es vielleicht eine Armee von Doppelgängern geben, die galant die behandschuhte Hand reichen und artige Komplimente geben können.

Während ich, wie gesagt, auf dem mir wohlmeinend zugewandten Sofa liege, Wolken aus dem Äther emmaniere, flüsternden Stimmen lausche und überlege, wie ich meine Holzkopfarmee in die Parlamente bringe [aufgew.]

Homestory | von kid37 um 17:37h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 14. Februar 2024


Valentinstag



Heute am Tag der Herzgesundheit fand ich es an der Zeit, mir etwas Gutes ohne Augenrollen und Fremd- und Selbstgeißelung zu gönnen. Seit einiger Zeit vermisse ich ja meine Ausgabe von García Márquez' Hundert Jahre Einsamkeit, die auf bislang ungeklärte Weise abgängig ist. Wie lang schon, hundert Jahre vielleicht, ich weiß es nicht.

Nun gibt es in meiner Nachbarschaft die recht gut sortierte Bücherstube (der Ramsch geht gleich in die Filiale nebenan mit der Aufschrift "Papiercontainer") einer kleinen Kirche, die auch sonst ganz rühriges Veranstaltungsengagement hier im Viertel zeigt. Gemeinsam mit mir war ein freundlicher Herr im Raum, der eifrig und offenkundig kundig das nur grob sortierte, aber sehr preisvernünftig (meist ein, zwei Euro) ausgezeichnete Sortiment durchstöberte. Auch ich suchte eifrig, aber offenkundig unkundig umher, sah viele Volker Kutschers, neuere Sachen wie Gone Girl oder einen Kriminalroman von dieser Zaubererfrau, daneben viele alte und moderne Klassiker (von Washington bis John Irving), aber eben nicht diesen doch sicher hundertfach hin- und herverschenkten Márquez. Normalerweise bitten viele Männer und ihre dreijährigen inneren Kinder ja bei solchen Gelegenheiten nicht um Hilfe ("Kann ich selber!"), aber ich dachte, komm' ist Valentinstag, Freundlichkeit hilft heute weiter. Und tatsächlich war der von mir angesprochene Mitstöberer sofort im Bilde und wies daher beinahe wortlos auf einen Kasten quasi zu meinen Füßen, dortselbst seit hundert Jahren das gesuchte Buch auf Käufer wartete. Gibt es denn so was!

So was gibt es, sogar mit freundlicher Widmung, vielleicht zum Valentinstag, ein paar Zeilen mit "Topf" und "Deckel" an eine Person mit männlichem Vornamen, die/der sich jetzt aber mal schämen darf (nicht nur an diesem Tag). War doch 2005 sicher lieb gemeint! Jetzt sind - ebenfalls offenbar - wohl Betten und Bücher getrennt und auf den lieben S. warten, wenn er Pech hat, na?, genau, hundert Jahre EINSAMKEIT! (Letzter Narrhalla-Marsch, jetzt aber Aschermittwoch.)

Bei den DVDs wie meistens weder irgendwas von Lanthimos oder Kurosawa oder Bergman, dafür aber viel Romantika mit Hugh Grant oder was von Garry Marshall wie Valentinstag, in dem jeder mitspielt, nur nicht Hugh Grant. Da hätte heute aber manch einer ein schönes Mitbringsel gefunden! Nun bleibt es bei Tulpen von der Tanke. Ich fand hingegen beim Rausgehen im CD-Stapel Rosen aus Athen - die damals sehr wohlwollend aufgenommene Veröffentlichung von Nana Mouskouris musikalischem Ausflug nach New York (das ist eine große Stadt in den USA). Die Sängerin, die man hier nur im Schallplattenfach "Schlager" findet, war ja in ihrer Musikkarriere sehr versatil und eben zunächst eine Jazzerin. Produziert von Quincy Jones nahm sie 1962 eine Reihe von Jazz-Standards auf, darunter Titel wie "Love Me Or Leave Me", "Hold Me, Thrill Me, Kiss Me" oder "Smoke Gets In Your Eyes". Nur "My Funny Valentine", das fehlt.

>>> Geräusch des Tages: Nana Mouskouri, I Get A Kick Out Of You


 


Mittwoch, 24. Januar 2024


Gerade machen



Nach sieben mal sieben Wochen andauernden Regenfällen, hatte irgendeine höhere Macht ein Einsehen und hielt am Freitag die Brause an. Von vereisten Gehwegen abgesehen also beste Voraussetzungen, auf die Demo gegen Rechts in Hamburg zu gehen. Im Vorfeld war der Ortsabteilung der AfD noch eingefallen, zeitgleich eine Fraktionssitzung im Rathaus abhalten zu wollen, so dass wegen der Bannmeile keine Demonstration auf dem dafür eigentlich eingeplanten Rathausplatz durchgeführt werden durfte. Die wich dann unbeeindruckt auf den Jungfernstieg gleich nebenan aus.

Besser so, denn die Schätzungen haben sich am Ende auf rund 80.000 Teilnehmende geeinigt (ich vermute, es waren locker mehr). Die Menschen standen vom Jungfernstieg aus um die ganze Binnenalster herum, bis zum Gänsemarkt und in zahlreichen Nebenstraßen. Sehr erfreulich und durch die vielen Leiber gut fürs Mikroklima - zwei, drei Grad mehr dürften es dort gewesen sein. Nähe schafft schließlich Wärme.

Es ist auch ein schönes Gefühl, wenn es nicht nur vermutet, sondern wirklich erlebt wird, wie so mannig viele Menschen in aller Selbstverständlichkeit, entspannt, aber bestimmt, ganz unaufgeregt, aber mit festem Plan sich alle zum selben Ziel aufmachen, ein Zeichen setzen, eine Fahne hissen gegen politisches Plemplem und rechtsextreme Erektionsfantasien. Hanseatisch unbeeindruckt von kecken Rechtswinden und Blitzeschleuderei, alles ohne großes Geschrei und frei von Krawall, dafür mit handlungsabschließendem "So" und "Ham wir das jetzt auch klar gemacht".

Für den Rückweg aus der Menge strömten Hunderte von Demonstranten sogar durchs noble Alsterhaus, das die Türen geöffnet hielt, Security und Personal zwar sichtlich angespannt und mit den Augen überall, doch professionell und freundlich. Antifa am Gucci-Stand, auch so ein Bild für die Erinnerung, ganz wie die vielen ironischen Plakate, deutlichen Schmähungen und dem nicht zu überhörenden und schon gar nicht zu übersehenden Bekenntnis "Wir sind mehr!"


 


Freitag, 5. Januar 2024


Ist es wieder geschafft


Mein kleiner Beitrag zum Lichterfest am 31.12.2023

"Ist es wieder geschafft", sagte man früher in meiner Gegend. "Another year over" (John Lennon) geht natürlich auch. 2023 war etwas schwierig, strapaziös auch. Vieles zog sich, sperrte sich, ging nicht so richtig auf. Immerhin, der "Marder", der Ende des Jahres zu mir unters Dach zog, blieb nicht lange (*klopf auf Holz*). Meine Musik oder meine Schlafenszeiten machten ihn wohl nervös. Oder aber mein perfekt imitiertes Alpha-Marder-Geräusch, mit dem ich sein Scharren in der Wand zu nachtschlafender Zeit entgegnete.

Einiges gibt es noch nachzutragen. Darunter ein paar Ausstellungen vielleicht, über die ich noch berichten werde. Etwa die "Femme Fatale"-Ausstellung im Frühjahr, die mich gar nicht so sehr begeistert hat. Oder noch eine abschließende Betrachtung zu meiner sonnigen Woche in Brüssel. Wenn ich mich mal nicht so erschöpft fühle. So hat manches überraschend gar nicht oder nicht mehr stattgefunden. Es sind ja genau zwei hohe Feste im Jahr, die ich nie auslasse. Aber mit "Rock'n'Wrestling" ist es für mich vielleicht einfach auch vorbei, nachdem ich vorletztes Jahr schon im letzten Moment passen musste. Ich bin 2023 nicht jünger geworden, und vielleicht könnte ich dort als Kommentar zum Älterwerden der Gesellschaft als rüstiger Rentner im Ring antreten, aber als Zuschauer ist es mir etwas anstrengend geworden. Man muss wissen, wann gut ist, sagt man in meiner Gegend. Und nicht wie ein alternder Boxer einfach nicht aufhören können.

Seit 2007 besuche ich auch die Ausstellungsreihe "Don't Wake Daddy" (hier bei der zweiten Ausgabe), man könnte sagen, es sei über die Zeit mein zweites Wohnzimmer geworden. Wenigstens einmal im Jahr etwas Freude, wie man in meiner Gegend sagt. Natürlich stand ich auch dieses Jahr gestiefelt und gespornt und im Mannschaftstrikot zum Ausritt bereit, aber dann wurde ich tatsächlich überraschend an der
Außenlinie weggegrätscht. Der Schiri sah wieder nix, ich musste mich auswechseln lassen, und die Partie stieg ohne mich. Will nicht sagen, das Ende einer Sportkarriere, aber zurück im Mannschaftstraining bin ich noch nicht. Vielleicht mit - lass uns die lahme Metapher ruhig noch ausreizen -Ellenbogenschonern dann im nächsten Jahr. Nachrichten über eine möglicherweise neue Spielstätte müssen auch noch erst verdaut werden.

Apropos, was ist mit Berlin? Falls irgendwann mal wieder Züge fahren, sage ich immer. Und vielleicht nicht jetzt im grimmen Binnenklimawinter. Letztens träumte ich, ich sei dorthingeozgen, bekam aber keinen Termin beim Bürgeramt, war sozusagen ein Illegaler und konnte mein schickes Altbauloft (150 qm mit Parkett und Klavier, 350 Mark Miete, Altvertrag) kaum noch verlassen. Wie Kafkas Maus denke ich ja ab und an, "was ist Hamburg doch klein und eng geworden". Aber das bleibt unter uns.

Apropos, unter uns. Weihnachten war auch das kleine Jubiläum "20 Jahre Das hermetische Café". Wer von meinen drei Lesern im Jahr 2003 hätte das gedacht? Eben.


 


Mittwoch, 27. Dezember 2023


Weihnachtsvertigo



Ende des 19. Jahrhunderts gab es in New York (das ist eine große Stadt in den USA) die ehrbare Tradition, in den Tagen nach Weihnachten überall in der Stadt große Metallbehälter aufzustellen, in denen man überzählige oder unpassende Geschenke abstellen konnte. Eine hässliche Vase etwa oder einen Weihnachtspullover vom Verlobten, mit dem man über die Festtage auseinandergefallen war . Kram oder Krempel oder auch Dinge, die keinen Joy mehr sparkten.



Das alles wurde wie von einer unsichtbaren Hand gesammelt für die Bedürftigen, die noch keine hässliche Vase besaßen oder einen schief gestrickten Weihnachtspullover, Kram oder Krempel oder schlicht Dinge, die bei ihnen vielleicht Joy sparken konnten. Eine gute Sache also, wohltätig und nachhaltig und ein Beitrag zum drängenden Problem des 19. Jahrhunderts: die soziale Frage. (Bis sich allerdings der Einzelhandel beschwerte, weil man Umsatzeinbußen fürchtete, wenn Sachen und Kram einfach so verteilt würden.)



Ich habe dieses Jahr bescheiden gefeiert, weil ich mich auf die frugale Zeit in meinem Leben vorbereite, in der es außer Nachdenken nichts mehr im Überschuss geben wird. Tradionellerweise spiele ich dann nach einem einfachen Weihnachtskäsebrot ein Quizspiel, bei dem nicht Joy, sondern ein Licht sparkt, wenn ich eine Frage richtig beantworte. Da wird nach "Sixtinische Kapelle" gefragt oder "George Washington", durchaus Bereiche also, mit denen man auf Partys glänzen kann, wenn einer dort etwas nicht weiß. Ganz ermunternd, man darf nur die Batterie nicht vergessen. (Mittlerweile sind auch ein paar Kontakte auf dem Spielbrett verschlissen. Dachte zunächst, ich wäre nun völlig dumm geworden oder die Fakten um mich herum, aber it's the elektrische Schaltkreis, baby!)



Dann ruhige Stunden im Lesesessel (im Fernsehen nur Mist mit zwei Ausnahmen: auf eine vor Jahren von mir depeschierte Beschwerde, weil Ist das Leben nicht schön? allen Ernstes erst um zwei Uhr irgendwas gesendet wurde, kam dieser wichtige Programmpunkt nun nachmittags und einmal um 20.15 Uhr. Sonst half gegen Helene-Show und TV-Konserve ausgerechnet Servus TV, die den Weihnachtsklassiker Wir sind keine Engel mit den drei ganz besonderen Weisen aus dem Morgenland brachten). Erste Erkenntnis: Ich brauche eine Lesebrille, so führte mir offenbar der Ghost of Chistmas yet to come wenn auch etwas neblig vor Augen. Daher griff ich mit zusammengekniffenem Blick zu einem von Lynd Wards textlosen Romanen aus Holzschnitten, wie die Bücher von Frans Masereel eine Art Vorläufer der Graphic Novel. Hier also Vertigo als schöner expressiver Schwindel zwischen Lebenstragik und Aufbegehren, alles Schwarz oder Weiß. Ganz frugal und ungeschwätzig, aber voller sparkling Joy. Ganz schön.


 


Montag, 18. Dezember 2023


Werkstattbericht #3: Assistenzsystem


Studie für ein menschlich gestaltetes Assistenzsystem, das emotionale Bindung erlaubt

Da ich darauf angesprochen wurde, ruhig mehr aus meiner Werkstatt zu zeigen und meine Projekte ruhig auch in einem frühen Stadium vorzustellen, um aufstrebenden Industriedesignern den ein oder anderen Anstoß zu geben, will ich mir zum Ende des Jahres einen Ausblick auf 2024 erlauben. Ein großes Handelsunternehmen aus den USA (das ist eine Staatengemeinschaft auf dem nordamerikanischen Kontinent) wurde durch mein Blog auf mich aufmerksam und lud mich ein zu einer Studie für ein neugestaltetes Assistenzsystem für zu Hause. Ziel ist eine Abkehr von unpersönlichen, eher abstrakten Gerätschaften, mit denen man kommunizieren soll, um Licht ein- und TV-Geräte anzuschalten, zu humanoiden Devices, die KI-System "natürlicher" erscheinen lassen sollen und emotionale Bindungen erlauben.

Unter strikter Umgehung des berüchtigen Uncanny Valley gestaltete ich eine Box mit menschlichem, aber eben nicht zu realistischem und unbehaglich wirkendem menschlichem Antlitz (im Bild als ein erster, noch grober Entwurf). "Fröhlich" soll das elektronische Gegenüber wirken, ein eher kindlicher Partner im Alltagsgeschäft zwischen gängigen Kleinproblemen wie "Mach mal Musik" und "Wie wird das Wetter morgen sein?" So wurde die Kamera zur Raumüberwachung wie ein Auge gestaltet, der Lautsprecher zum Mund geformt. Ein lustiger Spitzkegel (hier nicht ganz auf dem Bild) beherbergt die Wlan-Antenne mit leistungsstarkem Repeater. Es fehlen noch die "Ohren", in denen Mikrofone sitzen (zwei, damit eine stereophone Ortung möglich ist). Erste Akzeptanztests stehen noch aus, aber ich bin jetzt schon sicher, dass die "Human Box" (Arbeitstitel) auf Begeisterung treffen wird. Sie macht einfach jeden Raum zu einem behaglicheren Ort.

Im Januar ist Präsentation, und dann kann alles sehr schnell gehen. Im Gespräch ist auch eine Verwendung als Beifahrersystem in digitalisierten PKW, zudem sind bei der Gestaltung auch unterschiedliche Brandings mit unterschiedlicher Mimik für unterschiedliche Anbieter denkbar. Vielleicht wird es ein Modell mit Haaren geben. Ich bin sehr aufgeregt.


 


Dienstag, 28. November 2023


Werkstattbericht #2: Ab in die Lüfte!


Prototyp eines Federpropellers für die Werkstatt zur Feinjustierung des Schwingungsverhaltens


Als junger Mann überlegte ich wie viele andere vor mir, Maschinenbau zu studieren. Schließlich hatte ich mal in Physik eine eins auf dem Zeugnis gehabt, ein allgemeines Verständnis dafür, wie Trägheit der Masse auf dem Sofa zu noch mehr Masse führen kann und fürs Fahrrad einen sogenannten "Knochen" in der Werkzeugtasche, mit dem sich überall herumschrauben ließ.

Nun schug ich zunächst einen anderen Weg ein doch ist es bekanntlich nie zu spät für irgendwas. Man kann auch in späteren Jahren - eisernen Willen und erkennbare Begabung vorausgesetzt - alles erreichen. Und daher entwerfe ich seit einigen jahren nicht nur Schreibautomaten und andere nützliche Dinge für den Haushalt, sondern widme mich auch größeren Projekten und Alternativen für alles, die nicht nur theoretisch durchdacht und mathematisch formuliert werden müssen, sondern auch handwerkliches Geschick und eine gewisse Expertise benötigen. Zum Glück besitze ich heimlich von allem etwas.

Inspirieren lasse ich mich meistens von der Natur und ihren Gesetzen. Sicher haben viele schon einmal Vögel beobachtet und verwundert festgestellt, dass diese Tiere fliegen können. Lassen wir mal das Phänomen thermischer Aufwinde beiseite, so sind es Muskelkraft und Federn, die zunächst Schwingen bilden und Schwingen schwingen lassen. Was liegt näher, als sich diese Technik zu nutze zu machen, um alternative Antriebe für eines meiner meistgeliebten Interessensgebiete - den Flugapparat - zu erfinden? "Flugtaxis sind die Zukunft" möchte ich einmal eine ehemalige Bundesministerin zitieren - nicht wörtlich, aber dem Geiste nach.

Für diese revolutionäre Art des innerstädtischen Individualverkehrs habe ich - obigen Gedanken folgend - einen Federpropeller entworfen, der sich ohne weiteren Antriebsmotor den Vögeln gleich durch bloße Muskelkraft per Handkurbel antreiben lässt. Die Kurbel - in der Technikgeschichte noch vor dem Flaschenzug und gleich nach dem Rad zweitbedeutendste Erfindung des Menschen - treibt über festgespannte Seilzüge (für die Serienproduktion wäre eine Kette aus Stahl denkbar) die Welle eines fein abgestimmten Propellers an, der am Ende mit Federn verschiedener Größe (um unerwünschte Eigenschwingungen auszugleichen) versehen ist. Wenn alles klappt und richtig berechnet ist, bringt er einen mit einer Person besetzen geflochtenen Weidekorb nebst kleiner Packtasche und einer Thermoskanne (gefüllt) fürs Büro in die Höhe und lenkt ihn zu einer Arbeitsstelle. Ein Fahrrad für die Luft!

Hat man bis zum Fahrrad gedacht, drängt sich eine weitere Variante auf. Hinten auf dem Gepäckträger eines Fahrrads angebracht, kann der Federpropeller mit der Tretkurbel verbunden werden. Je nach Neigung des Propelleraufsatzes sorgt dieser dann für zusätzlichen Vortrieb (bereits als "künstlicher Rückenwind" zum Patent vorangemeldet) oder aber, und das wird eine wirkliche Wende im Stadtverkehr, für den oben angesprochenen Auftrieb. Man sieht so etwas schon mal in fantastischen Illustrationen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. Doch haben diese allesamt das Problem der Seitenstabilisierung nicht gelöst. Ganz trivial ist diese Lösung auf dem relativ schmalen Fahrrad nämlich nicht, dazu muss man nicht einmal Maschinenbau studiert haben, um dies zu verstehen. Man wird also zunächst Erfahrungen mit dem Weidenkorb-Federkopter (Markenname) sammeln müssen.

Die ehemalige Bundesministerin lade ich gern zur Jungfernfahrt ein. Wenn sie ordentlich mitkurbelt, trägt der Federkopter auch zwei.


 


Sonntag, 19. November 2023


Werkstattbericht


Bislang nur ein Prototyp: Der "Typomat 37" soll einmal die Büroarbeit revolutionieren

"Wir sehen dafür einen Bedarf von vielleicht einer Maschine. Weltweit." So beschied man mir bei der Start-up-Kommission in der Stadt ("Die Höhle der Seehunde"). Das war natürlich unterwältigend, also enttäuschend. Aber ein Erfinder muss nicht nur gut erfinden können, sondern darf auch nicht aufgeben. Mancher wird nun rätseln, was diese Maschine für ein Geheimnis hat. Nun, kurz gesagt, der "Typomat" soll einmal das Schreiben im Heimbüro oder im Kontor vereinfachen (ich bin, soviel sei zugegeben, noch im Entwicklungsstadium, einige technische Aspekte müssen noch gelöst werden, aber: "Mechanisierung first, Bedenken second!" ist das optimistisch unbekümmerte Motto, das auf einem Emailleschild in meiner kleiner Manufaktur hängt).

Mühsames Gekritzel mit Feder und Tinte wird der Vergangenheit angehören, wenn sich meine "Heimdruckmaschine" (zum Patent angemeldet) durchsetzen wird. Sie funktioniert (aus Werkschutzgründen vereinfacht dargestellt) so: Man drückt eine der elegant federnden Tasten und über eine komplizierte mechanische Transmission, für die ich sehr lange und kompliziert nachdenken musste, wird der entsprechende Buchstabe im bereits vorab patentierten "Ritzverfahren" aufs Papier gebracht. "Hallo Welt" war der erste Satz, den ich so verewigte (hier nachgestellt für den internationalen Markt in der englischen Sprache als "Hello World").

Jetzt heißt es, aus verschiedenen Fördertöpfen genügend Finanzmittel zusammenzubekommen, um eine kleine Serienproduktion zu starten. Aus den zu erwartenden Kundenrückmeldungen werde ich dann weitere Verbesserungen vornehmen und kleinere mechanische Unzulänglichkeiten ausbessern. Bereits jetzt aber bin ich überzeugt: Ist das (zugegeben zunächst noch ungewohnte) neuartige Schreibsystem erst einmal begriffen, will niemand mehr zum Füllfederstift oder gar zur einfachen Feder zurück.


 


Montag, 6. November 2023


Gruselfamilienaufstellung



Derzeit spielen ja viele mit KI herum, bringen diesem Statistik-plapperndem Papageien also bei, wie man Texte schreibt oder Bilder malt. Ich habe mich damit ja auch eine Zeit lang intensiv beschäftigt und einen gewissen Spaß daraus gezogen, aber dann trat eine gesättigte Langeweile ein. Manche Formate, den pseudo-analogen Schmelz von Midjourney etwa, kann ich schlicht nicht mehr sehen. Der wohlige Schauder der ersten Nacht Ergebnisse, als ich dachte, Midjourney sitze in meinem Kopf und bringe meine Träume zu Papier, hat sich ebenfalls gelegt.

Gut hingegen, dass ich so viele Bilder aus dem 19. Jahrhundert von Flohmärkten und Dachklammern gesammelt habe und darüber erzählen kann. Wie dieses Familienbild einer Halloween-Nacht von 1871. Längst nicht so überdekoriert wie heutzutage präsentiert sich die viktorianische Musterfamilie (1 durch seinen Schnurrbart definierter Ehemann, seine ihm liebevoll angetraute Frau, 1 Sohn, 1 Tochter) bereit fürs Samhain oder wie auch immer man diese Spökerei um Allerheiligen bezeichnet. Ein dezenter (dafür wohl echter) Totenschädel (vom Erbonkel erhalten oder durch die damals verbreitete Grabräuberei günstig erstanden) auf dem Nachttisch, ein bisschen Schminke und Schrecken im Gesicht war zu diesen lampenölig beschimmerten Zeiten freudige Ausstattung genug, um kleinen Tricksern und Trötern, die abends zur Haustür schlichen, Schrecken einzujagen. Die Bediensteten verteilten selbstgebackene Kekse, die Familie schaute vom Herrenzimmer aus zu, bedacht, nicht mit dem niederen Gruselmob in Kontakt zu treten.

Obschon ich an Halloween ähnlich andeutungsweise verkleidet und mit der mir eingeschriebenen gewissen Gravitas auf einem Stuhl bei der Eingangstüre warte, das Glas mit meinen Emotional Support Leeches neben mir auf dem Boden, klingeln die kleinen Lauser seit Jahren nicht mehr bei mir. Gut, vierter Stock, das macht man mit dünnen Gespensterbeinen nur einmal. Zumal, wenn man dabei noch abgefragt wird über Sinn und Hintergrund des Festes, der sozial verbindenden Natur von Gebräuchen und Ritualen, den Unterschieden im Grad der Fröhlichkeit zum mexikanischen Totenfest, dem Aufzählen von wenigstens sieben Heiligen oder wahlweise irischen Städten oder europäischen Fledermausarten.

Wie heißt es? Es braucht ein ganzes Dorf von toten Geistern, um junge klappernde Gespenster zu erziehen.