Dienstag, 10. Juli 2012


Mal weitersehen



In meiner Bibliothek sieht es gerade etwas rumpelig aus, was daran liegen mag, daß mir mitunter das ein oder andere aus der Hand fällt. Aber Staubwischen und andere niedere hauswirtschaftliche Tätigkeiten führen derzeit zu nichts, auf meinem Weg zur Altmannwerdung benötige ich meine Kraft, mir Hilfsmittel zu Basteln. Eigentlich kein Spaß, reden wir hier doch über das weitreichende Thema Autonomie im Alltag. Mein neuestes Projekt in Sachen Überbrückungstechnologie bezieht sich auf die Amplifizierung meiner Sehhilfe, denn im Moment sieht manches ziemlich düster aus. (Keine Details.) Mit ein paar Klebepunkten und alten Brillengläsern habe ich nun probehalber hochgestapelt und kann nun immerhin diese chiffrierte Mitteilung tippen.

Auch kann ich erkennen, wer mir in den letzten Tagen ab und an Nahrungsmittel vor die Türe stellt und behauptet, meinen Vornamen zu kennen, während ich hier eine kleine unvorhergesehene Auszeit im Kriechgang nehme. I'm a Cyborg, But That's OK heißt es im Film, das könnte folglich noch eine spannende Unternehmung werden, wenn [Stromausf.]


 


Mittwoch, 4. Juli 2012


Die Suche nach dem Gottesteilchen

Scully: There's not going to be any
bride, Mulder. Not in this story.

Mulder: Where's the writer? I want to
speak to the writer.

(Akte X, "The Post-Modern Prometheus")



Als ich mich heute morgen beherzt von patenten Händen ins Auto verfrachten und ins Forschungszentrum bringen ließ, erwartete ich eigentlich, anschließend gleich die Fahrt ins CERN antreten zu müssen. Gleich einer Hochschwangeren habe ich ja seit ein paar Tagen mein Täschchen gepackt; wenn der Ruf mich ereilt, will ich bereit sein. Der vertretende Forschungsleiter aber griff nicht minder beherzt zu und ließ mich meine beeindruckende Physis präsentieren (auf Hacken laufen, auf Zehenspitzen laufen, auf einem Bein hüpfen - "Oh", sagt er, "ich halte Sie mal besser fest." - nur mit dem Zeigefinger meine Nasenspitze treffen mußte ich nicht zeigen, dabei hatte ich geübt!). Anschließend waren wir beide sicher, auch abseits eines fotografierbaren Beweises, im Besitz der Wahrheit zu sein. Freundliches Verständnis und verhaltener, sachlicher Ernst.

Danach dann die Frage nach der Konsequenz. Zugriff? Verhaftung? Untersuchungsgefängnis? Ich gab einen Bericht, danach sahen wir uns, wie Männer eben, tief in die Augen, so weit mir das in meiner persönlichen Story of an Eye bild- und erkenntnisgebend möglich ist (die Diagnosekriterien sind vielfältig, umstritten, aber immer interessant), und es wurde beschlossen: ambulante Untersuchungshaft, SOFA statt CERN, erstmal abwarten, sichten, konservativ handeln. Danach diskutieren, wie das Projekt weitergeht, ob man eine neue Stufe zündet.

Ich sage, ich sei zuversichtlich, die Wahrheit sei sicher irgendwo da draußen. Wir redeten hier quasi über Flugrost, das schmirgel ich zurecht.


 


Montag, 7. Mai 2012


The State I'm In

"I know it all could be worthwhile/
If only I could force a smile."
(New Order,
"State Of The Nation")




Menschen, die zweigleisig entgegenkommen. Wie Kinderlokomotiven, die rosagetuffte Dampfwolken ausstoßen, in denen ein simples "Ja" und ein noch simpleres "Nein" verpuffen. Tote Pferde links und rechts der Erzählstrecke. Menschen in verpflichtungsloser Gleichgültigkeit, die im Augenblick leben und von Fall zu Fall entscheiden (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht). Die sich auf gerader Strecke selber eine Weiche stellen. Wie eine interesselos sagte, "Fahrplan", das klänge "interessant". Und wie eine sagte, nein schnippte, für das Glück sei sie nicht zuständig. So viele gedeckte Tische, nicht wahr?

Wie ich vergaß zu fragen, für was genau sie denn zuständig wäre. Wie man denkt, den Augenblick behalten zu können, einen nicht verschmutzten, nicht verklebten, nicht kontaminierten. Etwas endgültig sein lassen. Zum Glück. Aber: You can't buy a gun when you're crying (Holly Golightly). Wie die Jahre wechseln und auf einmal das Immerwiederneuzusammenschrauben nicht mehr geht. Wie man weder Feuer noch Luft fassen kann. Wie man nicht immer neue Karren stehlen kann. Wie man nicht mehr schneller laufen kann als sein Schatten. Wie man aufhören will.

>>> Geräusch des Tages: New Order, State Of The Nation


 


Mittwoch, 25. April 2012


Schwarzweißfilme



Wie man sich dann doch immer wieder selbst ein Bein stellt. Sich ins Knie schießt, die eigene Schande an der Wand erlauscht. Sich selber Fallstricke legt, die fatalen Unfälle im Haushalt sucht, kipplige Leitern, wacklige Stühle. Wie man die Lust verliert und doch wieder stoisch die alten Wege geht, rostige Gleise, darauf beharrt, daß hier ein Zug doch fahren müsse. Alle erlogenen Geschichten schon kennt und sich wie saures Bier trotzig auf die Theke stellt. Jede Stunde billiger.

Aufgelassene Stationen, vielleicht knarrt ein Blechschild im Wind, zerrupfte Vögel lachen heiser herab. Ein Pferd namens Fehler reiten und mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne starren, in den Untergang.

The Mercy Seat | von kid37 um 13:06h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 22. März 2012


Wir Männer vom K3



Ich wollte den Damen nicht dazwischengrätschen, aber wenn sich Madame Modeste und die werte Kaltmamsell gegenseitig die vorgebliche Langweiligkeit ihrer Tagebuchblogbeiträge versichern, könnte ich ganz lässig, wenn auch uncharmant auf die aufreizende und kaum zu überbietende Monotonie meiner Krankenhausbeiträge verweisen, die in ihrer Musterhaftigkeit auch immer serieller werden, einer immer gleichen Schulaufführung gut tradierter Klassiker gleich (früher war mehr Regietheater!). Bis dahin hört mein SOS (Same Old Song).

Meine Stationsärztin begrüßt mich mittlerweile schon mit Namen, wir tauschen ein paar Begrüßungsfloskeln, Sätze wie "hatte Sehnsucht nach ihnen" und was man so sagt, "Willkommen" und "gern, wäre aber nicht nötig gewesen". Man organisiert erst einmal ein Bett, denn angemeldet bin ich nicht. Danach alles wie vorgemalt: Mir ist das Muster langsam ein wenig engmaschig, ich könnte die nötigen Checks und Untersuchungen bereits selbst organisieren, MRT anmelden, Kabel legen, Schläuche noch nicht, aber das kommt noch. Überleitung: geschlaucht. Fast scheint es, als führe ich mit dem Krankenhaus eine on/off-Beziehung, dabei hatte man dafür doch eigentlich flatterhafte Frauen. Das muß das Alter sein.

Neu ist die russische Famulantin, Katzenaugen, eine wunderbare markante Nase. Tagsüber, so meine starke Vermutung, arbeitet sie in der russischen Supermodelagentur, um sich ihr Medizinstudium zu verdienen, zwischendurch aber macht sie mit mir Tests, die verlangen, daß ich ihre wunderbar markante Nasenspitze fixiere (und nicht etwa die Katzenaugen! "Sie schummeln!" sagt sie), während sie mit den Händen links, rechts, ober- und unterhalb meines Kopfes herumflattert, um mein Gesichtsfeld zu testen. "Toll", sage ich. "Ich sehe den Frühlingsflug der Vögel."

Die Kekse, die es zum Nachtisch gibt, stammen von "GV Partner", dabei knistert bei ihnen höchstens das Verpackungspapier. Eine merkwürdige Art von Krankenhaushumor, ich sage da schon gar nichts mehr zu, liege in einem weißbezogenen Zengarten und meditiere über das langsame Tropfen über meinem Kopf, blubb, blubb, blubb, sonst ist nicht viel zu tun. Sonst ist nicht viel zu tun, ab und an hebe ich die Knie oder spanne meine Waden an. "Man muß fit bleiben, sonst werden wir krank", erkläre ich den Zimmergenossen. Wir sind zu dritt, wir sind im selben Alter, der eine hat dies, der andere möchte nicht tauschen. Ich möchte nicht über das Essen reden, aber sonst bleibt wirklich nicht viel zu tun.

Ich habe Glück gehabt, denke ich. Ich habe viel Besuch. Freunde, die mich ins Krankenhaus bringen, als ich kaum meine Tasche tragen kann. Freunde, die Vitamine bringen und gute Laune, fesselnde Arztgeschichten oder Grüße aus der westlichen Welt. Mein Bettnachbar bekommt nachmittags Besuch von seinen Arbeitskollegen, ein Freund ist manchmal stundenlang bei ihm, sie lachen, reden über Urlaube oder über die Qualität des Essens. Dem Dritten in unserem Bund schmeckt alles. Er lebt in einer Einrichtung und lacht viel, wenn wir abends fernsehen. Sonst bleibt ihm nicht viel zu tun. Nach zwei Tagen schaut seine Betreuerin vorbei, bringt ihm eine Tasche mit frischer Wäsche und Waschzeug, grüßt freundlich und geht. Wir stecken ihm unsere Beilagen zu, das überschüssige Brot. Wir haben sonst nicht viel zu tun.


 


Freitag, 3. Februar 2012


It Doesn't Matter If You're Black And White



If you were born on October 23-28 [...] your first order of business should be to take steps to take good care of your health. [Q] Die Sterne funken mir durch die Lebensplanung, und Saturn, die bleierne Bremse, kann sich gleich mal gehackt legen. Unangemessene Überraschungen jedenfalls hatte ich genug. Denn eigentlich wollten "wir", in diesen medizin-majestätischen Pluralis will ich das Sondereinsatzkommando aus Arzt und Patient mal locker zusammenfassen, wollten "wir" also endlich mit der Behandlung beginnen. Aber, Uranus, dieser Ü-Ei-Planet, zog ein neues Kaninchen aus dem Zauberhut. Denn nebenher hatte meine Ärztin mit einem Kollegen noch lange über dem mittlerweile auf Bibelformat (gut, Neues Testament) angeschwollenen Stapel Bilder gehockt, und - drei Mediziner, vier Meinungen - eine neue Idee entwickelt. Man denke mal nicht, nur ich hätte Schwierigkeiten, mich festzulegen.

Mein Lieblingswort in den letzten Monaten wurde ja "atypisch". Atypische Symptome, atypische Signale, atypisches Verhalten. Kaum hatte man einen Sinnzusammenhang gemäß ICD oder sonstwie überlieferten apokryphen Diagnosekriterien erstellt, grätschte irgendwas aber so was von atypisch (wahlweise: unsymptomatisch) dazwischen, daß es gestern wie im Film hieß: Alles auf Anfang. Dieser Schatten dort, und meine Ärztin kringelte um dieses längliche Gebilde, sei "atypisch groß". Eine Bemerkung, über die man sich als Mann normalerweise freut, aber da wo es sitzt, ist es wirklich zu nichts nutze, außer mich einzuschränken. Wieder kringelte und zeigte sie auf die großformatigen Schwarzweißausdrucke, die mich mehr und mehr an das Grabtuch von Turin erinnern. Wobei ich denke, dessen wolkiges Geheimnis ist sicher leichter gelöst als die Interpretation meines magnetresonanzdokumentierten Innenlebens.

Nun also, ich hatte mich schon halb an die erste Diagnose gewöhnt, wollte ihr bald auch das "Du" anbieten, eine neue Spur: Ein "seltenes" So-und-so-Syndrom, also "möglicherweise", im Internet nachlesen solle ich mal lieber nicht, aber "das läßt sich alles behandeln!" Nun sind die Zeiten, da ich mir von Frauen alles ergeben erzählen lasse, lange vorbei, so hakte ich nach, verlangte gar nach einer genauen Erklärung. Die Antwort lehrte mich, daß man in einer guten Arzt-Patienten-Beziehung wie in einer Ehe vorgehen sollte: Längst nicht alles will man wirklich wissen.

Betrüblich, denn wie heißt es so schön: "Freude ist nur ein Mangel an Information." Mittlerweile, das bleibt aber unter uns, bin ich ein wenig mürbe geworden. Diese Krankheit benimmt sich zusehends wie eine zickige Frau, der man hier und da im Leben begegnet. Erst heißt es, man sei eigentlich zu alt, dann bleibt man aber doch, dann weiß man wieder nicht, taucht ab (möglicherweise lockt irgendwo ein im Inneren schönerer Patient) oder will dann doch erst mal sichergehen... Man hört sich das eine Weile an, haucht auf seine Fingernägel, hält sie gegen das Licht, putzt die Brillengläser, obwohl sie es gar nicht nötig hätten, bis man irgendwann einfach selbst die Zügel in die Hand nimmt, seinen Hut in die andere und sagt: Adieu, Chérie, war schön mit dir, aber irgendwie auch anstrengend.

Ich meine, es nicht so als seid nur ihr von dieser Geschichte gelangweilt.


 


Montag, 9. Januar 2012


Parole: Durchhalten!



Völlig richtig wurde konstatiert, daß es im Krankenhaus schnell langweilig wird, schon allein, was die Fotomotive angeht. Nicht fotografiert, weil ich die Kamera nicht unters Flügelhemdchen schmuggeln konnte, habe ich das Schild: "Dieser Aufzug ist für Patienten da und nicht für junge, gesunde Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen". Völlig begeistert auch war ich von einem Trimrad aus den 70ern, viel Chrom, wenig Gepluster, das halb Deko, halb noch in Benutzung war.

Beim nächsten Mal. Ich bin also wieder entlassen, aber - nun zur schlechten Nachricht - nicht wieder gesund. Das wird auch nichts mehr, denn die Diagnose ist wahlweise niederschmetternd, beängstigend, absurd, noch ein bißchen unklar, aber nur in Details, und vor allem: niemals von mir bestellt worden. Ich meine, wenn ich nicht gerade von mehreren Litern Kortison aufgedunsen an die Decke starre, könnte ich glatt als agiler Silver-Ager durchgehen, fit im Beruf, Segeln vor Sylt, Rumtollen am Strand mit so einem schottischen Hirtenhund, kluge Frau mit einem dampfenden Becher schonend gerösteten Vorzugskaffees in der Hand dabei - also ein vitalstoffangereichertes Werbeweltleben leben und möglicherweise auf die alten Tage noch ein iPhone kaufen.

So ähnlich immerhin sehen auch die Leute in der Patientenzeitschrift aus, die ich heute bei meiner Ärztin mitnahm als ersten Schritt, die Diagnose dann auch zu akzeptieren. Symbolfotos voller junger, fitter Menschen, Best-Agers mit gebleachten Zähnen und gesund wie frische Landäpfel. Die Wahrheit sieht möglicherweise anders aus, kenne ich das Krankheitsbild, die alte Arschgeige, nur in Zusammenhang mit der stehenden Wendung "heimtückisch".

Meine Ärztin, die heute Geburtstag hat, sich aber zugleich sehr geerdet optimistisch um meinen nicht ganz unkomplizierten Fall kümmert, will noch das ein oder andere abklären. Es wird also noch ein MRT und noch ein CT gemacht, dann aber dürfte man alles von mir wissen. Ich glaube, seit dem letzten halben Jahr bin ich dann vom Kopf bis hinunter zum rechten Knie zu Genüge geröntgt, gescannt und gemustert worden. Und wer meint, ich hätte dunkle Seiten, der kann die auf den Bildern invertiert als helle Bereiche sehen, bei den meisten weiß man sogar, worauf sie hindeuten. Der Rest ist Dunkelfeldforschung.

Akut plagen mich einige Symptome, die auch ein wenig angst machen, denn arbeiten könnte ich damit wohl nicht. Kurze Werbeeinblendung: Dich lockt das neue iPhone? Denk auch mal daran: Berufsunfähigkeitsversicherung ist das neue Schwarz! /Werbeeinblendung
Meine Ärztin jedenfalls, die leider schon verheiratet ist, aber offenbar sonst in jeder Hinsicht ein großer Glücksfall, zählt mir auf, was "junge Leute wie wir" (süß!) schon alles haben könnten und mitunter haben und wie gut... also im Vergleich... Ich stimme im sachlichen zu, bin emotional aber nur eingeschränkt überzeugt. Immerhin, zurück zu besagten Symptomen, besteht eine gute Chance, das diese besser werden. Hat sie gesagt, und wer seine Daumen noch nicht platt hat, mag ihn gerne noch mal einsetzen, sonst sehe ich am Ende noch schwarz. Sozusagen.

Überhaupt, vielen Dank noch einmal für die Kommentare, die Mails, Nachrichten, Besuche im Krankenhaus, geschmuggeltes Essen (es zahlte sich aus, im Herbst die Bilder vom Krankenhausessen gepostet zu haben) und kleineren und größeren Hilfen. Es ist wie beim Spendenmarathon: jede kleine Geste zählt! Gut auch erlebt zu haben, daß ich Menschen um mich habe, die schnell eine Reisetasche mit dem nötigen Kram packen und ins Krankenhaus bringen, einkaufen oder sonstwie parat stehen und nicht erst lange Fahnen schwenken. Es gibt Leute, die haben nicht einmal das, und gerade Männer sind da oft besonders hilflos, wie eine Kollegin sehr gut beobachtet in der New York Times schrieb. Psychosozial also alles gut, und die menschlichen Enttäuschungen, die man in solchen Situationen, ob es nun die einen oder die anderen Unfälle sind, ja auch immer wieder mal erlebt, fallen nicht wirklich ins Gewicht. Wie ich immer sage: Hauptsache, man kann noch mit den Schultern zucken. Oder: Hauptsache gesund! Oder: Immer weitermachen.

So. Muß mich wieder hinlegen.


 


Samstag, 31. Dezember 2011


Du muß knallen, Rakete!



[hier steht eine lange Geschichte über eine Silvester-all-inklusive-Party mit jungen, fremden Frauen in Krankenschwesternkostümen]

Hatte ich mir anders vorgestellt, als ich noch keine Vorstellungen hatte. Jetzt also wieder Krankenhaus. Man arbeitet dran.

Allen einen guten Rutsch, und ein gesundes Jahr 2012.


 


Montag, 26. Dezember 2011


Kein gutes Weihnachten für alte Männer



Eigentlich sollte Weihnachten ja so aussehen, ein bißchen bunt, ein bißchen nostalgisch, ein bißchen voller Zauber. Nun geht es aber Prinz Philip nicht gut, gar nicht zu sprechen von Jopie oder mir jetzt. Kein gutes Weihnachten für alte Männer. Waren im Herbst noch die Ärzte pragmatisch-pessimistisch und ich der Optimist, ist es jetzt eher andersherum. Die Ärzte wissen aber auch nicht alles. Weil ich manches für mich behalten habe, denn schweigen kann ich auch. Ich warte jetzt erstmal ab, und wenn, dann ist es eben so.

Am Weihnachtstag vor 55 Jahren ging Robert Walser in den Wald, ein wenig spazieren, und kehrte bekanntlich nicht zurück. Heuer liegt kein Schnee, es konnte also nichts passieren, als ich reichlich wacklig ein paar Schritte um den Block wagte, feuchte Luft und diesiges Licht atmend, Sehen, solange man noch Sehen kann. Ein bißchen mit den Geschenken spielen. Zu Walser war der Umweg zu den Filmen der Brüder Quay nicht weit, haben die sich ja auch einmal an Jakob van Gunten gewagt. Ich hatte die Sammlung schon mal auf VHS, aber die Doppel-DVD-Edition des British Film Institute ist doch ein wenig praktischer. Letztlich aber nur Augenfutter, an ihr großes Vorbild Jan Svankmajer reichen die Zwillinge dann doch nicht heran. Die heruntergekommen Settings aber passen zur ganz großartigen Francesca Woodman, eine dieser frühvollendeten (und leider, mit 22, auch früh verstorbenen) Fotografinnen. Ihre oft verhuschten Bilder über Verschwinden und das sich-Auflösen sind trotz des jugendlichen Alters der Autorin häufig sofortige Klassiker mit ihrer nebulösen, melancholischen, sehr ernsten Atmosphäre. Der Bildband ist jetzt neu aufgelegt worden, eine gute Gelegenheit für einen Einstieg in dieses zwischen unfertig, tastend und genial flirrende Werk.

Väterchen Kid schickt eine Sammlung alter Bakelitschalter, vielleicht sollte ich sie gleich in Kniehöhe anbringen, könnte noch sinnvoll sein. "Die späten Ängste großer Jungs" lautet der recht passende Untertitel von Joachim Seidels Himbeer Toni. "Altpunk kriegt die Wehen - wer nicht mehr gut hören kann, soll lesen", wird Frank Schulz zum Buch zitiert. Werde ich notfalls mit dem Fadenzähler hinbekommen. Statt eines bunten Tellers machte ich mich endlich mal an Die Regenschirme von Cherbourg, die ich aber, es mag meiner Stimmung geschuldet sein, ein wenig anstrengend fand. Dabei ist der Film sehr gut, tolle Musik, tolle Farben, ein hübsch melodramatische Geschichte. Mir war nur nicht nach Gesang zumute, lag ich doch eher wie der selbstmitleidige Gregory Peck in Schnee am Kilimandscharo auf der Pritsche, den eigenen Erinnerungen an die Liebe und das Leben nachhängend.

In meinem Zimmer hängt nun eine fleischfressende, obszöne Sackpflanze. So nenne ich sie einfach mal. Melde mich ab. Ist spät jetzt. Muß noch meine Übungen machen.


 


Freitag, 23. Dezember 2011


Eine Weihnachtsgeschichte

Bevor es heißt, der Herr Kid der bloggt aber auch nur noch nach dem Mondkalender, möchte ich eine kleine Geschichte erzählen. Meine Lieblingsweihnachtsgeschichte ist ja bekanntlich "Wie die Bethelkinder Weihnachten feiern", ein melodramatischer Tearjerker wie ihn nur ein Douglas-Sirk-Film übertreffen könnte. Wenn das arme kleine Mariechen mit dem Wasserkopf dem Kriegskrüppel erklärt: "Ach, sagte Mariechen, und ihre helle Stimme schallte durch den ganzen Raum, "man muß eben geduldig sein" - da bleibt kein Taschentuch trocken.



Jetzt ahmt das Leben die Kunst nur in Maßen nach, dennoch wankte ich also ganz trocken doch wieder zum Arzt, denn was ich lange im Verdacht hatte, war kaum noch wegzudiskutieren. Kurz: Wir sind einigermaßen wieder da, wo wir im September waren. Kein zweiter Schub, wie wir uns gegenseitig versicherten. Das Alte ist einfach nicht ausgeheilt - und in nicht augeheilten alten Dingen, das glaube man mir, kenne ich mich aus. Unter dem knappen Dutzend Ärzten, denen ich zuletzt begegnet bin, zählten ja einige zur Fachrichtung Dr. med Flitzpiepe, aber bei meiner Ärztin nun fühle ich mich gut aufgehoben. Wir haben nicht ganz denselben Humor, sie ist mehr so der sachliche Typ, unterbricht mich aber an den richtigen Stellen und kommt schnell auf den Punkt. Gestern, beim Pläneschmieden, als es darum ging ambulant oder Krankenhaus, überlegte ich nur kurz. Zwar ist auch Altkanzler Schmidt im selben Hospital abgestiegen, in dem ich zuletzt war, aber so richtig wohl habe ich mich da - zumal ohne Netzanbindung! - nicht gefühlt. Eine Herberge ward also gesucht.



Gestern und heute gab es erst einmal Infusionen in der Praxis, aber zu Hause ist es doch am Schönsten, wie Dorothy schließlich zurecht sagt, und so klappte meine Ärztin die roten Schuhe zusammen und erlaubte mir über die Feiertage die Selbstmedikamention. Leider keine Infusionen, dabei dürfte das doch nicht so schwer sein, Braunüle und Tropf anzulegen. Etwas konsterniert zeigte sie sich allerdings, als sie hörte, daß ich dieses Jahr Weihnachten weitgehend unbeaufsichtig verbringen werde, mir folglich keine drei Weisen aus fernen Ländern Myrrhe, Weihrauch (desinfizierend!) und Spezereien bringen werden. Bedenken hin- und herwälzend, wollte sie mich fast doch noch ins Kanzleramt zu Herrn Schmidt schicken, aber ich konnte sie beruhigen, als ich ihr erklärte, daß in meinem Blog quasi so etwas wie ein Totmannschalter angebracht sei, und sollte der Impuls erlöschen, stünde aber sofort ein Riege medizinisch-technisch ausgebildeter Blogleserinnen mit Ringelstrümpfen und Weihnachtsengelflügeln und dampfenden Suppen, Tupfern und Tabletten vor meinem Stall der Tür. Das überzeugte sie, wenn auch nur unter Restzweifeln. "Ich mache so was normalerweise nie", flüsterte sie vertraulich. "Aber ich gebe ihnen mal meine private Handynummer." Oh, sagte ich, errötend. Ich würde das auch nicht ausnutzen, also gewiß nicht anrufen. "Machen Sie ruhig, wenn was ist. Wenn ich nicht rangehe, bin ich in der Küche."

Eine Frau, die kochen kann! Hätte mich nicht der Infusionsschlauch oben gehalten, ich wäre glatt in die Knie gegangen. Jetzt aber bin ich versorgt mit Instruktionszetteln, alle zwei Stunden dies, morgens das und abends zur Sicherheit noch mal was anderes. Und hübsch bewegen, damit ich nicht wie Herr Schmidt eine Thrombose entwickle.

Mein Vater hatte auch noch gleich einen guten Hinweis. Er wäre ja in fernen Zeiten auch einmal dem Stern von Bethlehem hinterhergeirrt und hätte Heiligabend tatsächlich noch eine offene Kneipe gefunden. Die lag gegenüber vom Krankenhaus und dort hätten die Schwestern und Pfleger in ihrer Nachtschichtpause hübsch die Christmette gefeiert, lustig sei das gewesen. Die Tipps der Väter sind oft Gold wert, wie man meist später erst erkennt, sollte ich also medizinischen Beistand brauchen, werde ich einfach die Klinikkneipen abfahren.