2014: Das Jahr, in dem ich die 52 wieder schaffte



So. Wir dürfen den alten Schlager der englischen Beatkapelle The Kinks anstimmen. "Victoooria!" nämlich hallte es am Sonntag lange über endlose Radwege im wilden und - wie die Boulevardzeitung dieser Stadt schreibt - "unhippen" Stadtgebiet Hamburgs. Das Wetter war friedlich, so geschah es ungeplant, daß ich plötzlich kein Ende mehr fand und meinen persönlichen Mont Ventoux in Angriff nahm. 2012 legte mir diese Strecke so eine hübsche, kleine Leistungszielmarke vor. Eine Marke, die mir ehrlich gesagt, in den letzten beiden Jahren außer Reichweite gerückt schien. Aber, wie lautet die so charmante wie überhebliche unwiderstehliche Predigt: Wer will, der kann auch. Eben, Arschloch, Schatzis. Genau so.

Vorbei also voll auf Lunge pfeifend (aber allegretto) an tiefenentspannten Ziegen, überholt von ein paar Pedelec-Provokateuren (sozusagen das Photoshop des Radfahrens, ein einziges empörendes Fälschungswesen) bis hin zum bekannten Fährhaus, wo lederbezogene Biker ihre Maschinen wie chromblitzende Dominosteine eng an eng stellen. Raum und Zeit für eine kurze Gedenkvesper am Deich, Flußbeschau und Menschenbetrachtung. Dann zurück in die langsam herabsinkende Sonne, an auf Weiden niedergesunkenen Kuhherden vorbei und durch tiefergelegte Mückenschwärme, die sich unter den Bäumen am Radweg sammeln. Mein Hemd sieht aus bald wie ein Insektenrechen, alles voller Straßenverkehrspunkte. Meine Brille aber auch, den Mund halte ich ausnahmsweise geschlossen. Wie ein Walfisch Plankton schlürfend könnte ich mich nahrungsammelnd durch die milde Herbstluft schieben, nicht ganz so pfeilschnell mehr wie zu Beginn, aber mit munterem Tritt.

52 Km also. Auch wenn ich mehr Zeit dazu brauchte als vor zwei Jahren. (Deshalb ist mir unterwegs auch dieser Bart gewachsen, ich muß mich entschuldigen.) Aber umgerechnet auf ein schwerstählernes Hollandrad mit Gepäck und Fahrer sind das sogar viel mehr als auf einem Ultraleichtgeschoß. Sehr viel mehr. Mit der einfachen Formel Pi * Drehmoment geteilt durch Reifengröße multipliziert mit der Wurzel aus Packgewicht plus Windwiderstand (Punkt vor Strich und Klammer zuerst) kommt man da auf ganz andere Werte. Wenn man es denn erstmal in Ruhe durchgerechnet hat. Ich aber pfoff lieber ein Abendlied (nun aber adagio) und malte mir überbordende neue Ziele aus. Niemals klein denken! Das nächste Mal nehme ich ein fesches Görl auf dem Gepäckträger mit. Einfach so! Läßt sich sicher leicht in die Formel mit einbeziehen.

>>> Geräusch des Tages: The Fall, Victoria

Homestory | 01:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
mark793 - Dienstag, 30. September 2014, 02:13
Aber hallo.
Umgerechnet in carbongerahmte Rennradkilometer wären das ja, boah, also mindestens dreistellig. Da dürfen Sie sich wirklich auf die Schulter klopfen.

Zur Feier des Tages hier noch ein zahlenmäßig passender Ohrwurm.

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kid37 - Dienstag, 30. September 2014, 02:27
Where were you in '77?
Also mindestens aber '77 - nach erster Überschlagsrechnung. Das war nämlich das Debütjahr der B-52's (denen ich hiermit nachträglich meine kleine Tour widmen möchte und gleichzeitig ankündige, bei Gelegenheit eine der beiden Sängerinnen auf meinem Gepäckträger mitzunehmen). Dies wiederum, wir rechnen weiter, ist nun genau 37 Jahre her! Toll, wie sich auf einmal alles zusammenfügt.

Danke auch für den Link auf diesen frühen Auftritt, die Videos kannte ich gar nicht. Schön rumpelig, wie eine Fahrt über aus Betonteilen zusammengestückelte Radwege. Und dieser bärtige Hipster vorne an der Bühne. Noch ein paar Kilometer mehr, und das hätte mein Bart sein können. Paßt alles. Wunderbar.

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mark793 - Dienstag, 30. September 2014, 22:31
Ich mag diesen Konzertmitschnitt auch sehr. Bin da mehr oder weniger zufällig drauf gestoßen, nachdem der Song, den ich ursprünglich gesucht hatte, mit Verweis auf Gema geblockt war.

Und was Bärte auf dem Rad angeht: Ich finds grad auf die Schnelle nicht mehr, aber irgendwo hatte ich neulich mal gelesen, dass ein üblicher Bart den Luftwiderstand nicht nennenswert erhöht. Seit ich das weiß, bin ich in Sachen Gesichtsbehaarung noch unpingeliger als eh schon. Es darf halt nur nicht nach, wie soll ich sagen, Kontrollverlust aussehen. ;-)

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kid37 - Mittwoch, 1. Oktober 2014, 00:05
Ich konnte nicht ahnen, daß die Fahrt so lange dauert (inklusive Pause). Sonst hätte ich in meiner Fahrradtasche neben Zelt, Landkarten, Ausgehuniform und einem batteriebetriebenem Plattenspieler auch einen Rasierapparat dabeigehabt.

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frau eff - Dienstag, 30. September 2014, 09:18
Dienstagmorgen, kurz nach sieben, und der Tag ist stimmungsmäßig gerettet: "das Photoshop des Radfahrens", wun-der-bar! Die Ziegen auch, und 52 sowieso, und das alles von Mark E. abgesegnet. Glücklichen Herzwunsch!

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kid37 - Mittwoch, 1. Oktober 2014, 00:06
Ich kam sogar noch die Treppen hoch! (Das habe ich unterschlagen, weil ich nicht angeberisch rüberkommen wollte.) Ein sehr schöner Tag war das.

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montez - Dienstag, 30. September 2014, 12:11
Juhu!
(der Bart)

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maphisti - Dienstag, 30. September 2014, 19:22
Eigentlich verbietet es sich ja, einem Mann auf diesem Wege so ein ein wenig grobschlächtiges Kompliment zu machen: Nichtsdestotrotz finde ich Sie jetzt noch markanter als vordem! Ihr Stil weist natürlich weiterhin Ihre (seine) unnachahmliche Note auf!

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kid37 - Mittwoch, 1. Oktober 2014, 00:07
"Markant". Hm, das heißt in Zeugnissprache doch bestimmt wieder ganz was anderes. Die ARD stellt ja die traumhafte Traumserie "Traumhotel" ein. Mit Bart könnte ich vielleicht der neue Christian Kohlund werden.

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maphisti - Donnerstag, 2. Oktober 2014, 03:31
Darf ich zu dieser "Tages"zeit ein wenig träumen ...? ...ja, ich stelle mir gerade Ihre Stimme wohltönend sonor und äußerst kohlundmäßig vor: Die Syntax wird durch Ihre bewusste Betonung der Vokale in melodischer Weise akzentuiert und erhält dadurch eine gewisse erotisch wirkende Kopfnote, die durch das unterschwellig wirkende Timbre geradezu betörend wirkt, aber auch gezielt erdet ... (Oh, jetzt leide ich doch schon ein wenig unter Kontrollverlust, oder!?)

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gaga - Dienstag, 30. September 2014, 21:45
Herzlichen Glückwunsch. Ich würde da ins Schwitzen kommen. Wer nicht! (ich poste demnächst mal was über Hitzewallungen ohne sportliche Betätigung, man wird nicht jünger!)

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kid37 - Mittwoch, 1. Oktober 2014, 00:09
"Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist." (Georg Trakl) Das kühle Lüftchen war perfekt. T-Shirt (flott bedruckt) reichte für mit ohne Schwitzen. Ich nehme Sie einfach auch mit auf dem Gepäckträger.

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schneckinternational - Donnerstag, 2. Oktober 2014, 01:28
Zunächst las ich Windelwiderstand. Die Formel für fesche FrauInnen auf dem Gepäckträger ist 1,333% vom Lebensalter (Fahrer) mal der Wurzel des BMI (Fahrer) geteilt durch Körbchen- mal Reifengröße (wenn ich mich richtig erinnere). Irgendwie so. /Und der Bart, der steht Ihnen spitze!

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ladys smock - Donnerstag, 2. Oktober 2014, 17:21
welcher Bart?

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kristof - Dienstag, 7. Oktober 2014, 00:38
Blogeinträge, die froh machen.

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maphisti - Dienstag, 7. Oktober 2014, 20:02
2014 - das Jahr, das mich mal wieder schaffte - aber nur vielleicht!

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