So böse alles



Die letzten Tage dann ein wenig mit dem Rad unterwegs gewesen, durchs Naturschutzgebiet, an der Düne vorbei, durch Vorort-Siedlungen wo auffällig viele Galgen in Vorgärten stehen. Daran Schilder von Immobilienmaklern: Zu verkaufen, Haus zu verkaufen, günstig zu verkaufen. Alles muß raus, der Radwanderer, der ungelüftete Mensch, die Vorstadtimmobilie.

Heute ich selbst und das Wetter mehr so unbestimmt, daher kurz ins Museale. Im MKG laufen noch die Bösen Dinge. Eine "Enzyklopädie des schlechten Geschmacks" wird angekündigt und allerlei Gegenstände ausgestellt, die aus unterschiedlichen Gründen als "böse" gelten. Das sind Sachen, die einst als muntere Reiseandenken oder frivole Kellerbargeschenke galten, die in unserer Zeit die Sprach- und Moralpolizei aus den Blogbereitschaftswachen locken. Oder die Ästhetikkripo. Als Kontrapunkt und Belehrung am Ende des Raums eine Installation mit Dingen des "guten Geschmacks", denn es gibt sie ja noch, die guten Dinge, viel Manufactum Wagenfeld und Werkbundästhetik also. Im Grunde so wie bei mir. Meine Wohnung ist ja vollgerümpelt mit bösen Dingen, Kadaverchic und Gestaltungsverbrechen ("Zwinker, Zwinker!") - und räumt man die beiseite, ist alles ein geschmacksbürgerlich mahnender Zeigefinger aus Wagenfeld und Eileen Gray. Pfff.

Auf der anderen Seite derselben Etage läuft zur gleichen Zeit eine Ausstellung mit Fotografien von Steve McCurry. Ich finde die Setzung sehr ironisch. Denn wenn man etwas zynisch ist, hängen hier die "bösen Dinge" von morgen. McCurry, hochdekorierter Fotograf für National Geographic, hat hier eine Vielzahl allesamt eindrucksvoll pittoresker Reisefotos ausgehängt. Wie der aufgeblätterte Wandkalender im Oberstufenratdaheim gibt es bemerkenswert großäugige Afghaninnen, buntgekleidete Inder, noch buntere Elefanten, badende Bartmänner im Ghanges, natürlich das Weltpressejahresfoto mit dem Mädchen aus Dingsbumstan, kurz ein kulturbunter Reigen aus dem fernen Asien und Nordafrika. Alles toll fotografiert, da meckert man nicht, und toll gefärbt, und toll langweilig auch. Nun bin ich zugegebenermaßen auch überhaupt nicht zu begeistern mit "Asien" oder der westlichen Kulturtourismusvorstellung davon, diese Begeisterung für "Indien" und "Tibet" und "China" hat mich nie ergriffen. (Einzig diese Tempelanlagen in Kambodscha und Vietnam finde ich interessant, wo man sehen kann, wie verschlungenes Wurzelwerk durch verschlungene Bauwerke furchen.) Das ist das eine. Dann stört mich aber diese durchgehende Magazin-Ästhetisierung in diesen Knallkontrastfarben, jedes Bild eine gefällige Ansichtskarte. (Für das Bildbearbeitungsprogramm Gimp gibt es einen eigenen Filter "National Geographic", der diesen Kitschstil sehr hübsch nachahmt. Das sagt schon viel.)

Es gibt also viel Ah und auch Oh, denn viele Besucher sind hier und betrachten die rührende, farbenfrohe Armut, (diese umstrahlt laut Rilke ja "ein stiller Glanz von Innen"*) - auch so eine Art Kadaverchic, Negerpüppchen für Besserdenkende. Großes Lob also ans MKG, diese beiden Ausstellunge so erhellend gegeneinandergestellt zu haben. Aber vielleicht sehe das auch nur sich so - und bin schon auf dem Weg in die Möbelsammlung, wo es zuvor ganz tolle Kostüme des expressionistischen Tanzes zu sehen gibt und dann viel von Wagenfeld. Zur Beruhigung der aufgepeitschten Sinne.

Dann noch schnell zum Amt, meine Stimme abgeben. Im Aufzug zum Dritten ein wenig mit einer jungen Frau geplaudert, die es auch zur Urne drängte. Obswasbringt Wasändert und Toitoitoiganzbestimmt. Überlegt, was sie wohl gewählt haben mag. Ich fand sie da schwer einzuschätzen. Auf die jungen Menschen ist schließlich kein Verlaß. Die lokale Krawallzeitung hatte neulich eine Straßenumfrage, da waren dann an und für sich vernünftig ausschauende junge Menschen abgebildet, wo man dachte, ach, vernünftige junge Menschen, mal schauen, was die so wählen. Da gab es eine "Angela" (21), die eine Namensvetterin gut fand. Und ihr Freund, "Jens-Uwe" (23), empfahl sogar die CDU. Eine an und für sich attraktive junge Frau (24) gab als Beruf "Immobilienmaklerin" an und wählte, es ist vorhersehbar wie die Farbgebung eines Bildes bei National Geographic, die FDP. Ich selbst habe mal eine an und für sich attraktive junge Immobilienmaklerin kennengelernt und sagte, Mensch, Immobilienmaklerin in Hamburg, "da hast du ja eine richtige Schlüsselposition inne". So als Witz. Maklerin. Schlüsselposition. Hat sie aber gar nicht verstanden, dabei hätte man schön gemeinsam lachen können. Und Augenzwinkern. Und anstoßen aus kitschigen Gläsern. Die hielt dann aber ein Schild hoch. Ich muß raus.

("Böse Dinge - Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks", bis 27. Oktober 2013. "Steve McCurry - Überwältigt vom Leben". Bis 29. September 2013. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg.)

Flanieren | 21:57h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
maphisti - Samstag, 21. September 2013, 01:51
Vermutlich definieren Sie "Armut" ziemlich speziell.

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kid37 - Samstag, 21. September 2013, 02:30
Sie ist jedenfalls nicht so pittoresk.

(Auch "schön": Arbeiterinnenkirschblütenfest.)

via Steve McCurry

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kid37 - Samstag, 21. September 2013, 02:38
* großer!
Groß/Grosz natürlich. "...ein großer Glanz von innen".

Wie Grosz schon meinte.

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prieditis - Samstag, 21. September 2013, 02:02
Vorhin erst habe ich, der niederrheinischen Melancholie* wegen, diese bösen Dinger gegessen. Zwischen zwei Brötchenhälften gequetscht. Ich hätte auch gerne Hasenbrot gehabt. Aber das gibt es ja nicht mehr. Das ist zu niedlich.

*die ist der eigentliche schlechte Geschmack

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kid37 - Samstag, 21. September 2013, 02:32
Oh, Hasenbrot hatte ich noch von gestern, vom Radfahren. Und der Hüsch, der fehlt.

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prieditis - Samstag, 21. September 2013, 02:37
Wir haben ja jetzt den Zwakkelmann, aus Hamminkeln.

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kid37 - Samstag, 21. September 2013, 02:44
Groß!

Man hätte aber wirklich ein tomatenrotes Haar besetzen sollen!

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prieditis - Samstag, 21. September 2013, 02:49
Das scheiterte am demographischen Wandel, vermute ich.

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maphisti - Samstag, 21. September 2013, 11:36
Ich hab'/hatt' das ja mehr mit Kaninchen, Sie wissen.

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gaga - Samstag, 21. September 2013, 13:09
Zu schade um die Schlüsselposition.
Ich hätte nicht zur gezwinkert, sondern reichlich albern gekichert.
(wie gerade beim Lesen)
Aber ich bin ja auch nur eine kleine pfiffige Mieterin.

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maphisti - Samstag, 21. September 2013, 19:28
Aba, aba, welch ein Abgrund erschließt sich mir, schildmäßig gesehen.

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kid37 - Sonntag, 22. September 2013, 05:44
Ich war enttäuscht. Pointe verreckt. Abend auch.

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ana - Samstag, 21. September 2013, 13:23
Die "Bösen Dinge" hätte ich auch gerne gesehen, obwohl ich ja öfters mal durchs hiesige Sozialkaufhaus schlendere und dort gibt es sie neben wirklich schönen Dingen auch zu Hauf. Obwohl ich durchaus solides, praktisches Design schätze, wie meine beiden Mülleimer zum Beispiel ( Klick ( ich habe sie in knallrot ) ), möchte ich gar nicht zu viel davon um mich haben, sonst käme ich mir vor wie in einem Showroom von Mobilia. Meine alte Teekanne vom Flohmarkt, die mir leider zerbrochen ist, war mir sogar lieber als meine neue teuere von Wagenfeld. Und ist nicht auch der Schädel von Damien Hirst so ein böses Ding oder gehört er doch zu den guten? Klick

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maphisti - Samstag, 21. September 2013, 23:34
Herr Kid 37, zu einer Wagnerin, so wundermild, trugen Sie also Ihre Lasten? - Das konnte ja nichts werden, oder?

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kid37 - Sonntag, 22. September 2013, 05:43
Hm. Manchmal kann ich Ihrem Raunen nicht recht folgen.

@Ana: Die guten Wesco! Unverwüstlich und zeitlos. So einen würde ich beim nächsten Mal auch nehmen. Die halten länger als ich. Interessanter Hinweis auf Hirst. Der Schädel war ja damals nicht nur wegen "überhaupt", sondern auch wegen Kitschverdacht umstritten. Aber da sieht man es eben. Es muß auch "Kafka" draufstehen, damit man weiß, daß es gute Literatur ist. Sonst ist es im Zweifel keine Kunst, sondern Glitzer-Bling-Bling-Nippes für Oligarchen.

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ana - Sonntag, 22. September 2013, 14:07
Zeitlos sind oft auch Allerweltsgegenstände, die wir als Designobjekte gar nicht mehr wahrnehmen, weil sie uns so selbstverständlich geworden sind. Mir hat es in Paris gefallen, wie Jean-Pierre Raynaud vor dem Centre Pompidou dem stapelbaren Standartblumentopf ein Denkmal gesetzt hat.
Klick

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ana - Sonntag, 22. September 2013, 15:02
Durchaus kaufbar sind die Allerweltsgegenstände von dem unterfränkischen Bildhauer Gerhard Nerowski. So eine Wäscheklammer würde sich doch in so manchem Garten gut machen. Klick

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kid37 - Dienstag, 24. September 2013, 12:20
Eine Klammer für die sprichwörtlich große Wäsche! Durchaus praktikabel. Auch im alltäglichen Haushaltsbereich kann man viel falsch machen, angefangen von quietschbunten Kitschzahnbürsten hin zu geblümten Müllbeuteln. Gut, letztere gibt es, glaube ich, nicht. Aber bei tausend anderen Dingen im Haushalt.

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montez - Sonntag, 22. September 2013, 11:24
Interessant, die Bösen Dinge. Mit Tauschbörse! Wagenfeld versus Winkekatze. Oder ne, andersrum!? Da wird man sicher fündig. Schade, schaffe ich nicht (und im Werkbundarchiv war ich auch immer noch nicht).

Sehr einleuchtend, was Sie über Herrn McCurry schreiben (obwohl ich mag ja Kitsch im Bild, muss man aber nicht ausstellen, mehr so fürs AlbumBlog).

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kid37 - Dienstag, 24. September 2013, 12:24
Wenn man diese Fotos in solcher Menge sieht, geht es einem wie bei dieser HDR-Pest diesen hochinteressanten Hochkontrastbildern oder diesen Instagramfiltern (cvon denen ich ja auch nicht frei bin). Man kann es langsam nicht mehr sehen. Ich bin andererseits nach wie vor nicht sicher, ob nicht auch meine Erwartungshaltung ans Sujet ("Asien") ebenso falsch sind. Vielleicht werden in Afghanistan ja tatsächlich mehr Feste gefeiert als Bomben gezündet.

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kaltmamsell - Sonntag, 22. September 2013, 12:39
Meine Reflexneugier ist immer: Was wäre das Ergebnis des umgekehrten Blicks? Zum einen: Wie hätte die Afghanin den Fotografen dargestellt? Und natürlich: Wie präsentieren außereuropäische Ethnologinnen (oder irgend eine halbwegs vergleichbare Studienrichtung, woanders sind diese Beobachtungen ja vielleicht Sache von Priesterinnen/Theologen) unsere Ethnie und Kultur? Sollten Sie je sowas mitbekommen, würden Sie uns informieren, ja?

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maphisti - Sonntag, 22. September 2013, 15:26
Zum Raunen: Direkt erkannt. No second hand ware.

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kid37 - Dienstag, 24. September 2013, 12:28
@Kaltmamsell: Schaut man in die Reisetagebücher der Japaner, gibt es in Deutschland nur Bayern. Lederhose, Biergarten. Und zum Schlafen gehen wir abends ins Schloß Neuschwanstein. Ach ja, und Wagner natürlich. Vermutlich lachen sich die Inder halbtot, während sie ihre Elefanten von Farbe befreien, nachdem die Touristen abgezogen sind. (Ich würde Steve McCurry gerne mit Martin Parr gemeinsam auf Tour schicken und die - hoffentlich - unterschiedlichen Ergebnisse vergleichen.)

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