Ödland

Derzeit bin ich innerlich und äußerlich ein wenig zu gehandicapt für Testosteronrock- und unterrockunternehmungen, ich brauche schon meine ganze Energie, mit der Fingerspitze punktgenau den richtigen Buchstaben auf der Tastatur zu treffen, damit sich alles noch entzifferbar zum neuen Ich zusammenfügt und nicht die falsche Welt beschreibt. Den Rest der Zeit liege ich meditierend auf dem kuriosen Sofa im Wintergarten (Ostflügel), von dampfenden Weihrauchschwenkern und angestaubten grünen Blättern wie von jugendlich verschnörkelten Rahmen eingefaßt und lese die gesammelten Zeitungsausschnitte und Artikel vom letzten Jahr und natürlich die Jahreshoroskope. ("Das Motiv unserer Ouvertüre hat Uranus vorgegeben, der 2012 durchs neunte Haus zieht und Ihnen nahelegt, auf ihre Gesundheit zu achten." Vogue, Dezember 2011.)

Dazu klimpert kunstvoll komplizierte Musik. Man muß wissen, daß dieses Blog, ehe es "Das hermetische Café" hieß, fünf Minuten lang "Ödland" heißen sollte, was aber, wie wir alle wissen, nicht geschah. So war der hübsche Name frei für eine französische Truppe aus Lyon, die gemeinsam Musik und versponnene Videos machen. Ödland bestehen aus Lorenzo Papace, den türkischen Schwestern Alizée und Léa Bingöllü und Isabelle Royet-Journoud, die auf allerlei Spielzeuginstrumenten, Klavier, Geige und singender Säge vom 19. Jahrhundert inspirierte Kammermusik und eine Art Alice-im-Wunderland-Chansons kreieren, die auf bislang zwei ganz bezaubernd gestalteten Alben erschienen sind.



Für ihr zweites Album Santa Lucia reiste die Gruppe quer durch Europa, Italien, Griechenland, Ungarn, Polen und drehte für die einzelnen Songs nostalgisch verwischte Sommerfilme. Ein hübsches Projekt, und in Wien waren sie auch.

Radau | 23:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
gaga - Dienstag, 31. Januar 2012, 00:32
Vogue-Bildchen gucken immer gerne, aber doch nicht das Horoskop. Wenn die sexuellen Obsessionen phasenweise (warum auch immer bedingt) etwas in den Hintergrund rücken, kann das mitunter auch mit einer gewissen Erleichterung einhergehen. Diese Dinge kosten einfach auch viel Energie, die sich in ihrer transformierten Ausgabe überraschend entspannend auswirken kann. Hätte ich persönlich früher nie nachvollziehen oder gutheißen können. Und das Leben hält gerne unerwartete dramaturgische Kurven bereit. Die können auch wieder nach oben gehen. Womöglich ist man dann sehr überrascht. Ich glaube immer noch oder vielleicht sogar mehr als je zuvor, dass man vermeintliche Wunder durch wundersame Erkenntnisse (auch) selbst erschafft.

 link  
 
heim_weh - Dienstag, 31. Januar 2012, 12:46
Jepp, Erleichterung ist wahrscheinlich das treffendste, wenngleich man nicht vergessen sollte, dass auch die Relation der Dinge im Auge behalten werden sollte. Hat man weiter keine Blessuren, egal, welcher Art, lässt es sich gut nach Röcken schauen. Hat man aber mit sich selbst reichlich zu tun, lassen einen alle Röcke äusserst kalt. Immerhin kann man daraus schliessen, dass man, wenn einen Röcke (oder Streifen) in den Augen kitzeln, wieder recht obenauf ist. Wie ein Barometer quasi.

Wie auch immer: ich wünsche was. Gutes.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 1. Februar 2012, 00:34
Immerhin versuche ich es ja seit einer Woche wieder mit Arbeiten gehen. Da bleibt keine Zeit für Obsessionen, geringelt oder nicht. So ist das eben ab 37, schreibt euch das hinter die Ohren. Ich bleibe jetzt mal wie Hans Castorp zu Besuch im Wintergarten auf dem Zauberberg und schaue, was die nächste Zeit an Erkenntnissen bringt.

 link  
 
dosron - Dienstag, 31. Januar 2012, 00:49
Ich dachte kurz an "IL GRAN TEATRO AMARO". Aber ist doch anders.

(Danke für "Unterrockunternehmungen")

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 1. Februar 2012, 00:30
Die Spielzeuginstrumente bringen eher einen klitzekleinen Schuß Cocorosie mit rein. Das Verspielte, das immer schräg am gediegenen Caféhaus vorbeiführt.

 link  
 
novesia - Dienstag, 31. Januar 2012, 09:38
Oooh, diese nostalgischen Videos sind wundervoll! Und machen Reiselust.
Selbst so beeinträchtigt, wie sie jetzt sind, versetzen Sie Ihre Leser noch in Ergriffenheit :)

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 1. Februar 2012, 00:31
Reiselust ist das Stichwort. Wurde heute gezwungen, meine Urlaubsplanung vorzunehmen. Ja, was weiß ich denn.

 link  
 
saxana - Dienstag, 31. Januar 2012, 12:19
Jetzt sollte es aber langsam mal aufwärts gehen. Ich könnte mit einem begnadeten Heilpraktiker dienen.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 1. Februar 2012, 00:27
Da habe ich auch eine. Die kommt dran, wenn die mit ihren Maschinen und dem Akuten fertig sind. Dann geht es noch mal ans Grundsätzliche. Urlaub z.B. Dringend.

 link  
 
au lait - Dienstag, 31. Januar 2012, 21:48
Wunderbares musikalisches Nichtgeburtstags-Juwel. Das werd' und möcht' ich intensiver belauschen. Auch toll gefilmt. Erinnert mich entfernt an das Bremer Schné-Ensemble, das mit seinen düster-lyrischen Gedichtvertonungen auf "Karussell" vor anderthalb Jahren den Preis der deutschen Schallplattenkritik einheimste. Deren Videos sind leider bei weitem nicht so kunstvoll, und die besten Stücke der Scheibe findet man im Netz nicht. Dennoch, zumindest für einen vagen Eindruck: http://www.youtube.com/watch?v=P-HOrrUX2rg

Abseits dessen riskiere ich weiterhin Daumenkrämpfe für eine baldige vollständige Genesung! Alles Gute!

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 1. Februar 2012, 00:26
Vielen Dank. Muß. Schné kannte ich bislang nicht. An Ödland gefällt mir besonders diese unprätentiöse Selbstbaumentalität fern jeglichen Muckertums. Da ist ein Klavier dabei und auch eine Geige, aber alles nicht spektakulär, nicht aufdringlich, mehr einer Stimmung und einer Atmosphäre unterworfen, daran ist - vom grundlegenden Konzept abgesehen - nichts ausgedachtes.

 link  
 
nnier - Mittwoch, 1. Februar 2012, 08:47
Übrigens wäre das tatsächlich auch ein cooler Blogname gewesen.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 1. Februar 2012, 21:36
Enchanté


Übrigens: Wer wie ich meint, das Album für eine läppische Summe auf der Webseite zu bestellen, hat es handverlesen aus Lyon nur zwei Tage später in Hamburg im Briefkasten.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 1. Februar 2012, 21:39
20:36
Man merkt, daß ich nicht ganz auf der Höhe bin.

 link  
 
hora sexta - Mittwoch, 1. Februar 2012, 21:40
Enchantée.

 link  
 
Lu - Mittwoch, 1. Februar 2012, 23:52
Halt Dorsch, Seemann. Ich komme, wenn der Frost geht, und die Arbeit mich lässt.

 link